Eigentlich handelt es sich nur um ein Paar schwarze Einlegesohlen. Auf dem Produkt fußt die Hoffnung auf ein großes Medizin-Geschäft. Das in Konstanz ansässige Start-up Eversion Technologies könnte mit seiner Produktentwicklung ein wichtiger Teil der orthopädischen Therapie werden.

Es sind die scheinbar unerklärlichen Schmerzen, die etwa im Knie, an der Hüfte, im Kreuz oder auch im Nacken auftreten. Unzählige Menschen klagen darüber – ohne dass der Gang zu den Ärzten wirklich weitergeholfen hätte.

Genau hier setzen die fünf Gründer von Eversion an. Und es ist ihnen offenbar gelungen, die Ganganalyse bei Patienten so weiterzuentwickeln, dass daraus ein therapeutisches Produkt entstand. Dieses zielt einfach gesagt darauf, die Fehlbelastungen beim Gehen zu identifizieren und durch Sonderanfertigungen von Einlegesohlen zu beheben.

Das Gründerteam von Eversion (von links): Max Starkmann, Julia Zimmermann, Timon Sutter, Wolfgang Triebstein, Lucas Heitele.
Das Gründerteam von Eversion (von links): Max Starkmann, Julia Zimmermann, Timon Sutter, Wolfgang Triebstein, Lucas Heitele. | Bild: Eversion

Das Start-up überzeugte damit über ein Dutzend Investoren. „Finanzielle Mittel im niedrigen einstelligen Millionenbereich konnten wir uns sichern“, sagt Julia Zimmermann, die zusammen mit Timon Sutter, das junge Unternehmen führt.

Die Finanzierungsrunde, zu der das Gründerteam nach Angaben von Zimmermann in 2024 mehrere Monate durch Deutschland tourte, habe zum Jahresende abgeschlossen werden können.

Unzählige Betroffene im Blick

„Wir wenden uns an die vielen Betroffenen“, bekräftigt die Geschäftsführerin. „Das können wir total skalieren, in der ganzen Welt“, redet die 26-Jährige über angestrebte Umsatzsteigerungen. Während die Frau über die ehrgeizigen Ziele spricht, sitzt sie in einem der beiden Büroräume, die Eversion im Konstanzer Bücklepark belegt.

Auf dem ehemaligen Siemens-Areal sind zahlreiche Start-ups ansässig. Im Kellergeschoss habe man sogar eine Werkstatt als erste Produktionsstätte einrichten können, sagt Zimmermann und deutet dabei auf die vor ihr liegende schmucke Verpackungsbox in der Größe eines Schuhkartons.

Darin befinden sich die Einlegesohlen, die in ein dazugehöriges Ladegerät gesteckt werden können. Einlegesohlen zum Aufladen? „In der Sohle sind hochmoderne Sensoren verbaut“, sagt Zimmermann und kommt auf den Kern der Entwicklung zu sprechen. Die Sohlen kämen in die Schuhe der Nutzer, um zwei Wochen getragen zu werden. Sensoren erfassen Fehlstellungen der Füße, diese werden in einem dreidimensionalen Modell abgebildet.

Die scheinbar herkömmlichen Einlegesohlen von Eversion. Sie sind jedoch mit Multi-Sensoren ausgestattet, die dreidimensionale die ...
Die scheinbar herkömmlichen Einlegesohlen von Eversion. Sie sind jedoch mit Multi-Sensoren ausgestattet, die dreidimensionale die Haltung und Stellung der Füße erfassen. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen, auf mögliche Fehlbelastungen von Muskelgruppen und daraus resultierende Fehlhaltungen. | Bild: Eversion

Mithilfe von Algorithmen könnten Gangabweichungen und deren Auswirkungen auf Muskeln und Gelenke analysiert werden. Die gesammelten Daten würden an das Smartphone in eine von Eversion entwickelte App übertragen, die mit visuellen Modellen hilft, mögliche Schwachstellen im Körper zu erkennen. So könnten durch fehlerhafte Neigungen des Fußes ganze Muskel-Ketten im Körper überdehnt oder verkürzt werden, sagt Zimmermann.

Die Vorarbeit von Wolfgang Triebstein

Als Lösung bietet Eversion eine anhand der gesammelten Daten individuell angepasste und gefertigte Einlegesohle an, die die Nutzer dann dauerhaft tragen und die ihnen hilft, Belastungen von Muskeln und Gelenken zu reduzieren. Die Eversion-Geschäftsführerin weiß wovon sie spricht. Sie selbst hat vor drei Jahren unter heftigen Schmerzen im linken Hüftgelenk gelitten.

Der Kontakt zu Wolfgang Triebstein half ihr damals weiter. Julia Zimmermann und Timon Sutter, die beide Wirtschaftsingenieurwesen an der HTWG Konstanz studierten, hatten Triebstein über ein gemeinsames Marketingprojekt kennengelernt.

Der heute 68 Jahre alte Meister der Orthopädie-Schuhtechnik aus Eisenach hat ein Laborsystem entwickelt, das es ermöglicht, Ursachen von Muskel-Skelett-Beschwerden zu diagnostizieren und Einlagen zu fertigen. Triebstein half so, bei Zimmermann eine Überbelastung des Hüftgelenks zu erkennen, die von den Füßen herrührte. Korrigierende Schuheinlagen behoben das Leiden. Triebsteins Laborsystem ist quasi Nukleus des Geschäftsmodells von Eversion.

Wirtschaftliches Potential erkannt

Timon Sutter habe das wirtschaftliche Potential der Ganganalyse von Triebstein erkannt. Gemeinsam gründeten sie Eversion Technologies. Der Sportwissenschaftler Max Starkmann und der IT-Entwickler Lucas Heitele komplettierten das Team.

Ziel war es, das raumfüllende System von Triebstein auf die handliche Kombination von sensorgestützter Einlegesohle und zugehöriger App zu reduzieren. Das Projekt bekam das EXIST-Gründungsstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums und ein gemeinsames Wandeldarlehen für Start-ups der L-Bank Baden-Württemberg und zweier Investoren zugesprochen.

Mit den Fördergeldern konnte so etwa eine klinische Pilotstudie bei der Technischen Universität München erstellt werden, die die medizinische Wirksamkeit der Eversion-Sohlen bestätigte. Zimmermann bezeichnet die mathematische Analyse der Fehlstellungen der Füße als „Black-Box“. „Wie wir das machen, wird unser gut gehütetes Geheimnis bleiben.“

Das besondere an den Einlagen ist jedoch, dass ihre Oberfläche absolut plan ist. Sie haben kein geformtes Fußbett, wie man es von herkömmlichen Einlagen kennt. Lediglich die Unterseite der aus einem Korkgemisch bestehenden Sohle erhalte eine Struktur, die mit einer Laser-Fräse in den notwendigen Winkeln geschliffen werde, um die Fehlneigung der Füße auszugleichen, so Zimmermann.

Volkskrankheiten: Ob Schmerzen im Knie, in der Hüfte, am Arm oder Nacken – in der Eversion-App werden die möglichen Schmerzstellen ...
Volkskrankheiten: Ob Schmerzen im Knie, in der Hüfte, am Arm oder Nacken – in der Eversion-App werden die möglichen Schmerzstellen angezeigt. Zuvor werden die von den sensorgestützten Einlegesohlen gesammelten Daten per Bluetooth an die App übertragen. | Bild: Eversion

Mit den Investoren hätten sie nun die Möglichkeiten, das Geschäft auszubauen. Das Personal sei bereits von acht auf 13 Mitarbeiter erweitert worden. Derzeit werde die medizinische Zulassung des Produktes angestrebt – ein aufwendiges Verfahren. Der Verkauf über einen Online-Shop auf der Internetseite www.eversion.tech werde im Sommer starten, kündigt Zimmermann an.

Kunden sollen sich dort das Sohlen-Set für 249 Euro bestellen und es zur Vermessung der Füße tragen können. Mit den gewonnenen Daten sind dann Sonderanfertigungen der Einlegesohlen möglich.

Ganze Berufsgruppen als potentielle Nutzer

Man wolle sich gezielt an die Berufsgruppen der Polizei, Feuerwehr und Verteidigung wenden. Das sind Beschäftigte, die viel zu Fuß unterwegs sind und schwere Ausrüstungen tragen müssen. Hier Beschwerden vorzubeugen sei auch aus Sicht der Arbeitgeber ein nachhaltiges Anliegen. Schon jetzt arbeite man mit Reha-Kliniken zusammen, die die Sohlen verwendeten, um die Fortschritte ihrer Patienten zu verfolgen.

Optimal wäre natürlich, wenn die Kosten für das medizinische Produkt auch von den Krankenkassen erstattet würden, doch so weit ist man noch nicht. Es sind noch einige Schritte zu gehen, für das Team von Eversion.