In Zeiten wie diesen können sich Miesepeter und notorische Unkenrufer endlich einmal bestätigt fühlen. Nach gut zehn Jahren scheinbar immerwährenden Wohlstandes ist plötzlich irgendetwas anders. An den Zapfsäulen wird Sprit immer teurer. Angesichts explodierender Gaspreise läuft es den deutschen Mietern beim Gedanken an eine warme Wohnung kalt den Rücken hinunter. Wer im Elektronikmarkt eine Waschmaschine kaufen will, wartet mitunter Monate bis geliefert werden kann. Und im Baumarkt hat sich der Preis fürs Holz der neuen Gartenhütte glatt verdoppelt.

Lohnt es sich da abzuwarten, bis es wieder günstiger wird? Eigentlich nicht, denn die Geldentwertung schreitet gerade so zügig voran wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Also ist Geldausgeben angesagt, denn Zinsen auf der Bank gibt es ja sowieso keine. Aber wo bloß investieren? Sind Immobilien nicht vollkommen überbewertet und Aktien überhaupt noch eine Option, wo die Börsen doch auf jeden umfallenden Sack Reis in China zunehmend nervös reagieren?

Der Dax notiert derzeit bei deutlich über 15.000 Punkten. Manche Experten halten die Börsenkurse weltweit für überbewertet. Die ...
Der Dax notiert derzeit bei deutlich über 15.000 Punkten. Manche Experten halten die Börsenkurse weltweit für überbewertet. Die Unsicherheiten steigen. | Bild: Daniel Reinhardt, dpa

Man muss kein Ökonom sein, um zu spüren, dass sich im weiten Feld der Wirtschaft gerade etwas zusammenbraut. Nachdem der durch die Corona-Krise ins Trudeln geratene Jumbo-Jet Deutschland mit Merkel und Scholz im Cockpit gerade noch einmal durchstarten konnte, richtet die Wirbelschleppe hinter den Triebwerken am Boden nun einiges Chaos an.

Die Anzeichen einer hartnäckigen Inflation mehren sich

Besonders die Preise werden durcheinandergewürfelt. Nachdem die Teuerung in der Corona-Krise nahezu zum Stillstand gekommen ist, wird das Leben jetzt auf breiter Front kostspieliger. Auf fünf Prozent könnte die Inflationsrate zum Jahresende klettern. Und im Moment setzt sich die Meinung durch, dass das Gespenst der Inflation ziemlich hartnäckig sein wird.

Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Effekten, die die Preise nur zeitweise in die Höhe treiben, wie etwa die Rückkehr zu den normalen Umsatzsteuersätzen nach der Corona-Krise oder die Lieferengpässe bei Chips und Rohstoffen. Auf sie berufen sich all jene, die die Lage im Moment eher entspannt sehen. Vielleicht aber zu entspannt, denn eine ganze Reihe von Faktoren deuten auf tiefergehende Verwerfungen hin.

Re-Nationalisierung, Energiewende und Demografie treiben Preise

Da ist etwa der seit Donald Trump grassierende Rückfall ins Nationale, der durch eine funktionsuntüchtige Welthandelsorganisation, Zollschranken und Handelssanktionen die internationale Arbeitsteilung hemmt und für Preisauftrieb sorgt. Ein Pullover oder ein Handy, das in Deutschland hergestellt wird, ist eben teurer als eines aus China. Die Entwicklung trifft auf der Nordhalbkugel auf grassierenden Arbeitskräftemangel, der sich massiv verschärfen und über steigende Löhne auch die Preise treiben wird.

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Und dann ist da noch der Kampf gegen den Klimawandel – auch er ist ein kardinaler Preistreiber. Durch neue Gesetze werden fossile Brennstoffe oder das Bauen kostspieliger, und milliardenschwere Investitionen in Öko-Technologien setzen die Wirtschaft unter Volldampf.

Der Immobilienmarkt weist in manchen Regionen Deutschland deutliche Überbewertungen auf. Auch hier warnen Experten vor einem Hype.
Der Immobilienmarkt weist in manchen Regionen Deutschland deutliche Überbewertungen auf. Auch hier warnen Experten vor einem Hype. | Bild: Hauke-Christian Dittrich, dpa

Wie unabhängig ist die EZB?

Das vielleicht wichtigste Argument, das für eine anhaltende inflationäre Entwicklung spricht, ist aber ein politisches. Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt im Moment keine Ambitionen erkennen einzuschreiten, etwa durch Leitzinsanhebungen im Euroraum oder eine Beendigung ihrer milliardenschweren Staatsanleihenkäufe in Ländern Südeuropas. Im Gegenteil: Vor Kurzem hat sie ihr Inflationsziel leicht nach oben angepasst. Das Signal ist klar: Die EZB sieht keinen Handlungsdruck, den Preisauftrieb einzuhegen.

Schuldner gewinnen, Sparer verlieren

Der große Nutznießer dieser Geldpolitik sind die EU-Staaten. Sie können sich weiter nahe am Nulltarif verschulden. Deutschland verdient im Moment sogar daran, Staatsschulden anzuhäufen, weil Bundesanleihen so gefragt sind, dass Investoren dafür negative Zinsen in Kauf nehmen. Und so werden überall gigantische Schuldenberge aufgehäuft. Würde in so einer Lage das Zinsniveau in der EU steigen, bestünde die reale Gefahr von Staatspleiten, vor allem in Südeuropa. Die Folge wäre eine neue Eurokrise. Daher scheut die EZB das Thema Zinsanpassungen wie der Teufel das Weihwasser.

Die Zeche zahlen die Sparer, deren ständig anschwellende Einlagen keinen Zins mehr abwerfen und jetzt zusätzlich von Verwahrentgelten der Banken und der Inflation aufgefressen werden. Die alte Regel, wonach eine Inflation die Sparer zu Verlierern und die Schuldner zu Gewinnern macht, ist aktuell wie selten. Sowohl im Wahlkampf als auch in den Sondierungen der Parteien ist diese wohl massivste Vermögensumverteilung seit Jahrzehnten fast kein Thema. Deutschland fehlen momentan die Antworten auf die sozialpolitischen Verwerfungen, die aus der Corona-Krise erwachsen. Es ist höchste Zeit, sie nachzureichen.