Die Absagen kamen nach der Verkündung der neuen Corona-Regeln in Baden-Württemberg fast im Minutentakt. Konstanz, Friedrichshafen, Waldshut, Freiburg – nahezu alle größeren Weihnachtsmärkte in der Region wurden kurz vor ihrer Eröffnungen gestrichen oder vorzeitig beendet. Die 2G-plus-Regel und eine Besucherbeschränkungen waren größere Einschnitte, als die allermeisten Veranstalter verkraften konnten. Verlierer sind die Schausteller, die nach zwei sehr schwierigen Jahren auf einen Neustart gehofft hatten – und jetzt vor dem Nichts stehen.
Werner Burgmeier schlägt deswegen Alarm und spricht von einem Existenzkampf. „Wir haben keine Reserven mehr“, sagt der Verbandschef der Schausteller und Marktkaufleute in Baden-Württemberg über seine Branche. Die kurzfristige Absage vieler Weihnachtsmärkte sei ein Desaster. Nach zwei Jahren ohne Erträge hätten die Händler diese Einnahmen dringend benötigt. Und nicht nur wirtschaftlich – auch psychologisch hätte es den Menschen wieder Kraft gegeben.
Denn nach 19 Monaten Corona-Pandemie hatten Schausteller und Markthändler in diesem Jahr auf die Weihnachtssaison gehofft. „Einige haben seit Dezember 2019 keine Einnahmen mehr gehabt“, sagt der 72-jährige Burgmeier. „Es gibt Leute, die haben ihre letzten Dinge zu Geld gemacht, um die Teilnahme am Weihnachtsmarkt zu finanzieren“, schildert er die Hoffnungen, die die Branche in die Adventszeit gesetzt hatte.
„Wir waren froh, dass die Veranstaltungen stattfinden sollten. Einige machen dort bis zu 50 Prozent ihres Jahresumsatzes“, schildert der Verbandschef. Zwar seien die Erwartungen nicht optimistisch gewesen. „Aber die Weihnachtsmärkte waren ein Lichtblick für die Branche.“ Für viele war es das wert, bestimmte Opfer zu bringen.
Und so wurden Waren bestellt und die Standgebühren an die Veranstalter gezahlt, die sich auf großen Märkten je nach Hüttengröße schnell im fünfstelligen Bereich bewegen. Vor allem die Händler mit verderblichen Waren werden wohl auf ihren Kosten sitzen bleiben. Denn lagern lassen sich nur die wenigsten Lebensmittel.
Sylvia Urbania hatte mit ihrer Schwester Angelika Reckow einen Stand mit selbst gebrannten Mandeln und anderen Süßigkeiten auf dem Konstanzer Weihnachtsmarkt. Noch vor der Absage sagte sie, sie würde die verderblichen Waren verschenken, wenn der Markt geschlossen würde. Darum wird sie nun nicht herumkommen. Viele der bunten Bonbons würden allerdings nicht so schnell verderben.

Doch sie hatte die Hoffnung wieder eigenes Geld verdienen zu können. Finanziell bewege sie sich „hart an der Grenze“. Nur durch die Unterstützung der Familie habe sie mit dem Geschäft überleben können, erzählt Sylvia Urbania.
Die Einnahmen waren eingeplant, die Pläne schienen sicher
Um so härter trifft sie und andere Markthändler und Schausteller die jetzige Situation. „Viele haben mit den Einnahmen gerechnet“, so Burgmeier, der für etwa 2000 Betriebe spricht. Noch im September als der Rahmen für die Weihnachtsmärkte gesetzt worden sei und damit Rechtssicherheit geschaffen wurde, habe niemand diese Entwicklung absehen können. Nun gilt für Weihnachtsmärkte eine 2G-plus-Regelung und Besucherbeschränkungen.
Grundsätzlich hält Burgmeier, der volles Verständnis für die ergriffenen Maßnahmen zeigt, die Märkte auch unter diesen Umständen für durchführbar. Allerdings hänge das stark von den Gegebenheiten vor Ort ab. Bei einem Weihnachtsmarkt in der Fußgängerzone könne schlecht die ganze Einkaufsstraße eingezäunt und kontrolliert werden.
Sozialministerium sieht keine Engpässe bei Schnelltests
2G-plus sieht das Sozialministerium des Landes in der derzeitigen Situation als Kompromiss an. „Wir wollen die Weihnachtsmärkte nicht verbieten“, sagte ein Sprecher auf Nachfrage des SÜDKURIER. „Wir sehen ja die Sehnsucht der Menschen danach.“ Die politischen Entscheidungen seien immer eine Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit. So könnten die Märkte stattfinden – wenn alle Geimpften und Genesenen zusätzlich getestet seien. Kostenlose Angebote gäbe es durch die Bürgerschnelltests.
Ein Kapazitätsproblem bei Testangeboten sieht das Ministerium nicht. Diese könnten, wie die Erfahrung gezeigt hat, je nach Bedarf hochgefahren werden. Von einigen Veranstaltern, etwa in Konstanz, war eine Testknappheit mit als Grund für die Absage angegeben worden.
Burgmeier sieht jetzt die Politik in der Pflicht. „Mit den bisherigen Hilfen ist es nicht getan. Die reichen bei weitem nicht aus“, sagt der erfahrene Markthändler, der selbst seit 45 Jahren „auf der Reisen“ ist. Wo das Geld nun herkomme, das sei Sache der Politiker. Klar ist für ihn dennoch, dass es fließen muss und zwar schnell, damit die nun offenen Rechnungen der Warenbestellungen beglichen werden können.
„Vielen haben den riesigen Berg an Schulden nun noch weiter erhöht“, appelliert Burgmeister in Richtung Entscheidungsträger. Zusätzlich kenne er Fälle, in denen Hilfsgelder aus dem März noch nicht gezahlt wurden. Er hebt allerdings das bisherige Engagement der Landesregierung in Baden-Württemberg hervor. In der Bewältigung der Krise hätten sie zusätzliche Unterstützungen zu den Hilfen auf Bundesebene eingeführt.
Unterstützung vom Land
Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut sicherte der Branche in einer Stellungnahme weiter ihre Unterstützung zu. Das Land stehe Seite dieser von der Corona-Pandemie hart betroffenen Branche. Der Bund werde die Überbrückungshilfe III Plus über den 31. Dezember 2021 hinaus bis zum 31. März 2022 verlängern. Diese Hilfe fördert Unternehmer mit Zahlungen, die sich an der Höhe der entgangenen Umsätze bemessen. „Ich dränge beim Bund darauf, dass diese Hilfen rasch an den Start gehen und dabei auch die jetzigen hohen Belastungen angemessen berücksichtigt werden“, so Hoffmeister-Kraut.
Das Land müsse nun zeitnah über die Weiterführung der eigenen Förderprogramme entscheiden. Gemeint ist der fiktive Unternehmerlohn sowie der Tilgungszuschuss Corona. „Mit diesen beiden Corona-Landeshilfen konnten wir der Branche bisher nachhaltig unter die Arme greifen und haben viele Existenzen gesichert.“ Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sicherte am Mittwoch Unterstützung zu, unter anderem einen erleichterten Zugang zu Eigenkapitalzuschüssen.
Keine Schadensersatzansprüche gegen Veranstalter
Doch auch wenn neue Unterstützung zugesagt ist, bleibt die Lage angespannt. So wie es Burgmeier schildert werden die wenigsten Standbetreiber auf den abgesagten Weihnachtsmärkten die Möglichkeit haben Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Zum einen sei das in den Verträgen mit den Veranstaltern – schon vor Corona – bei einer Absage meist ausgeschlossen. „Wir tragen das volle Risiko und sind auf den guten Willen der Kommunen angewiesen.“ Zum anderen sei es schwierig im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes solche Forderungen durchzusetzen.
Trotzdem kann der Eindruck entstehen, dass das Land die Hürden absichtlich so hoch gesetzt hat, damit sie die Märkte nicht offiziell absagen müssen, sie aber durch hohe Sicherheitsbestimmungen trotzdem nicht stattfinden können. So können die Händler gegenüber dem Land keine Schadensersatzansprüche stellen. Dieser Vermutung widersprach der Sprecher: „Eventuelle Schadensersatzansprüche haben in unserer Überlegung keine Rolle gespielt. Wir stellen keine finanziellen Gründe vor die Sicherheit der Menschen.“
Burgmeier wünscht sich künftig von den Politikern mehr Mut und von den Besuchern mehr Disziplin. „Wir werden es nur gemeinsam schaffen“, gibt er mit Blick auf die Herausforderungen zu bedenken. Das Gespräch am Telefon fällt ihm zum Ende hin hörbar schwer. „Wir geraten in Vergessenheit“, äußert er seine Ängste über die Zukunft der Branche. Wenn nichts passiere, werde sie aussterben und damit auch ein Teil des Kulturgutes und bunte Kindheitserinnerungen von Jahrmarktbesuchen. „Wir müssen bald wieder ans Netz gehen.“
Denn arbeiten wollen sie alle. „Wir haben unseren Stolz und immer mit unserer Hände Arbeit das Geld verdient.“ Burgmeier hofft auf bessere Konzepte für das kommende Jahr, auch wenn er weiter Absagen von Veranstaltungen befürchtet. Für ihn steht fest, dass uns die Pandemie noch weiter begleiten wird. Also wie geht es weiter?
„Bei uns ist es viertel nach Zwölf“, sagt der Verbandschef. Er geht davon aus, dass nur etwa 60 Prozent der Betriebe die Krise überleben werden. Seine Branche sei am stärksten von der Krise getroffen, habe aber einfach keine Lobby.