Herr Resch, Ende September jährt sich die Aufdeckung des VW-Dieselskandals zum fünften Mal. Hat die Branche aus dem Debakel etwas gelernt?
Leider nein. Die Dieselkonzerne bestreiten ihren Betrug so lange, bis wir oder staatliche Stellen die illegalen Abschalteinrichtungen nachgewiesen haben. BMW, Daimler und VW haben den Diesel mit Tempo 200 an die Wand gefahren. Erst jetzt messen wir in unserem Emissions-Kontroll-Institut erste Diesel-Pkw, die auf der Straße wie im Labor die NOx-Grenzwerte weit unterschreiten.
Welche Zukunft hat der Diesel noch?
Diese Entwicklung kommt zu spät. Der Diesel ist tot, mausetot. Die meist in übergroßen SUV verbauten Dieselmotoren haben dafür zu hohe CO2-Emissionen. Da sich zudem die Dieselkonzerne weigern, die europaweit 40 Millionen Diesel-Pkw mit defekter Abgasanlage zu reparieren, sperren immer mehr europäische Städte ab 2025 Diesel aus. Die Nachfrage nach Diesel bricht gerade massiv ein: Im August 2020 war nur noch jeder vierte Neuwagen ein Diesel.
Haben die getäuschten Verbraucher Gerechtigkeit erfahren?
In den USA, ja. Dort haben die Umweltbehörden den Diesel-Skandal konsequent aufgeklärt, hohe Strafen verhängt und jedem betrogenen Autokäufer den finanziellen Schaden ersetzt und eine funktionierende Abgasreinigung nachgerüstet.
In Deutschland versagt der Staat, wenn es um die Kontrolle der Autokonzerne geht. Bis heute haben die Zulassungsbehörden keinen einzigen Bußgeldbescheid verschickt. Das Gesetz schreibt eigentlich 5000 Euro pro Fahrzeug vor. Und bis heute wagt die Regierung nicht, einen amtlichen Rückruf mit Hardware-Nachrüstung auf Kosten der Dieselkonzerne anzuordnen.

Wie stehen die Chancen, dass die Verbraucher auch außerhalb der USA zu Ihrem Recht kommen?
Politik und Autokonzerne blicken aktuell gespannt zum Europäischen Gerichtshof. Dort wird voraussichtlich noch im Herbst ein Grundsatzurteil zu einer Klage der Deutschen Umwelthilfe getroffen, vor der die Autobranche zittert.
Sollte uns das höchste europäische Gericht recht geben, muss das Kraftfahrtbundesamt entweder die Betrugsdiesel stilllegen oder die Hersteller zu einem amtlichen Rückruf und Hardware-Nachrüstung verpflichten. Damit haben alle betroffenen Besitzer dieser Fahrzeuge einen Anspruch auf kostenfreie Reparatur oder Schadenersatz.
In Deutschland kommt die Nachrüstung alter Dieselfahrzeuge mit neuer Abgastechnik nicht in Gang. Von Millionen PKW sind erst wenige Hundert nachgerüstet. Was ist das Problem?
Daimler und VW haben zwar im Prinzip die volle Kostenübernahme bis 3000 Euro zugesagt. Bisher verzichtet aber die Bundesregierung darauf, diese Hardware-Nachrüstung einzufordern. Und so raten Daimler und VW anfragenden Fahrzeugbesitzern davon ab. Stattdessen wird für die Softwareupdates geworben.
Wir haben diese genau untersucht und bei winterlichen Temperaturen, dann, wenn NO2 besonders problematisch ist für die Gesundheit, haben wir beispielsweise bei einem Mercedes-Diesel noch höhere NOx-Werte gemessen als vor dem Update.
Die Autohersteller bezweifeln Ihre Argumentation und führen an, die Software-Updates brächten sehr wohl substanzielle Verbesserungen….
Lassen wir den Europäischen Gerichtshof entscheiden, ob 25 Prozent Verbesserung bei sommerlichen Außentemperaturen und bestenfalls 0 Prozent im Winter reichen, wenn dadurch der gesetzliche NOx-Grenzwert immer noch fünfmal überschritten wird. Da der Staat in seiner Aufsichtspflicht versagt, setzen wir halt über Gerichte die saubere Luft durch.

Beim Diesel-Betrug ging es um zu hohe Schadstoffwerte im Abgas, etwa Stickoxiden. Bei Benzinfahrzeugen geht es um falsch angegebene Verbräuche, also CO2. Was kommt da noch auf die Branche zu?
Die DUH hat in knapp 2000 Einzel-Abgastests praktisch alle Diesel-Hersteller den Abgasbetrug nachgewiesen. Aber Dieselgate ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch bei Benzinern wird betrogen. Seit 2010 zeigen wir mit Abgasuntersuchungen, wie minimale Veränderungen der Rahmenbedingungen Partikel und Stickoxid-Emissionen bei Benzin-Direkteinspritzern um das bis zu 30-Fache explodieren lassen.
Der größte Skandal sind allerdings die manipulierten Spritverbrauchsangaben und damit geschönten CO2-Emissionswerte. Der durchschnittliche Mehrverbrauch von Autos im Realbetrieb gegenüber den auf dem Prüfstand ermittelten Werten beträgt mittlerweile 40 Prozent.
Wie geht das?
Beispielsweise dadurch, dass das Fahrzeug erkennt, ob es auf der Straße fährt oder im Labor auf einem Rollenprüfstand steht.
Aber die Testzyklen sind doch verbessert worden, sodass sie die Realität viel besser abbilden als früher…
Der neue Prüfzyklus WLTP ist tatsächlich realitätsnäher und die Spritverbrauchsangaben sind realistischer. Diese Werte werden aber trotz EU-Verordnung nicht veröffentlicht, sondern um bis zu 40 Prozent verringert. Erst mit dem Kfz-Steuerbescheid erfährt der Käufer, wie klimaschädlich und spritdurstig sein Neuwagen ist. Und dass er entsprechend 40 Prozent mehr Kfz-Steuer zahlen muss. So täuschen Bundesregierung und Hersteller konspirativ seit 2018 jährlich drei Millionen Pkw-Neukäufer.
Die Autobauer bewegen sich hier innerhalb der Gesetze. Es gibt aber auch immer mehr Hinweise, dass bei Benzinern illegale Technik eingesetzt wurde, oder?
Wir haben das Verkehrsministerium 2016 detailliert über die jeweils spezifisch eingesetzten betrügerischen Praktiken informiert, ohne dass dieses tätig wurde. Bei Audi oder Porsche reicht beispielsweise eine einmalige Lenkbewegung. Auf der Prüfrolle gilt die eiserne Regel, niemals das Lenkrad zu berühren.
Wie groß wird das Thema werden?
Beim CO2-Betrug stehen wir noch ganz am Anfang der Aufklärung. Die Nervosität bei den Herstellern ist groß, da es hier eben auch um Steuerbetrug in Milliardenhöhe geht. Mich stört aber am meisten, dass damit die Klimaschutzanstrengungen ad absurdum geführt und die Autokäufer sehr viel höhere als angegebene Kraftstoffkosten haben. Seit zehn Jahren hängt die Kfz-Steuer vom CO2-Wert ab.
Besondere Verbrauchsdifferenzen ergeben sich offenbar bei als sehr umweltfreundlich geltenden Hybrid-Fahrzeugen. Stimmt das?
Anfang September haben wir Alarm geschlagen und die Bundesregierung aufgefordert, die finanzielle Förderung von Plug-in-Hybriden sofort auszusetzen. In unseren Straßentests haben wir beim Porsche Cayenne E-Hybrid eine bis zu fünffache Überschreitung des EU-Flottengrenzwerts für CO2 gemessen.
Dennoch werden diese meist voluminösen Monster-SUV mit E-Kennzeichen privilegiert und wie ein batterieelektrisches Fahrzeug mit bis zu 26.000 Euro als Elektro-Dienstwagen gefördert, trotz in Wirklichkeit teils absurd hohen Verbrauchswerten. Nicht umsonst gibt es in Ländern wie Holland oder Großbritannien keinerlei Förderung für Plug-in-Hybride. Deutschland fördert hingegen diese absurden Fahrzeuge massiv.
Zu welcher Antriebsart würden Sie aus Öko-Gesichtspunkten raten?
Wir empfehlen hier Fahrrad, Bahn oder Bus. Wer nicht auf das Auto verzichten kann: Kaufen Sie bitte keinen Verbrenner, sondern ein rein batterieelektrisches Fahrzeug. Durch die aktuelle Förderung sind diese Fahrzeuge häufig nicht teurer als Diesel und Benziner.
Treibt man mit dem E-Auto den Teufel nicht mit dem Beelzebub aus? Immerhin ist die Öko-Bilanz von E-Autos auch zweifelhaft…
…so steht es in Studien der Dieselkonzerne. Neutrale Untersuchungen zeigen hingegen selbst unter Berücksichtigung des Kohlestromanteils in Deutschland einen schon klaren Vorteil batterieelektrischer Fahrzeuge gegenüber Benzin und Diesel – auch wenn man die Herstellung des Fahrzeugs mitrechnet.
Die DUH versucht – böse formuliert – seit Jahrzehnten, den Deutschen das Autofahren auszutreiben. Haben Sie versagt?
Wieso sollen wir versagt haben?
Weil die Zahl der zugelassenen Autos in Deutschland 2019 dennoch um 620.000 Fahrzeuge auf 47,7 Millionen gestiegen ist.
Deutschland definiert sich leider immer noch über die Automobilindustrie und daher hat sie sich bis vor Kurzem meist gegen uns durchgesetzt. Doch die Zeiten ändern sich. Die Menschen wollen weniger Monster-SUV in den Städten, saubere Luft und sichere Fahrradwege.
Unsere Nachbarländer Österreich, die Schweiz, Luxemburg, die Niederlande und Dänemark zeigen uns, wie die Mobilität erhalten und die Lebensqualität gesteigert werden kann: Mit mehr Bus, Bahn, Tram und Fahrrad und gleichzeitig weniger Autoverkehr. Aktuell setzen wir uns bundesweit für 365-Euro-Jahrestickets im Nahverkehr ein, wie dies mustergültig bereits in Radolfzell praktiziert wird.
Mit unseren Luftreinhalteklagen konnten wir beispielsweise konkret 1,5 Milliarden Euro Bundesmittel zusätzlich für die saubere Luft in unseren Städten durchsetzen.
Ein dickes Brett, an dem wir gerade bohren: 13.000 Kilometer Schienenstrecke sind noch nicht elektrifiziert. Mit Bahnvorstand Richard Lutz habe ich vereinbart, dass wir gemeinsam in sogenannten Leuchtturmprojekten eine beschleunigte Elektrifizierung erproben werden. Und die seit 30 Jahren mit schmutzigen Dieselzügen befahrene Bodensee-Gürtelbahn zwischen Radolfzell und Friedrichshafen ist eines der ausgewählten Leuchtturmprojekte.
Kommt das Tempolimit auf Autobahnen und Tempo 30 in Innenstädten?
Ja! 2022 kommt das Tempolimit auf Autobahnen. Selbst der ADAC hat seine Kampagne dagegen beendet. Wir brauchen auf Autobahnen Tempo 120, auf Landstraßen Tempo 80 – wie es uns die Schweiz vormacht. Und innerorts eine Herabsetzung der Regelgeschwindigkeit auf Tempo 30. Durch unsere Luftreinhalteklagen konnten wir in vielen Städten viele neue Tempo-30-Zonen schaffen. Mainz hat dies sogar in der gesamten Stadt durchgesetzt – ein Vorbild auch für die Städte am Bodensee und im Hinterland?