In Böblingen südlich von Stuttgart hat die Automobilkrise voll zugeschlagen. In dem Ort hat der Automobilzulieferer Eisenmann seinen Sitz, oder sollte man sagen hatte?
Denn viel ist nicht mehr übrig von dem einstmals stolzen Unternehmen. In den 2000er-Jahren zählte Eisenmann zur Elite der Lackieranlagenbauer weltweit. Dann schlitterte der Familienbetrieb vor gut einem Jahr in die Insolvenz. Bis ins Frühjahr 2020 zog sich die Suche nach möglichen Investoren hin. Gerade als die Verträge mit einer chinesischen Unternehmengruppe im Februar ausgearbeitet waren, schlug Corona zu, und die geplante Übernahme platzte. Jetzt stehen 650 Mitarbeiter vor der Türe.
Auch weiter südlich im Automobilland Baden-Württemberg schlägt die Krise voll durch. Zwischen Schwarzwald, Alb und Bodensee vergeht kaum eine Woche, in der nicht wieder ein Zulieferbetrieb Investitionen auf Eis legt oder Jobabbau ankündigt.
Beim Donaueschinger Zahnrad-Spezialisten IMS Gear fallen 300 Stellen weg, bei Marquardt aus Rietheim bis zu 200, und ZF Friedrichshafen will deutschlandweit 7500 Jobs abbauen. 60 Prozent der Branche will in Folge der Corona-Krise Personal entlassen, heißt es in einer aktuellen Umfrage des Automobilverbands VDA. Für eine Region wie den badischen Landesteil Baden-Württembergs, wo sich rund 350 Automobilzulieferer mit insgesamt 190.000 Jobs tummeln, sind das schlechte Nachrichten.
„Die Pandemie beschleunigt den Strukturwandel in der Industrie erheblich“, sagt Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Freiburger Industrieverbands WVIB. Nach der Finanzkrise seien die Schwächen der Firmen durch eine laxe Geldpolitik der Zentralbanken übertüncht worden. Über ein Jahrzehnt hätten sie sich billig mit Krediten eindecken und so ihr Wachstum finanzieren können. Jetzt, da die Nachfrage wegbreche, gerieten solche Geschäftsmodelle ins Wanken.
WVIB: Industrie ist noch intakt
Tatsächlich sah es im Automobilgeschäft lange nicht so düster aus. Fast keine Firma schreibt aktuell schwarze Zahlen. Seit 2017 sinkt die globale Fahrzeugnachfrage. 2020 ist sie regelrecht eingebrochen. Einer Studie des Duisburger Center Automotive Research (CAR) zufolge haben sich allein in Europa Überkapazitäten in der Produktion von rund sieben Millionen Fahrzeugen aufgebaut. Bis zu 100.000-Stellen könnten in den deutschen Pkw-Werken wegfallen, schätzt CAR-Chef Ferdinand Dudenhöffer. Bei den Zulieferern könnte es noch heftiger werden, weil an jedem der etwa 830.000 Konzern-Arbeitsplätze vier bis fünf Jobs bei Zulieferbetrieben hängen.
Westeuropa, schätzt Dudenhöffer, wird das Zentrum der Krise sein. Hier sind die Überkapazitäten am größten und die Werke teils in die Jahre gekommen. Neu investiert wurde zuletzt vor allem in Ost- und Südosteuropa. Oft laufen hier in neuen Fabriken nun die Zukunftstechnologien vom Band.
Auch die Pleiten häufen sich. Mit dem Zylinder-Spezialisten Gehring aus Ostfildern, dem Motorenexperten Weber aus Markdorf oder eben Eisenmann trifft es durchaus auch technologisch starke Unternehmen. Andere, wie die Gießerei Fondium aus Singen haben im letzten Moment die Kurve bekommen.
Wie geht es drei Betrieben in der Region?
Kendrion: Der Industrie-Zulieferer am Fuß der Alb
„Ich hatte anfangs nicht erwartet, dass das Virus so schnell zu uns hinüberspringt“, sagt Ralf Wieland, Geschäftsführer fürs Operative (COO) beim niederländischen Autmobilzulieferer Kendrion, mit Standorten in Villingen, Donaueschingen und Markdorf. Aber als die Lage in China im Frühjahr immer angespannter wurde, reagierte der Kendrion-Manager entschlossen. „Innerhalb einer Woche haben wir Ende März alle unsere acht Automobil-Standorte komplett heruntergefahren“, sagt Wieland. Das ging auch gar nicht anders. „Bei wichtigen Kunden war plötzlich einfach keiner mehr da“, sagt er. Nicht einmal mehr die Abrufe von Teilen seien korrigiert worden.

Die Verwaltungsangestellten seien in zwei Tagen komplett ins Homeoffice gewechselt. „Die Gesundheit der Mitarbeiter hatte zu jeder Zeit Vorrang“, sagt er. Auch Wieland selbst verlagerte sein Büro in die eigenen vier Wände – für insgesamt neun Wochen. „Meine Welt ist verdammt klein geworden“, sagt er. „Vier Schritte raus aus dem Bett an den PC. Dann Videokonferenzen, morgens mit den Chinesen, tagsüber die Europäer und abends die Amerikaner. Ich habe wochenlang nur mit dem Bildschirm gesprochen“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Gottfroh sei er gewesen, als er wieder den ersten Schritt in die Firma setzen durfte – als einer der ersten überhaupt.
Weniger wurde die Arbeit deswegen aber nicht, denn auch Kendrion, das mit 2550 Beschäftigten 2019 weltweit einen Umsatz von 412 Millionen Euro einfuhr, ist hart von den Auswirkungen der Corona-Krise getroffen, nutzt Kurzarbeit. Für 2020 rechnet Wieland mit geringeren Erlösen im Automotive Bereich. Da das Unternehmen aber auch Industriekunden mit Bremsen und Kupplungen beliefert, die in der Krise recht stabil weiterordern, könne das Minus ein Stück weit kompensiert werden. Im Moment sei sogar ein Gewinn für 2020 möglich, sagt er.
Ob die Rekorde des Jahres 2018 aber jemals wieder erreicht werden können, stehe in den Sternen, sagt Wieland. Corona sei wirtschaftlich betrachtet gar nicht das Hauptproblem. Dieses liege in der technologischen Disruption in den Fahrzeugmärkten, deren Folgen noch nicht absehbar seien. Bei Personal geht der Trend bei Kendrion hin zur Software. Hier und auch in China und den USA baue man Personal aus. In Europa seien die Kapazitäten eher zu hoch.
ETO: Der Motoren-Spezialist vom Bodensee

Als Michael Schwabe Anfang Januar 2020 das neue Werk des Stockacher Automobilzulieferers ETO nahe der chinesischen Millionenstadt Schanghai eröffnete, war Corona fern. Wachsamkeit ja, Besorgnis nein, könnte man den Befund damals zusammenfassen. Die Freude, auf dem wichtigen chinesischen Markt einen großen Schritt nach vorne zu gehen, überwog. Zwei Monate später saß der Chef des Ventil- und Sensorspezialisten – Umsatz 2019 rund 395 Millionen Euro – dann im Flugzeug aus dem USA in die Schweiz. Der Pilot begrüßte die Passagiere mit den Worten: „Glückwunsch, Sie sind in der letzten Maschine, die aus San Francisco rausgeht.“
„Das war einschneidend“, sagt Schwabe rückblickend. Die flapsige Bemerkung des Piloten brachte die Stimmung auf den Punkt. Den Corona war zum alles bestimmenden Thema geworden. China hatte die Pandemie voll erwischt, in den USA herrschte eine Mischung aus Vorsicht und „komplettem Wegleugnen der Gefahr vor“, sagt Schwabe. In den Augen mancher Mitarbeiter habe er damals die „blanke Angst gesehen“.
Bei ETO, das mit seinen Ventilsteuerungen Audi-Motoren zu mehr Kraft verhilft, ging man daher auf Nummer sicher und führte „rigide Maßnahmen“ ein, wie der langjährige Chef des Stiftungsunternehmens sagt. Obligatorische Temperaturmessung, Maskenpflicht. China, das dem Rest der Welt in der pandemischen Entwicklung voraus war, stand Pate. Heute sagt Schwabe: „Wir haben das ganz gut abgewettert“. Bei rund 2100 Mitarbeitern gibt es bis heute keinen einzigen Corona-Fall.
Die wirtschaftlichen Schäden sind indes erheblich. Das vom Lockdown dominierte zweite Quartal brachte Umsatzeinbrüche von 50 bis 60 Prozent. Für das Gesamtjahr rechnet der ETO-Chef mit einem Erlösminus von bis zu 20 Prozent und danach einer flachen Erholung bis 2023. „Noch verkraftbar“, sagt Schwabe.
Zu Gute kommt dem Unternehmen, dass es technologisch vorn ist. Seine Motoren-Technologie, die auch für Hybrid-Modelle weiterentwickelt wird, ist gefragt. Dennoch reduziert auch ETO das Personal. Von rund 200 Zeitarbeitern habe man sich trennen müssen. Insbesondere schlechter Qualifizierte trifft es. Die Maschinen, an denen sie arbeiten, sind weniger effizient und sind in der Krise die ersten, die ausgemustert werden.
Burger-Gruppe: Schwarzwälder Alleskönner, der auch Masken macht
Für die Schonacher Burger-Gruppe hat die Corona-Pandemie wenigstens einen positiven Aspekt gebracht. Der Spezialist für Antriebstechnik ist in ein neues Geschäft eingestiegen. „In unserem Werk in Kanada produzieren wir jetzt die zentrale Komponente für Schutzmasken, sogenannte Face-Shields“, sagt Thomas Burger, Geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens, das im Jahr 2019 mit mehr als 1000 Mitarbeitern einen Umsatz von 175 Millionen Euro einfuhr. Man habe im Zusammenspiel mit unkomplizierten Behörden in Kanada in kürzester Zeit „viel Kompetenz neu aufgebaut“, sagt er.
Diese ist wohl nicht überall gefragt. Burger hat das Produkt auch deutschen Behörden angeboten. Ohne Erfolg: Man habe sich mit bereits „aus dem asiatischen Markt eingedeckt“, sagt der Firmen-Chef, der gleichzeitig Präsident des Industrieverbands WVIB Schwarzwald AG ist. Diese Episode wiederum gehört für Burger zu den ernüchternden Tatsachen der Corona-Pandemie.
Diese war auch für das Schwarzwälder Unternehmen, das Kunden in der Medizintechnik, dem Maschinen- und Autobau sowie in der Haushalts- und Gebäudetechnik hat, herausfordernd. Am Anfang der Krise sei die Produktion gefährdet gewesen, weil viele Zulieferteile, etwa Motoren, aus China nicht mehr eingetroffen seien, sagt Burger. Auch bei den Kunden, habe „Hektik und Unruhe“ geherrscht.
Bei Burger, der rund die Hälfte seiner Angestellten im Schwarzwald beschäftigt – hat das Geschäft indes bereits „Anfang Juni“ wieder spürbar angezogen. Nach Einbrüchen bis Mai sei man derzeit wieder bei 85 Prozent des Niveaus von „vor Corona„, sagt Burger. Im Monat Juli sei man – gemessen an den neuen Zielen – „im Plan“. Es geht also langsam wieder aufwärts. „Wir streben im Jahr 2020 eine schwarze Null an“, sagt er. Die Erlöse werden wohl um rund 15 Prozent einbrechen, auf 150 Millionen Euro.
Für wichtig hält es der Burger-Chef aber, nicht immer alles schwarz zu malen. So schaffe man auch Probleme, sagt er. „Wirtschaft ist Stimmung und Stimmung ist Konsum“, sagt er. Froh ist der Firmenchef, dass er seine Mitarbeiter gut durch die Krise gebracht hat. Er selbst hat aber auch gelitten. „Ich bin ein geselliger Mensch, der den Austausch mit anderen braucht, auch im Betrieb“, sagt er. Da zeige einem die Pandemie deutlich die Grenzen auf.