Eigentlich sieht man sich beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen als Spezialist für vier Räder. So ruckelfrei wie die Automatikgetriebe vom Bodensee schalten wenig andere Produkte. Und die konzerneigenen Stoßdämpfer und elektronischen Lenkungen chauffieren Pkw-Insassen sanft und sicher über deutsche Straßen.

Erster Versuch Bike-Motoren zu bauen floppte

Seit einiger Zeit hat der Stiftungskonzern vom Bodensee aber auch das Fahrradgeschäft für sich entdeckt. Wie übrigens viele andere Autozulieferer auch. Im Jahr 2020 stellten die Friedrichshafener Ingenieure ihren ersten Fahrradantrieb für E-Bikes in der Firmengeschichte vor. Das als „Rundum-Sorglos-Antrieb“ mit breiter Brust präsentierte Aggregat floppte allerdings. Deutschlands damals stärkster Bike-Motor war für die Bedürfnisse der meisten Nutzer schlicht überdimensioniert.

Die meisten Fahrradhersteller winkten ab und entschieden sich lieber für massentauglichere Konkurrenzprodukte von Bosch, Yamaha, Shimano oder Brose. Zudem fremdelten die kumpelhaft daherkommenden Biker dem Vernehmen nach mit den Automanagern vom Bodensee und deren oberlehrerhaften Auftreten – so zumindest sagt es der Chef eines baden-württembergischen Fahrradbauers, bei dem ZF damals anklopfte, aber am Ende nicht zum Zuge kam.

Völlig neues ZF-Produkt ab 2025 beim Händler

Jetzt jedenfalls will ZF alles anders machen und startet einen zweiten Anlauf. Auf der diesjährigen Fahrradmesse Eurobike hat der Konzern einen gänzlich neu konzipierten Antrieb vorgestellt. Er ist leichter, kleiner, effizienter und vor allem digital vernetzter als das Vorgängermodell.

Außerdem soll er von Fahrradmonteuren in nur wenigen Handgriffen ein- oder ausgebaut werden können und daher eine Antwort auf den grassierenden Fachkräftemangel im Handel geben. „Man muss nur eine Klemme und vier Schrauben lösen und schon kann der gesamte Antrieb gewechselt werden“, sagt Daniel Härter, Chef des Geschäftsbereichs Micro Mobility bei ZF im SÜDKURIER-Gespräch.

Auch der im Unterrohr verbaute Akku ist mit wenigen Handgriffen herausnehmbar. „Mit der Wechselbatterie im Rucksack, verdoppelt man die Reichweite“, sagt der fahrradbegeisterte ZF-Manager, der zur Hochzeitsreise mit seiner Frau über die Alpen gestrampelt ist.

Daniel Härter ist Chef der ZF-E-Bike-Sparte Micro Mobility und selbst begeisterter Radler. Zur Hochzeitsreise gings mit dem Mountainbike ...
Daniel Härter ist Chef der ZF-E-Bike-Sparte Micro Mobility und selbst begeisterter Radler. Zur Hochzeitsreise gings mit dem Mountainbike über die Alpen. | Bild: zf

Flexibel ist der Antrieb also. Aber auch die Leistungsdaten können sich sehen lassen. Bei einem Gewicht von nur 2,5 Kilogramm presst das Aggregat 250 Watt Dauerleistung und bis zu 90 Newtonmeter Drehmoment aus seinen Kupferwindungen.

Zum Vergleich: Das ist deutlich mehr Drehmoments-Power als ein Golf 1 bei seiner Markteinführung vor genau 50 Jahren auf die Straße brachte. Auch bei der Bord-Spannung von 48 Volt rangieren mit ZF-Technik ausgestattete E-Bikes weniger auf dem Niveau normaler Elektrofahrräder, sondern gleichen eher mild hybridisierten Pkws.

Mehr Drehmoment als ein kleiner Golf

Leistungsmäßig rangiert der ZF-Antrieb – interne Bezeichung: Centrix – damit im oberen Drittel der Konkurrenz, die immerhin so klingende Namen wie Bosch, Brose, Mahle, Shimano, Yamaha, Panasonic, Specialized oder Giant umfasst. ZF selbst behauptet sogar, dass die Kombination des Antriebs von hoher Drehmomentsdichte, geringem Gewicht und kleinem Bauraum „einzigartig im Markt“ sei.

Der neue ZF-Centrix-Motor für E-Fahrräder in seine Einzelteile zerlegt. Mit einem Drehmoment von 90 Newtonmetern bringt er mehr Kraft ...
Der neue ZF-Centrix-Motor für E-Fahrräder in seine Einzelteile zerlegt. Mit einem Drehmoment von 90 Newtonmetern bringt er mehr Kraft auf die Räder als so mancher Kleinwagen. Weil die Drehzahl beim Fahrrad-Motor aber viel geringer ist, ist die Leistung beim Auto dennoch viel höher. | Bild: zf

Tatsächlich ist der ZF-E-Motor, der ganz klassisch zwischen den Pedalen des Fahrrads sitzt, nicht viel größer als eine herkömmliche 0,33-Liter-Getränkedose. Bei flüchtigem Hinsehen kann er schon einmal übersehen werden. Zusammen mit dem herausnehmbaren Akku, entsteht sich eine für ein leistungsstarkes E-Bike recht filigrane Optik.

ZF-E-Bike-Vordenker Härter sieht darin einen Vorteil. Für die Fahrradhersteller ergeben sich „völlig neuen Designmöglichkeiten“, sagt er. Deren Ansinnen sei es nämlich, Batterie und Antrieb so zu schrumpfen, dass die elektrifizierten Rad-Varianten optisch künftig gar nicht mehr von normalen Fahrrädern unterscheidbar seien.

Das neue ZF-E-Bike - vom ZF-Ingenieur kurz erklärt Video: Rosenberger, Walther

Nicht nur ein Antrieb, sondern auch App und Schnittstellen

Bei den Kunden immer wichtiger wird – genau wie beim Auto – auch beim Fahrrad das Thema Vernetzung. ZF nimmt den Trend mit einem offenen System mit mehreren Schnittstellen auf. Smartphone oder GPS-Geräte können also direkt am Bike aufgeladen werden, Lampen oder Scheinwerfer ihren Strom direkt aus dem Akku beziehen. Eine App-Steuerung gibt es auch.

Das ZF-Antriebssystem für E-Bikes ist auf einfache Montage und Wartung ausgelegt. Wenige Handgriffe genügen und der Motor ist ...
Das ZF-Antriebssystem für E-Bikes ist auf einfache Montage und Wartung ausgelegt. Wenige Handgriffe genügen und der Motor ist ausgewechselt. Auto den Akku kann man herausnehmen. | Bild: zf

Bayrischer Radbauer Raymon erster ZF-Kunde

Aber beißen diesmal auch die Fahrradhersteller an und statten ihre Bikes mit den Motoren vom Bodensee aus? Seit der Eurobike-Messe Anfang Juli ist klar, dass der Schweinfurter Hersteller Raymon Bicycles die ZF Antriebe übernehmen wird – zunächst für sein vollgefedertes Downhill-Mountainbike Tarok ab Anfang 2025.

ZF-Mann Härter ist voll des Lobes für seinen Erstkunden, dem er „hohe Expertise und Professionalität“ im Fahrradbau attestiert. Dass die Partnerschaft zustande gekommen ist, mag aber auch einfach am Standort liegen. Sowohl Raymon als auch das Elektro-Kompetenzzentrum von ZF sind im bayrischen Schweinfurt angesiedelt.

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Indes gehört der bayrische E-Bike-Bauer mit seinen rund 50 Mitarbeitern nicht zu den dicken Fischen im Fahrradgeschäft. Genauso wie die Hersteller Bergstrom und Ultima, mit denen ZF ebenfalls kooperiert und den Schweizer beziehungsweise den französischen Markt aufmischen will.

Neue Kunden sind seit der Eurobike im Juli nicht hinzugekommen. Aber immerhin heißt es von ZF, man sei „mit einer Reihe namhafter Hersteller in fortgeschrittenen Gesprächen“ und gehe davon aus, dass der neue ZF-Motor in Zukunft bei weiteren Marken verfügbar sein wird.

Dass die neu aufgesetzte Bike-Sparte die Krise des Stiftungskonzerns, in dessen milliardenschweren Automobilzuliefergeschäft die Gewinne derzeit wegbrechen und Tausende Stellen gestrichen werden sollen, beenden kann, ist derzeit nicht absehbar. Zu Umsatz- und Gewinnzahlen im Fahrradbereich schweigt das Unternehmen.