Wenn in nicht allzu ferner Zukunft autonom fahrende Autos unfallfrei über Baden-Württembergs Straßen gleiten, im letzten Winkel des Landes schnelles Internet verfügbar ist und der Gletscherschwund in den Alpen präzise prognostiziert werden kann, könnte das auch an einem tief im Wald versteckten Areal im Norden Baden-Württembergs liegen.
Eingerahmt von der Autobahn 81 auf der einen und den Flüsschen Kocher und Jagst auf der anderen Seite liegt hier eines der wichtigsten Versuchszentren der deutschen Raumfahrtagentur DLR und ihres europäischen Pendants, der ESA.
Hier werden die riesigen Raketentriebwerke der Ariane entwickelt und getestet, die Satelliten auf ihre Umlaufbahn wuchten.
Standort Lampoldshausen strategisch wichtig
„Dieser Standort hier ist für die gesamte Raumfahrt Europas von strategischer Bedeutung“, sagt Stefan Schlechtriem, Direktor des Instituts für Raumfahrtantriebe beim DLR. „Was wir hier tun, ist vielleicht nicht so sichtbar, aber es ist extrem wichtig.“

Auf einer Fläche von einigen Zehntausend Quadratmetern stehen hier, im Harthäuser Wald, mehrere Triebwerksprüfstände, jeder davon gut 30 Meter hoch, so breit wie ein Lkw und ummantelt von teils meterdickem Beton.
Armdicke Versorgungsleitungen für flüssigen Sauerstoff, Wasserstoff oder Helium münden in die Teststände. Bunkertüren führen in dahinterliegende Kontroll- und Wartungsräume. „Wenn hier ein Triebwerk gezündet wird, wackelt es schon ein bisschen“, sagt Claus Lippert vom DLR. „Da hält man besser Abstand.“
Die erste Zündung des neuen Ariane-Oberstufentriebwerks war im vergangenen Herbst, und trotz der Abgeschiedenheit des Testgeländes dürfte sie auch den Anwohnern der umliegenden Ortschaften nicht verborgen geblieben sein. Die Wasserdampfsäule, ein Resultat der Verbrennung mehrerer Tonnen Sauerstoff und Wasserstoff, reichte damals einige Hundert Meter hoch.
In einem verbunkerten Kontrollzentrum rund einen halben Kilometer entfernt vom Teststand, verfolgten die Ingenieure und Techniker das Geschehen damals. Bei den Probeläufen, bei denen die Triebwerke bis zu einer Viertel Stunden laufen und die Flugbahn in Atmosphäre und Orbit quasi nachzeichnen, sei Sicherheit das wichtigste“, sagt Lippert.
Über Wochen und Monate würde der Tag X vorbereitet. „Da darf nichts schiefgehen“, sagt er. In den kommenden Monaten stehen weitere Probeläufe an. Der Zeitplan ist eng, denn Ende 2023 soll die Ariane 6 vom französischen Kourou aus erstmals ins All abheben. Und bevor die Spezialisten aus Baden-Württemberg nicht ihr OK geben, bleibt das europäische Prestigeprojekt am Boden.
Ariane 6 – Hoffnungsträger oder Rohrkrepierer?
Die Ariane 6 ist der Hoffnungsträger der europäischen Raumfahrt beim neu entfachten Rennen ins All. Dieses wird seit einiger Zeit allerdings vor allem zwischen den USA und China ausgetragen. China verfügt über eigene Trägerraketen und baut im Orbit in Rekordgeschwindigkeit seine eigene Raumstation aus. In den Vereinigten Staaten wiederum bereitet die Nasa die Rückkehr zum Mond vor und will perspektivisch sogar den Mars erobern.
Elon Musk treibt Konkurrenz vor sich her
Neben diesen staatlichen Projekten hat seit rund einem halben Jahrzehnt die kommerzielle Erschließung des Weltraums rasant an Fahrt aufgenommen. Treiber hier ist vor allem der US-Milliardär Elon Musk. Mit seiner Raketenfirma SpaceX dominiert er mittlerweile den Markt der satellitengestützten Internetkommunikation. Mehrere Tausend kleine Kommunikationssatelliten hat er seit 2019 im Orbit in Stellung gebracht.
Mit seinen wiederverwertbaren Raketen, die nach dem Start wie von Geisterhand wieder auf der Erde landen können, hat er die Kosten der Raumfahrt massiv gesenkt. Zudem gehen im US-Staat Texas die Vorbereitungen zum Jungfernflug der Starship – der mit 120 Meter Länge größten jemals gebauten Rakete der Welt – in die Endphase.
Auch sie stammt von Musk und soll mit einer Nutzlast von 100 Tonnen auf einen Schlag Dutzende Astronauten oder Raumfahrttouristen oder ganze Satelliten-Konstellationen ins All befördern können.

Europa sieht demgegenüber ziemlich blass aus. Zu einem Zeitpunkt, an dem die kommerzielle Raumfahrt boomt wie nie zuvor, steht der Kontinent bei Trägersystemen quasi blank da. Vom in die Jahre gekommenen Lastesel der Europäer, der Ariane 5, sind gerade noch zwei Raketen startbereit.
In den vergangenen Jahrzehnten hatte Europa seine Zusammenarbeit mit Russland intensiviert und für Starts häufig auf Sojus-Raketen zurückgegriffen. Die sind zuverlässig und vor allem günstig.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist es damit aber vorbei. Die Russen haben ihre Sojus-Raketen aus Kourou abgezogen. Auch von europäischer Seite ist die Zusammenarbeit beendet.
Und weil in der stark politisch geprägten EU-Raumfahrt, der Hang gering ist, Steuergeld der eigenen Bürger in die Kassen eines seltsamen US-Milliardärs zu schütten, ruhen alle Hoffnungen auf der neuen Trägerrakete Ariane 6, deren Oberstufe die Ingenieure in Lampoldshausen gerade testen.

Musk baut größte Rakete der Welt
Indes gibt es erhebliche Zweifel, ob die Ariane die in sie gesetzte Hoffnung erfüllen kann. Manche Experten halten sie für konzeptionell veraltet und im Vergleich zur Konkurrenz zu teuer. Erstens ist sie nicht dafür ausgelegt, Menschen ins All zu befördern. Und zweitens ist sie im Gegensatz zu Musks Falcon-9- und Starship-Raketen als Wegwerfgeschoss konzipiert. Das macht sie teuer.
Zwar werkeln die Ariane-Ingenieure an einem wiederverwertbaren Methan-Triebwerk, das auch das Wiederaufsetzen auf der Erde ermöglichen soll. Ob und wann eine so aufgerüstete Ariane aber abheben kann, ist unklar. Alles in allem sprach Anfang des Jahres die ESA selbstkritisch von einer „ernsthaften Krise des europäischen Trägerraketen-Sektors“.
Satelliten von Airbus in Immenstaad
Auch am Bodensee beobachtet man die Entwicklung mit Interesse. In Immenstaad betreibt der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus Deutschlands größten Satellitenstandort. Als klassischer Hersteller von Erdbeobachtungs-, Klima- und Navigationssatelliten ist man auf Trägersysteme wie die Ariane angewiesen. Jede Verzögerung bei den Raketen bringt da Sand ins Getriebe. Und das Arianeprogramm liegt schon jetzt rund zwei Jahre hinter dem Zeitplan.

In Lampoldshausen ist man derweil sichtlich bemüht, die Zuversicht nicht fahren zu lassen. Die Ariane 6 sei „flexibler und preisgünstiger“ als das Vorgängermodell, sagt etwa Pierre Godart, Deutschland-Chef des Raketenbauers Ariane, der auf dem Gelände in Lampoldshausen eine eigene Triebwerksfertigung betreibt. Die neue Trägerrakete werde „für viele Jahre der Grundpfeiler der EU-Raumfahrt sein“. Bis zu 12 Raketen jährlich könnten ab 2024 die europäischen Produktionshallen verlassen, ist sich Godart sicher.
Hoffnung macht den Raketenbauern aus Europa ausgerechnet ein US-Milliardär. Amazon-Gründer Jeff Bezos hat vor Kurzem Starts für insgesamt 18 Ariane-Raketen gebucht. Auch Bezos will im All ein mehrere Tausend Satelliten umfassendes Netzwerk an Kommunikationssatelliten aufbauen. Genau wie sein Konkurrent Elon Musk es mit seinen Starlink-Satelliten tut. Dessen Günstig-Raketen will er dabei aber offenbar nicht in Anspruch nehmen. Glück für Europa, und seine Ariane könnte man sagen.