Es gibt nur wenige Bilder von Thomas Seger, und einige davon sind etwas unscharf. Eines zeigt einen Mann Ende 30 mit Brille und leicht zerzausten Haaren. Lächelnd und mit listig blinzelnden Augen. Er sitzt vor einem Fenster, das jene rostig-braunen Vorhänge verdecken, die zu dieser Zeit tausendfach in deutschen Einfamilienhäusern hingen. Was ihn damals so amüsierte, kann man ihn nicht mehr fragen. Im Jahr 2022 ist Thomas Seger gestorben. Schwerreich, aber ohne Nachkommen.
Der Grundstock des Vermögens wurde in den 1980er Jahren gelegt
Man kann nur mutmaßen, was ihn auf dem Foto umtrieb. Aufgenommen ist es Mitte der 1980er Jahre, in einer Zeit, in dem sich das Leben des Konstanzers plötzlich ändern sollte. Damals legte er den Grundstock für sein Multimillionenvermögen, von dem heute die ganze Bodensee-Region profitiert.

Die 1980er Jahre waren die Zeit, in der Normalbürger langsam begannen, in Aktien zu investieren. In den USA ging 1985 der Nasdaq-100 an den Start, bis heute eines der wichtigsten Börsenbarometer der Welt und ein Anlegermagnet. In Frankreich folgte Ende 1987 der Cac-40.
Und Mitte 1988 war es auch in Deutschland so weit. In Frankfurt veröffentlichte der Dax erstmals minutenscharfe Notierungen der wichtigsten Unternehmen. Per Telefon und Fax konnten Aktien nun direkt gekauft und verkauft werden.
Mit dem Dax machte er Millionen
Der Dax sollte Segers Leben verändern. „Er war von Anfang an dabei und hat sein Geld dort investiert“, sagt Wolfgang Münst. „Das war sein Ding“, das habe ihm Spaß gemacht.

Der 67-jährige Münst ist einer der wenigen Freunde, die der als eigenbrötlerisch und spleenig geltende Elektroingenieur und Computerfan der ersten Stunde je hatte. Heute ist Münst Vorstand der Konstanzer Crescere-Stiftung-Bodensee und verwaltet damit den millionenschweren Nachlass seines verstorbenen Freundes.
Die Stiftung ist gemeinnützig und hat Ewigkeitscharakter
Kurz vor seinem Tod hatte dieser „einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag“, wie Münst heute sagt, in die von ihm gegründete Stiftung eingebracht. Sie sitzt in einem schmucklosen Zweckbau im Konstanzer Norden und ist eine der kapitalmäßig am besten ausgestatteten gemeinnützigen Stiftungen in weitem Umkreis.
Ihr Ziel ist es, Wissenschaft, Forschung, Kunst, Kultur, Sport und Soziales zu fördern. „Thomas Seger hatte keine Nachkommen und er wollte nicht, dass sein Vermögen an den Staat fällt, der irgendwas damit macht“, sagt Münst. Deswegen habe er kurz vor seinem Tod die Stiftung gegründet.
Aber wie kommt jemand, der aus einem normal begüterten Elternhaus stammt, nicht ungewöhnlich viel geerbt hat und auch nicht im Lotto gewann, an so viel Geld?

Aktien spielen dabei eine zentrale Rolle. Und Instinkt. Und etwas Startkapital. Als Ingenieur bei Siemens habe Seger über ein gutes, aber nicht übermäßig hohes Gehalt verfügt, sagt Münst. Er sei aber sehr sparsam gewesen. Zeit seines Lebens habe er in seinem Konstanzer Elternhaus gewohnt. Nach Luxus habe er nie gestrebt. „Er trank Wasser, keinen Wein“, sagt sein langjähriger Wegbegleiter.
Sparsamkeit brachte finanzielle Spielräume
So blieb am Ende des Monats immer Geld übrig, das Seger konsequent investierte. In Immobilien und besonders in Aktien. Er spekulierte auch mal mit irakischen Ölanleihen und dem Rubel.
Vor allem steckte der gebürtige Friedrichshafener sein Geld in die Dax-Konzerne, von der Allianz über BASF und BMW bis hin zu Siemens und Volkswagen. Ein Gutteil floss auch in Schweizer Unternehmen. In der eidgenössischen Unternehmenswelt kannte sich Seger als Absolvent der ETH Zürich gut aus.

In seinem, von Münst und dessen Vize-Vorstand in der Crescere-Stiftung, Stephan Tögel, verwalteten Depot befinden sich bis heute zwei sündhaft teure Aktien der Schweizer Firma Lindt und Sprüngli. Bei einem aktuellen Kurswert von gut 124.000 Euro gehören sie zu den teuersten Aktien der Welt und berechtigen zum jährlichen Bezug eines fünf Kilogramm schweren Schokoladenkoffers. Die Schoko-Dividende sei wohl der einzige Luxus gewesen, den Seger sich je gegönnt habe, sagt Münst.
Dellen im Aktienmarkt aussitzen
Bei der Aktien-Anlage verfolgte der leicht schrullige Millionär, den man durchaus als Archetyp eines modernen Frugalisten bezeichnen könnte, einige eiserne Regeln: Dellen im Kursverlauf aussitzen, nie überstürzt verkaufen und die anfallenden Dividenden immer komplett reinvestieren.
Im Nachhinein waren das allesamt auch goldene Regeln, die seinen Reichtum begründeten. Denn mit gemittelten Wachstumsraten zwischen sechs und acht Prozent pro Jahr vollzog der Dax seit seiner Gründung 1988 eine rasante Wertentwicklung, an der Seger mit seiner Anlagestrategie voll partizipierte.
Keine Frau und keine Kinder
Krisen ließen den Eigenbrötler kalt. Als der Dax zwischen 2000 und 2003 nach der geplatzten Dotcom-Blase um bis zu 70 Prozent an Wert verlor, kümmerte ihn das ebenso wenig wie die Einbrüche in Zeiten der Finanzkrise oder beim Corona-Crash.
Irgendwann seien seine Kapitalerträge, die zum Teil auch aus der Bewirtschaftung einer Handvoll nach und nach zugekaufter Immobilien bestanden, auf rund 400.000 Euro pro Jahr angewachsen, sagt sein Freund Wolfgang Münst. Seger, der Zeit seines Lebens nie eine Frau und Kinder hatte, schwamm im Geld.
Vorbehaltlose Hilfe für seine Freunde
Dabei scheint ihm der erfolgreiche Weg zum Reichtum wichtiger gewesen zu sein, als dessen Besitz. „Seine Hilfsbereitschaft für in Not geratene Freunde war legendär“, sagt Stiftungs-Vize Tögel. Wenn sein engstes Umfeld Probleme hatte, half Seger vorbehaltlos. Leid kannte der Sohn eines Hochschullehrers nämlich. Die evangelische Mutter hatte in Friedrichshafen jahrelang ein Kinderheim geleitet.
Schwimmkurse für Kinder und Physik in der Kita
Segers Erbe ist heute an vielen Stellen rund um den Bodensee zu sehen. Seine Stiftungen, zu der auch eine Partner-Stiftung im Thurgau gehört, finanzieren Schwimmkurse für Grundschüler, bringen Kita-Kindern Physik näher oder fördern die Musikerziehung Jugendlicher.
Als Tüftler und Innovator, der Seger zeitlebens war, präge dessen „Innovationsdenken“ auch die Stiftung, sagt Tögel. Mit den Stiftungsmillionen würde ebenso an E-Motorrädern sowie an nachhaltiger Wasserkraftnutzung im Alpenraum geforscht.
Tod in Folge eines Schlaganfalls
In den nur fünf Jahren ihres Bestehens habe die Stiftung „ein echtes Profil entfaltet“, heißt es aus deren Umfeld. Eben weil sie nicht nur Schecks verteile, sondern Schwerpunkte setze. Seger erlebte all das nicht mehr. Der Wohltäter und millionenschwere seltsame Kauz starb Anfang Februar 2022 an den Folgen eines Schlaganfalls.