Der Bodenseeraum ist das führende Obstanbaugebiet Deutschlands. Allein auf deutscher Seite werden jedes Jahr auf rund 7000 Hektar etwa 200.000 Tonnen Äpfel geerntet. Nicht alles wird zu Tafelobst. Große Mengen werden zu Saft gepresst und nach ganz Europa exportiert.
Bislang funktionierte dabei das Zusammenspiel zwischen den Obsterzeugern und den Keltereien recht geräuschlos. Mit langfristigen Verträgen ausgestattet lieferten Bauern und Privatleute ihr Obst bei den großen Saft-Verarbeitern ab und bekamen meist fixe Preise garantiert.
Damit ist es nun vorbei. Mit der Stockacher Groß-Kelterei Dreher und der Firma Widemann aus Bermatingen kündigten zwei Branchengrößen sämtliche Bio-Verträge ihrer Lieferanten. Die Firma Dreher schweigt dazu beharrlich. Konkurrenz Widemann erklärt seine Motive.
Herr Widemann, im Dezember hat Ihr Unternehmen allen seinen Bio-Mostobst-Lieferanten – in Summe knapp tausend Verträge – gekündigt. War das ein Fehler?
Wir konnten schlicht nicht anders, haben jedoch jedem Biolieferanten einen neuen Vertrag zugesandt. Die Preise im Bio-Saftmarkt sind im Keller. Insbesondere aus dem Ausland drängen große Mengen an Saft nach Deutschland, seit Anbaugebiete wie Polen oder Südtirol in großem Stil in das Bio-Geschäft eingestiegen sind. Die unterbieten unsere Preise, sodass wir weniger absetzen können. Das hohe Preisniveau zu halten, das wir unseren Lieferanten bisher gewährt haben, war daher betriebswirtschaftlich schlicht nicht möglich.

Die Lieferanten, darunter viele Kleinerzeuger und Bauern, werfen Ihnen nun aber im Gegenzug vor, das hochwertige Bio-Obst nur noch zu Dumpingpreisen abnehmen zu wollen und damit nicht zuletzt den Bestand ökologisch sensibler Streuobstwiesen zu gefährden…
Das war nie unser Ansinnen, wir setzen auf die regionalen Lieferanten, die an unseren über 300 Sammelstellen am Bodensee und in Süddeutschland anliefern können. Wir haben uns daher entschlossen, unser Angebot nachzubessern und die Preise für Bio-Obst in der kommenden Saison um drei Euro je 100 Kilogramm zu erhöhen.
Für viele kleine Obstbauern und Streuobstwiesen-Besitzer ist das eigentliche Problem, dass Sie die hohen Kosten für die jährliche Bio-Zertifizierung ihrer Streuobstwiesen künftig nicht mehr tragen wollen. War Ihnen klar, dass Sie dadurch die kleinen Erzeuger aus dem Geschäft drängen?
Wir wollen niemanden im Stich lassen und sind uns unserer regionalen Verantwortung wohl bewusst. Ich bin in intensiven Gesprächen mit der Landespolitik, damit die Streuobstwiesenbesitzer eine finanzielle Hilfe erhalten. Das Signal, das ich habe, ist, dass das Thema bei Landwirtschaftsminister Hauk auf den Tisch kommt. Ziel ist es, die Streuobstwiesenförderung des Landes auf Kleinerzeuger auszuweiten, sodass die Kosten für die Bio-Zertifizierung ausgeglichen werden können.

Im Markt heißt es, Sie kauften Saft aus dem Ausland, um die gekündigten Regional-Kontrakte zu ersetzen. Stimmt das?
Nein, wir sind ein regionaler Erzeuger und das wollen wir auch bleiben. Das Obst, das bei uns gepresst und abgefüllt wird, stammt von heimischen Erzeugern, also aus Baden-Württemberg und Bayern.
Nur aufgrund erntebedingter Schwankungen greifen wir teilweise auf Obst aus anderen Bundesländern, Österreich oder Südtirol zurück. Aktuell müssen wir unsere randvollen Tank-Lager räumen. Dazu kommt, dass der Absatz von Bio-Saft in den letzten Monaten auch wegen der Corona-Krise geschwächelt hat. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Preissituation nach Corona wieder normalisiert.
Das heißt, Sie rechnen wieder mit höheren Preisen für die Erzeuger?
Es ist unser Ziel, das zu erreichen. Ich bin für faire Preise und dass jeder entlang der Wertschöpfungskette einen gerechten Teil erhält.
Das zweite Unternehmen, das Lieferverträge massenhaft gekündigt hat, die Firma Dreher aus Stockach, hat 2017 ein eigenes Werk in Polen hochgezogen und produziert dort Saft. Gehen Sie diesen Weg auch?
Nein, wir haben dort keine Niederlassung und das ist auch nicht geplant. Über ein Viertel unseres Saftes wird in umweltfreundlichen Mehrweg-Flaschen, teils als Naturtrüb- oder Bioqualität vermarktet. Das andere Volumen an Säften wird an europäische Kunden im Tankzug geliefert. Unsere Familienkelterei ist darauf ausgerichtet, das heimische Obst zu verarbeiten. Deshalb haben wir aktuell größere Investitionen in unsere Kelterei getätigt, um im europäischen Markt mithalten zu können.
Aber Widemann-Tankwagen mit Saft rollen aus Ihrer Presserei in Bermatingen doch auch bis nach Norddeutschland und in die Benelux-Staaten?
Ja natürlich. Der Bodenseeraum ist Deutschlands führendes Obstanbaugebiet. Die Mengen, die hier gepresst werden, können gar nicht alle regional getrunken werden.
Dass mit Ihnen und der Firma Dreher zwei der größten Spieler im heimischen Direktsaft-Markt innerhalb weniger Tage Tausenden Lieferanten die Verträge gekündigt und dann auch noch ähnliche neue Verträge angeboten haben, ist bemerkenswert. Haben Sie sich abgesprochen?
Nein. Es gab keine Absprache.
Wie erklären Sie sich sonst das parallele Verhalten sonst?
Jedem Profi im Saftmarkt war schon in der Ernte im Herbst klar, dass etwas schiefläuft. Die Saft-Einkäufer drängten damals und heute auf niedrigere Preise. Die Not am Markt war spürbar. Wenn sie einerseits sehr viel Obst zu hohen Preisen aufkaufen müssen, ihnen die Abnehmer aber wegbrechen, muss man reagieren. Dass wir im Dezember gekündigt haben, hängt mit den Kündigungsfristen in den Verträgen zusammen.
Wie waren die Reaktionen?
Natürlich haben sich einige Lieferanten gemeldet und Fragen gestellt. Wir sind froh, dass wir die Gelegenheit hatten, uns am Telefon erklären zu können. Fakt ist, dass wir nun den Biopreis erhöht haben und zusätzlich Vereins- und Sammelzertifizierungen organisieren, um auch kleinere Bio-Erzeuger weiter halten zu können.
Wir hoffen, dass die Obst-Erzeuger jetzt merken, dass wir weiterhin mit ihnen gut zusammenarbeiten möchten. Trotzdem sorgt der hohe Konzentrationsgrad der Branche zu starkem Wettbewerb. Allein 13 Unternehmen tätigen circa 85 Prozent des Umsatzes. Man sieht daran, wir können die Preise nicht bestimmen.
Haben Sie Klagen von Erzeugern gegen die Vertragskündigungen auf dem Tisch?
Da ist mir Stand heute nichts bekannt.