Hubert Einholz steht die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Vor einigen Wochen ist dem Landwirt aus Salem ein Schreiben ins Haus geflattert, nach dessen Lektüre er erst einmal tief durchatmen musste. Darin kündigt die Groß-Kelterei Widemann dem Landwirt seinen Liefervertrag für Bio-Obst und legt gleichzeitig den Abschluss eines Neuvertrags nahe – zu deutlich schlechteren Konditionen. „Ich weiß nicht, was ich machen soll“, sagt der Bauer jetzt. Von einer „gerechten Bezahlung“, die die Kosten deckt, könne unter den neuen Bedingungen keine Rede mehr sein.

Groß-Kelterei Dreher aus Stockach lehnt jeden Kommentar ab

So wie Bauer Einholz geht es derzeit Tausenden Bauern und privaten Kleinerzeugern von besonders hochwertigem Bio-Mostobst in ganz Baden-Württemberg. Allen flatterten kurz vor Weihnachten ähnliche Schreiben ins Haus. Die Absender sind die zwei größten Direktsaft-Mostereien Baden-Württembergs, die zugleich eine führende Stellung im nationalen Fruchtsaft-Geschäft einnehmen: Die Widemann Bodensee Kelterei aus Bermatingen nahe Markdorf sowie der Groß-Safter Dreher mit Stammsitz in Stockach. Widemann hat nach eigenen Angaben allen seien Bio-Mostobst-Lieferanten gekündigt. Dreher äußert sich nicht. „Zu diesem Thema beantworten wir keine Fragen“, heißt es von dem 1924 gegründeten Familienbetrieb.

Martin Hahn, Landtagsabgeordneter der Grünen mit Wahlkreis Bodensee, will Streuobstwiesen schützen.
Martin Hahn, Landtagsabgeordneter der Grünen mit Wahlkreis Bodensee, will Streuobstwiesen schützen. | Bild: Grupp, Helmar

Nach Daten der beiden Grünen Landtagsabgeordneten Martin Hahn und Markus Rösler sind bislang „gut 3500 entsprechende Verträge gekündigt worden“. Damit stehen fast zwei Drittel aller im Südwesten ansässigen Öko-Mostobst-Lieferanten vor einer ungewissen Zukunft.

Seit der Übernahme von Schlör eine Branchengröße: Widemann Fruchtsäfte mit Sitz in Bermatingen nahe Markdorf. Jetzt kündigt man ...
Seit der Übernahme von Schlör eine Branchengröße: Widemann Fruchtsäfte mit Sitz in Bermatingen nahe Markdorf. Jetzt kündigt man massenweise Lieferverträge. | Bild: Jan Manuel Heß

Der Kahlschlag im Öko-Obst-Geschäft hat nun auch die Politik erreicht. Denn Apfel und Birne sind im Südwesten nicht irgendein Lebensmittel, sondern für das Bundesland ähnlich stilprägend wie die Höhen des Schwarzwaldes oder die Produktionshallen von Mercedes-Benz.

Baden-Württemberg ist Obstland

Insbesondere auf seine heimischen Streuobstwiesen, von denen der Großteil des Bio-Mostobstes stammt, ist das Bundesland stolz. 41 Prozent aller deutschen Bio-Streuobstwiesen liegen im Südwesten. Baden-Württemberg besitze „sowohl bei Bio-Streuobst als auch bei konventionell bewirtschafteten Streuobstflächen eine herausragende Stellung“, sagt Grünen-Abgeordneter Rösler. Ganz besondere Bedeutung komme auch dem Bodenseeraum zu, der als größtes zusammenhängendes Obstanbaugebiet der Nation gilt. Genau von dort kämen nun „die Katastrophenmeldungen“.

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Tatsächlich ist die Lage für die Bio-Obsterzeuger heikel, denn die neuen Verträge, die die Marktführer bei ihren Lieferanten durchsetzen wollen, sehen massive Einschnitte bei den Abnahme-Preisen vor. Bislang erhielten die Streuobstwiesen-Besitzer etwa beim Branchenriesen Widemann einen fixen Preis von 17 Euro pro Hundert Kilo Bio-Mostobst.

Lieferanten bekommen keine Fixpreise mehr

Künftig sollen Marktpreise von maximal 14 Euro gezahlt werden. In der Realität dürfte selbst das schwer einzuhalten sein, denn das Geschäft ist stark zyklisch. Auf Jahre mit massivem Preisverfall wegen guter Ernten folgt Obstknappheit und höheren Notierungen. Wegen zunehmender Obst-Importe aus dem Ausland sind die Erzeugerpreise allerdings seit Jahren unter Druck. Von rentablen Lieferkonditionen, die Fachmann Rösler bei „irgendwo zwischen 20 und 25 Euro pro Hundert Kilo Obst“ ansetzt, konnten die allermeisten Bio-Mostobstlieferenten jedenfalls auch bisher nur träumen.

Stilprägend für Baden-Württemberg: Streuobstwiesen. Oft wird auf ihnen Bio-Mostobst erzeugt.
Stilprägend für Baden-Württemberg: Streuobstwiesen. Oft wird auf ihnen Bio-Mostobst erzeugt. | Bild: Johanna Bär

Für die vielen Kleinerzeuger kommt ein weiteres hinzu. Sie bewirtschaften oft nur eine oder zwei Obstwiesen, die sie jährlich von unabhängigen Prüforganisationen neu als ökologisch zertifizieren lassen müssen. Bisher übernahmen die Kosten im niederen dreistelligen Euro-Bereich die Keltereien. Deren Neuverträge wälzen den Aufwand nun auf die „Stückles-Besitzer“ ab. Weil die Klein-Lieferanten zudem von Teilen der Öko-Förderung des Landes ausgeschlossen sind, können sie die Zusatzkosten quasi nicht ausgleichen. Als Folge ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie künftig den Bettel hinwerfen. Man laufe in eine „dramatische Gefährdung“ des Streuobstwiesen-Bestands hinein, sagt Grünen-Umweltschutzexperte Rösler. Parteikollege Hahn ergänzt: „Wir sind dabei, gewachsene Strukturen zu zerstören“.

Bio-Boom

Der Prozess ist indes schon voll im Gange. In den vergangenen Jahrzehnten sind rund 80 Prozent aller deutschen Streuobstwiesen verschwunden. Die Flächen veröden oder werden durch professionell bewirtschaftete Bio-Plantagen ersetzt. Parallel dazu sind in den vergangenen Jahren Obst-Anbau-Hochburgen wie Südtirol oder Polen ins Bio-Geschäft eingestiegen.

Der Bio-Markt galt lange Zeit als weniger wettbewerbsintensiv und daher margenträchtiger als der normale Obstbau. Mittlerweile jedoch ist die Bio-Obsterzeugung derart angestiegen, dass die Nachfrage der Konsumenten oft nicht mehr schritthält. Als Folge verfallen die Erzeugerpreise zusehends.

Wiedemann: Preisdruck im Markt enorm

Diese Mechanismen führen auch die Keltereien an, um die aktuellen Vertragskündigungen zu rechtfertigen. Klaus Widemann, Chef des gleichnamigen Branchen-Schwergewichts am Bodensee, benutzt sogar martialische Begriffe. Die aktuellen Entwicklungen glichen „fast einem Kopfschuss für uns selbst“, sagt er. Immerhin sei man seit Generationen im Keltereigeschäft tätig und lebe vom regionalen Obstanbau und auch der Bio-Produktion. Aufgrund der Marktentwicklung könne man das bisherige Preisniveau verbunden mit langlaufenden Lieferverträgen aber nicht mehr aufrechterhalten. Insbesondere was aus Polen an Bio-Obst auf den deutschen Markt schwappe, gleiche „einer Lawine“.

Obst wird hängen gelassen

Bauer Einholz und Tausenden anderen Zulieferer der heimischen Fruchtsaftindustrie hilft das in der aktuellen Lage wenig. Immer mehr Streuobstwiesenbesitzer klopften bei ihm an, ob er die Bewirtschaftung ihrer Flächen nicht übernehmen könne, sagt er. Oft müsse er ablehnen. Jüngst habe ihm ein Bekannter gesagt: „Wenn du es nicht machen willst, dann lass‘ ich das Obst in Zukunft eben einfach hängen“.