Es ist nur eine Zahl, aber die macht Birgit Locher seit Monaten Angst. Immer montags. Denn dann sieht die junge Landwirtin aus Oberteuringen die wöchentliche Ferkelnotierung. Und die ist mit durchschnittlich etwa 26 Euro derzeit so niedrig wie selten zuvor. Damit ein Schweinebauer ein Ferkel wirtschaftlich aufziehen kann, setzt der Landesbauernverband Baden-Württemberg einen Preis von 70 Euro pro Ferkel an. Doch so viel Geld haben die Ferkelzüchter im Land zuletzt vor zwei Jahren bekommen. Vor Corona. Als es noch Volksfeste gab. Stadionwürste und Grillabende mit Freunden und Nachbarn.
Kühlhäuser voll mit Fleisch
Nun aber sind die Kühlhäuser voll mit Schweinefleisch, das keine Abnehmer findet. Und bei den Ferkelzüchtern und Schweinemästern in Baden-Württemberg geht die Existenzangst um. Über die Hälfte von ihnen gab jüngst bei einer Befragung des Landesbauernverbandes an, ganz oder teilweise aus der Schweinhaltung aussteigen zu wollen – oder zu müssen, weil sich mit solchen Marktpreisen nur rote Zahlen schreiben lassen.
Für Ferkelzüchterin Birgit Locher ist Aufhören keine Option. „Ich habe ja gerade erst angefangen.“ Locher ist 29 Jahre alt und hat Agrarwissenschaften studiert, um den elterlichen Hof in die Zukunft zu führen. Dazu gehört für die Landwirtin auch eine artgerechtere Haltung ihrer 80 Muttersauen. Aber Dinge wie mehr Platz im Stall oder Stroh statt pflegeleichte Spaltenböden kosten mehr Geld und Arbeitszeit. „Um zu investieren war es uns wichtig, dass uns die Ferkel dann auch jemand abnimmt“, sagt Birigt Locher.
Deshalb hat sie sich vor Beginn der Corona-Pandemie auch dafür entschieden, sich mit dem Locher-Hof dem Hofglück-Programm der Handelskette Edeka Südwest anzuschließen. Dieses Label steht für mehr Tierschutz. Den Landwirten garantiert es feste Absatzmengen und Preise.
Sicheres Abnahmenetzwerk durch Initiative von Edeka
Für die Familie Locher stellte sich dieser Schritt in ein sicheres regionales Abnahmenetzwerk während der Pandemie als Glücksgriff heraus. „Trotz der schwierigen Marktlage können wir deshalb in den nächsten Jahren die notwendigen Investitionen stemmen“, sagt Birgit Locher.
Denn die rund 100 Ferkel wühlen zwar bereits in Stroh, statt sich auf Gummimatten zu suhlen. Aber noch im alten Stall. Bald soll ein größeres Gebäude mit Auslaufbereich ins Freie her – bei den derzeitigen Baupreisen keine leichte Entscheidung. „Aber wir haben zumindest den langfristigen Vertrag für eine garantierte Abnahme der Tiere in der Tasche“, betont Locher.
Konventionelle Vermarktung immer schwieriger
So etwas fehlt Julian Hafen, Schweinemäster aus Untersiggingen im Deggenhausertal. Der 28-Jährige war mit Birgit Locher schon zusammen in der Schule, dann an der Uni. Anders als Locher setzt er aber noch voll auf eine konventionelle Schweinehaltung. Er beliefert mit dem Fleisch seiner 1500 Tiere die Metzger im Umkreis.

„Dadurch sind auch wir relativ gut durch die Corona-Zeit gekommen“, sagt Hafen. Denn anders als bei großen Schlachtbetrieben, die in den vergangenen Monaten nur noch etwa 1,20 Euro pro Kilo Schlachtgewicht gezahlt haben, liegen die Preise bei der Metzgerbelieferung etwas höher. „Die Schweine so abzusetzen, ist aber zeitaufwändig. Wir können das nur machen, weil derzeit mein Vater und ich uns die Arbeit teilen“, sagt Hafen.
Sind Konsumenten bereit, mehr zu zahlen?
Was aber wird, wenn er in ein paar Jahren den Hof allein führt? „Ich bringe viel Produktionswissen vom Studium mit. Ich hätte schon Lust, in den Hof zu investieren und die Haltungsbedingungen für die Tiere zu verändern. Aber bei der derzeitigen Marktlage machen mir die Investitionen Angst“, unterstreicht Hafen. Was, wenn er den Hof auf artgerechtere Haltung umstellt, die Verbraucher dann aber nicht bereit sind, das teurer erzeugte Fleisch zu höheren Preisen abzunehmen?
Nicht jeder Landwirt könne sich Programmen wie dem von „Hofglück“ anschließen. Das sagt auch Birgit Locher. „Das ist eine kleine Nische, die gerade für kleine Ferkelzüchter wie wir das sind, gut funktioniert. Aber das ist keine Lösung für alle.“ Denn die Verkaufszahlen zeigen: Noch entfällt nur rund ein Prozent aller Verkaufserlöse beim Schweinefleisch auf ökologisch erzeugte Produkte, so der Verbraucherzentrale Bundesverband.
Nur 45 Prozent des Schweinefleisch-Verbrauchs kann von hiesigen Erzeugern gedeckt werden
Julian Hafen ist sich deshalb sicher: „Es wird weiterhin genügend Kunden geben, die konventionell erzeugte Fleisch- und Wurstprodukte kaufen wollen. Aber um den Tieren und der Umwelt lange Transportwege zu ersparen, wäre es extrem wichtig, dass regionale Produktions- und Absatzwege erhalten bleiben.“
Genau die aber sieht der Landesbauernverband Baden-Württemberg derzeit massiv in Gefahr. Schon heute liegt der Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch im Land dem Verband zufolge nur noch bei 45 Prozent. Hört auch nur ein Teil der Landwirte tatsächlich auf, die derzeit darüber nachdenken, müssen die Verbraucher das „BW“ auf der Wurstverpackung künftig suchen.