Herr Riechel, haben Sie Szenarien in der Schublade für den Fall, dass weder Gas, noch Öl, Kohle und Uran aus Russland nach Deutschland importiert werden?
Die gesamte Energiewirtschaft bereitet sich im Moment auf solche Szenarien vor oder hat dies schon getan. Entwarnung gibt es für diesen Winter. Im Moment besteht die Herausforderung darin, die Energieversorgung für die kommende Heizperiode, die ja bereits in gut sechs Monaten beginnt, zu sichern. Das wird uns aber gelingen. Ich bin da kein Freund von Panikmache.
Sie haben vergessen zu erwähnen, dass Deutschland extremes Glück mit einem milden Winter hatte und die Lage sonst ganz anders ausgesehen hätte…
Das ist so. Die Erkenntnis aus dieser, aber auch schon aus früheren Krisen ist es, dass sich insbesondere bei den Gasspeichern etwas tun muss. Deutschland verfügt zwar über diese Speicher, sie müssen aber auch zu Beginn des Winters gefüllt sein. Bisher gab es hierzu keine gesetzlichen Vorschriften. Das muss in Zukunft sichergestellt werden, und die Bundesregierung bearbeitet dieses Thema bereits. Wichtig wird sein, dass die Ausgestaltung möglichst wirtschaftsnah passiert und die Mehrkosten über Bundesmittel finanziert werden, um die Kunden nicht noch mehr zu belasten.
Damit ist das Problem, dass Deutschland am Energie-Tropf von Russland hängt, aber noch nicht gelöst…
Natürlich müssen wir unsere Versorgungswege und -quellen diversifizieren. Unsere Abhängigkeit von Russland ist bei allen fossilen Brennstoffen zu hoch. Bei Kohle und Öl wird der Wechsel der Bezugsquellen relativ zügig möglich sein. Und auch beim Erdgas wird das etwa durch einen stärkeren Rückgriff auf verflüssigtes Erdgas, das per Tankschiff geliefert wird, gelingen. Allerdings wird das etwas länger dauern.
Kurzfristig gibt es noch Potentiale im Bereich Biogas, die wir heben sollten, unter anderem durch den Anschluss von bestehenden Biogasanlagen an die Gasverteilnetze. Zudem brauchen wir künftig Wasserstoff in großen Mengen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Und auch den müssen wir zumindest teilweise importieren. Alles in allem bleibt die Versorgungssicherheit mittelfristig eine Herausforderung.
Um Wasserstoff herzustellen, braucht man große Mengen Ökostrom oder Erdgas. Beides haben wir nicht ausreichend. Ist die Wasserstoff-Wende nicht in weiter Ferne?
Ganz im Gegenteil. Die Ukraine-Krise ist ein Weckruf für eine deutlich beschleunigte Energiewende, in deren Folge wir grünen Wasserstoff selbst im Land produzieren können. Wir brauchen diesen Energieträger, um etwa die Schwerindustrie und den Transport-Sektor nachhaltig aufzustellen.
Der größte Hebel liegt aber in Millionen deutscher Gasheizungen in Wohnhäusern. Sie können in einem ersten Schritt ohne Umrüstung mit einem Anteil von bis zu 20 Prozent mit Wasserstoff betrieben werden. Um den Wasserstoff zu den Haushalten zu bringen, kann er einfach ins bestehende Gasleitungsnetz eingespeist werden. Das ist eine der schnellsten und günstigsten Möglichkeiten, unsere Klimaziele zu erreichen.
Damit bleibt aber der fossile Energieträger Gas weiter im Spiel?
Wenn wir die Energiewende erfolgreich gestalten wollen, geht es nicht ohne Gas – einerseits um Wärme in Gebäuden zu erzeugen, aber natürlich auch um in den nächsten Jahrzehnten durch neue Kraftwerke unsere Stromproduktion, die Grundlast, abzusichern. Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen oder gar aufs Neue in die Kernkraft einzusteigen, wird definitiv keine Lösung sein.
Neue Kraftwerke, knapper Brennstoff, das alles treibt die Preise. Wo sehen Sie die Energietarife mittelfristig?
Die Wahrheit ist, dass derzeit kein Experte eine genaue Prognose abgeben kann. Wegen des Krieges in der Ukraine sind die Energiebörsen sehr nervös. Gleichzeitig muss ganz Europa seine Versorgung umorganisieren und weg vom russischen Pipelinegas kommen. Sollte sich die Lage in Russland und der Ukraine beruhigen, werden die extremen Preisausschläge der letzten Wochen vermutlich der Vergangenheit angehören. Dass die Preise aber zügig wieder auf das Niveau von 2020 sinken, sehe ich nicht.
Die Politik setzt voll auf Strom, auch zum Heizen von Häusern mittels Wärmepumpen. Ist Strom das neue Gas im Wärmebereich?
Da ist es wichtig zu unterscheiden. Für neue Gebäude, die wegen guter Bauweise und Dämmung sehr wenig Energie benötigen, sind Wärmepumpen die Technologie der Wahl. Im Gebäudebestand werden wir aus meiner Sicht auf absehbare Zeit moderne Brennwert-Gasheizungen mit Wasserstoffanteilen brauchen. Geht es um ganze Neubauquartiere kommt Nahwärme aus Blockheizkraftwerken, der weitere Ausbau der Fernwärme oder gar Geothermie ins Spiel. Die eine Lösung existiert nicht, es muss immer mehrere Instrumente im Zusammenspiel geben.
Die Energiewende läuft schleppend – auch in der Region. Wie macht die Thüga zögernden Kommunen Beine?
Die Thüga hat mit der Thüga Erneuerbare Energien eine eigene Tochtergesellschaft, die Kommunen und ihren Stadtwerken gezielt Beteiligungsmöglichkeiten an Windenergie- und Photovoltaik-Projekten anbietet. Landesweit betreiben wir schon rund 30 Windparks an Land, und wir werden den Aufbau neuer Projekte beschleunigen. Wir verfügen über das Know-How und gehen bei Erneuerbaren Energien engagiert weiter voran.
Gegen sehr hohe Neukundentarife mancher Stadtwerke gibt es Klagen. Haben die Stadtwerke zu stark zugelangt?
Eine einheitliche Rechtsmeinung hat sich in den angesprochenen Fällen noch nicht durchgesetzt. Im Grund ist es aber so. Stadtwerke kaufen die Energie für Ihre Kunden meist langfristig, also über Jahre, ein. Damit sind sie im liberalisierten Energiegeschäft vielleicht nicht immer die günstigsten. Genau diese Einkaufspolitik schützt die Kunden aber vor Preisausschlägen, wie wir sie in den vergangenen Monaten gesehen haben.
Dagegen steht das Geschäftsmodell der Strom- und Gasdiscounter, die Energie kurzfristig einkaufen, um von niedrigen Preisen zu profitieren. Weil die Preise an Börsen explodiert sind, sind solche Firmen zuletzt in große Schwierigkeiten gekommen und haben Hunderttausende Kunden nicht mehr beliefert.
Die Stadtwerke standen nun vor der Situation, sehr plötzlich eine Vielzahl neuer Kunden mit Energie versorgen zu müssen. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Die nötige Energie mussten sie kurzfristig teuer zukaufen und haben diesen Effekt an die Neukunden weitergegeben. Gerichte haben das nun auch als legitim anerkannt. Generell kann man aus meiner Sicht sagen, dass sich das Geschäfts-Modell der Stadtwerke als krisensicher und solider herausgestellt hat, als das der Energiediscounter.