„Genau hier unter dem Sternhimmel schlafen.“ Das Schild markiert den Platz, auf dem Carmen Dietenberger ihren umgebauten Bus abgestellt hat. Der ehemalige Transporter ist wie eine Ferienwohnung, nur auf Rädern.
Jetzt steht er umgeben von einer blühenden Wildblumenwiese auf einem Hügel östlich von Winterspüren im Kreis Konstanz. Ein Stellplatz mitten in der Natur, den die 31-Jährige aus Kißleg bei Ravensburg über die Online-Plattfom MyCabin gefunden hat. Ein Konstanzer Startup steht hinter der Idee, Übernachtungsmöglichkeiten auf Grundstücken von Privatpersonen zu vermitteln.

Die Deutschen kaufen Camper und suchen Stellplätze in der Natur
Damit bedienen sie die Nachfrage nach unabhängigem Urlaub in der Natur – ein Trend, der durch die Corona-Reisebeschränkungen befeuert wurde. Viele Deutsche haben diese Form des Reisens für sich entdeckt. Die Nachfrage nach Wohnmobilen ist im vergangenen Jahr rasant gestiegen. Über 107.000 Campingfahrzeuge waren 2020 zusätzlich auf den Straßen unterwegs. Das sind über 30 Prozent mehr Zulassungen als im Vorjahr, teilt der Caravaning Industrie Verband mit.
Carmen Dietenberger reist schon seit drei Jahren mit ihrem orangefarbenen Camper durch die Gegend. Sie genießt die Unabhängigkeit, Ruhe und Nähe zur Natur. Allerdings ist es mit der Stellplatzsuche so eine Sache. Campingplätze sind oft ausgebucht. Einfach dort übernachten, wo es einem gefällt, also Wildcampen, ist in Deutschland verboten und kann teuer werden. Und auf ausgewiesenen Wohnwagenstellplätzen an viel befahrenen Hauptstraßen geht jede Camperromantik verloren.
7000 Nutzer seit April auf MyCabin registriert
Über MyCabin finden sich Übernachtungsplätze für das „Mircoadventure“, wie Finn Wilkesmann, Geschäftsführer des Start-ups, das Erlebnis im Freien nennt. Ein kleines Abenteuer aus Lagerfeuer und Sternenhimmel an einem besonderen Ort. Über 2000 Buchungsanfragen hat es seit dem Start im April diesen Jahres auf der Plattform gegeben. 7000 Nutzer sind registriert – sowohl Gäste als auch Gastgeber.
Übernachten mit Blick aufs Hirschgehege
Darunter ist auch der „Spot“ – also Stellplatz – in Winterspüren zu finden. Gastgeberin ist Isabell Patzke, die mit ihrem Mann Daniel den Wildhof Hildegrund betreibt. Von der Wiese aus haben die Gäste nicht nur den Blick ins Tal, sondern auch auf das Wildgehege, in dem über 100 Tiere gezüchtet werden. Eine Besonderheit für die Gäste: Sie haben die Möglichkeit, für eine Fütterung mit in das Gehege zu gehen und so den Hirschen ganz nahe zu kommen.
Vermietung ist willkommener Nebenerwerb
„Wir haben uns überlegt, ein zweites Standbein im Tourismus aufzubauen“, erzählt Isabell Patzke auf der Wiese neben dem Bus in knalligem Orange. Über MyCabin sei das sehr flexibel möglich. „So können wir sehen, ob das was für uns ist und jederzeit wieder aussteigen.“ Jeder landwirtschaftliche Betrieb dürfe auf seinem Grundstück ohne Anmeldung drei Stellplätze anbieten, sagt die 31-Jährige.

Die gesammelten Erfahrungen mit den bislang 20 Gästen sind gut. „Die Camper sind mega entspannt.“ Das findet sogar der Schwiegervater, der den Hof mitbewirtschaftet, auch dort lebt und anfangs eher skeptisch war. Jetzt genieße er den Umgang mit den Gästen, sagt Isabell Patzke. Und auch die vierjährige Tochter büchst schon mal aus, um mit den Gästen auf der Wiese zu frühstücken.
Als Zuverdienst plant Familie Patzke zwischen 15 und 18 Euro die Nacht ein. MyCabin schlägt dann 30 Prozent für die Vermittlung oben drauf. Außerdem zahlen die Gäste die ortsübliche Kurtaxe. Am Hirschgehege kostet die Übernachtung mit einer Person ab 20,15 Euro. Für die Wildzüchter ein einfacher Nebenverdienst.
Scouts suchen die schönsten Plätze
Mit derzeit acht Scouts in Deutschland und Österreich ist MyCabin permanent auf der Suche nach neuen Plätzen und Gastgebern, die Wiesen aber auch Hütten oder Gärten zum Übernachten anbieten. Jeder Reisende könne so nach seinen Bedürfnissen einen Übernachtungsplatz finden, ob im Zelt oder Bulli. Auch über Bauernverbände würden Interessenten geworben, sagt Gründer Finn Wilkesmann. Denn die Naturverbundenheit spielt bei der Geschäftsidee eine große Rolle.
„Unsere Mission ist es, echt Erlebnisse in und mit der Natur zu ermöglichen“, erzählt der 24-Jährige Unternehmensgründer. Er selbst sei ein leidenschaftlicher Langstreckenwanderer und beim Wildcampen von einem Bauern erwischt worden. Daraus sei dann die Idee entstanden, Übernachten in der Natur auch legal in Deutschland zu ermöglichen.

Junges Team programmiert Homepage selbst
Im vergangenen Sommer gab es eine viermonatige Testphase, bei der schon 1200 Übernachtungen vermittelt werden konnten. Danach ging die Seite im Oktober wieder vom Netz und das achtköpfige Team von MyCabin tüftelte vor allem an der Entwicklung der Homepage. „Wir haben uns entschieden, die Seite selbst zu programmieren“, erzählt Finn Wilkesmann. Zu Beginn habe man sich noch mit einer einfachen Baukastenlösung abgefunden. Aber das Team wollte die Verbesserungsvorschläge von Gästen und Gastgebern direkt umsetzten können und hat es dann selbst in die Hand genommen.
Doch das Entwickeln von App und Homepage war aufwendiger als geplant. „Die Nutzer sind optimierte Homepages mit schnellen Ladezeiten gewöhnt.“ Aber mit großen Entwicklerteams, mit denen andere Reiseplattformen arbeiten, kann MyCabin nicht aufwarten. Vielmehr sind die jungen Unternehmer zwischen 20 und 25 Jahren alt und frisch von der Uni. „Unser Chefentwickler studiert noch“, merkt Wilkesmann an.
„Der Bedarf an naturnahen Übernachtungsmöglichkeiten wird steigen“
Dass es auch künftig Bedarf für naturnahe Stellplätze geben wird, davon ist das Team überzeugt. „Die Menschen haben Sehnsucht nach einer Auszeit.“ Auch nach einer kleinen am Wochenende. Über zwei Drittel der Camper schätzen das Naturerlebnis bei Camping am meisten. Das kam bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov heraus.
Mit Naturnähe kann die Bodenseeregion punkten. Deshalb sind auch Tourismusverbände daran interessiert, den vielen Campern um den Bodensee Alternativen zu schaffen. Mit Gemeinden und MyCabin suchen sie an einem runden Tisch nach Möglichkeiten, die steigenden Besucherströme zu lenken. Damit die Wohnmobile auf der Suche nach einem Stellplatz auf der Reichenau nicht alle Straßen verstopfen, so Wilkesmann.

Entwicklung gemeinsam mit Gemeinden und Verbänden
Von Beginn an seien alle betroffenen Akteure in die Entwicklung eingebunden gewesen, sagt Lene Haas, die für das Marketing zuständig ist. Auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Verbänden und dem Alpenverein sei ihnen wichtig, um für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt zu sensibilisieren.
Eine Gemeinschaft – Gastgeber sind auch oft Gäste
Als Zielgruppe hat das Unternehmen die 18- bis 35-Jährigen auf dem Schirm. Jene, die sich einen Bus umgebaut haben und damit die Ruhe in der Natur suchen. „Aber wir konzentrieren uns auch auf die über 60-Jährigen mit Wohnmobil.“ Ihn freue es besonders, dass die Gastgeber die Plattform auch als Gäste nutzen und selbst reisen.
Auch Carmen Dietenberger bietet einen Übernachtungsplatz auf dem Grundstück, auf dem sie mit ihren Eltern lebt, an. Unter „Sägewerk Wolfegger Ach“ ist ihr Stellplatz zu finden. „Es kommen viele her, die Ruhe suchen“, erzählt sie. Und das ist auch das, was sie am Reisen in ihrem Bus schätzt. „Ich kann jeden Tag woanders sei und mich da hinstellen, wo ich den Sonnenuntergang sehen kann.“