Erstickt Deutschland – und dazu die Europäische Union – in Kürze an ihrem selbst produzierten Plastikmüll? Und müssen die Bundesbürger bald deutlich mehr für die Entsorgung ihres Verpackungsabfalls in den gelben Säcken bezahlen? Die Fragen stehen im Raum – und sie stellen sich akut.
Grund der Besorgnis: China, bislang größter Müll-Importeur der Welt, hat zum 1. Januar ein striktes Einfuhrverbot für Müll aus dem Ausland verhängt. 24 verschiedene Recyclingmaterialien werden seit Jahresbeginn von China nicht mehr angenommen. Zu dem Materialberg gehört unsortierter Plastikabfall, Altpapier, Elektroschrott, alte CDs, Textilien sowie Schlacken aus der Eisen- und Stahlindustrie. Ende März soll schließlich auch noch ein Importstopp für vorsortierte Kunststoffabfälle folgen.
Die Regierung in Peking begründet ihren Schritt gegenüber der Welthandelsorganisation WTO damit, dass der Müll zu dreckig und zu gefährlich sei, man wolle die Umwelt und die Gesundheit der Menschen schützen. Experten verwiesen dagegen darauf, dass das wirtschaftlich prosperierende China durch wachsenden Wohlstand offenbar genügend eigenen Müll habe, um eine eigene Sammel- und Recycling-Infrastruktur aufzubauen. Versuche der EU-Kommission, China von diesem Schritt abzubringen und eine mehrjährige Übergangsfrist auszuhandeln, scheiterten im Dezember.
Wohin mit dem Müll?
Damit haben nicht nur Deutschland, sondern viele EU-Länder ein Problem: Wohin mit dem Müll? Denn mit seinem Schritt hat Peking unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es nicht mehr bereit ist, länger die Müllkippe der Welt zu sein und den unsortierten Abfall des Westens billig zu entsorgen, etwa durch Verbrennen ohne moderne Filteranlagen oder Deponieren. Deutschland ist aber auf die Ausfuhren ins Ausland angewiesen, akut fehlen sowohl die Lagerkapazitäten als auch die Recyclinganlagen, um den anfallenden Plastikmüll zu beseitigen.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass ab dem 1. Januar kommenden Jahres in Deutschland das von der Großen Koalition 2017 beschlossene neue Verpackungsgesetz mit deutlich strengeren Auflagen in Kraft tritt. Mussten bislang nur 36 Prozent der Plastikverpackungen wiederverwertet werden, steigt der vorgeschriebene Anteil auf 58,5 Prozent im kommenden Jahr und auf bis zu 63 Prozent ab 2022. Bislang wurde der Müll, der nach China verschifft und dort beispielsweise für die Herstellung von neuen Kunststoffprodukten wie Fensterrahmen verwendet wurde, in der Recyclingquote angerechnet. Diese Möglichkeit entfällt künftig.
Deutschland schmückt sich zwar gerne mit dem Titel eines Weltmeisters beim Mülltrennen. Doch gleichzeitig produziert das Land besonders viel Verpackungsmüll. Allein in den vergangenen zehn Jahren stieg der Pro-Kopf-Verbrauch an Plastik um 30 Prozent, mittlerweile produziert jeder Bundesbürger 37 Kilo Plastikmüll im Jahr. Hinzu kommen die gewerblichen Abfälle, ergibt zusammen etwa sechs Millionen Tonnen pro Jahr. Rund ein Viertel des Mülls wird exportiert, davon wiederum ging die Hälfte – das sind 760 000 Tonnen – allein nach China. Der Großteil des Mülls wird in Deutschland in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Das nennt sich „thermische Verwertung“. Nur ein geringer Teil wird tatsächlich wiederverwertet. Grund: Eine sortenreine Trennung des Verpackungsmülls im gelben Sack oder in der gelben Tonne wäre extrem aufwendig und teuer.
Anstieg der Preise für die deutsche Müllentsorgung erwartet
Verbraucherschützer wie Vertreter von Umweltorganisationen gehen davon aus, dass als Folge des chinesischen Müllimport-Stopps die Preise für die Müllentsorgung in Deutschland mittelfristig kräftig steigen werden. Die Hersteller von Lebensmitteln oder anderen Produkten, die Lizenzgebühren an den Grünen Punkt für die Entsorgung der Verpackungen bezahlen, werden wohl die gestiegenen Gebühren an die Kunden weiterreichen. Der Grüne Punkt – der Betreiber des bekanntesten Sammelsystems – teilt dagegen mit, dass er von der China-Entscheidung „nicht direkt“ betroffen sei, weil der Inhalt der gelben Säcke oder Tonnen ohnehin größtenteils in Deutschland oder Europa verwertet werde. Zudem habe man eigene Recycling-Kapazitäten, die ausgebaut würden. Das aber kostet.
„Wenn China dichtmacht, bricht ein wichtiger Finanzierungsbaustein für das Recyclingsystem weg“, heißt es beim Handelsverband Deutschland. Zum einen fehle es an Müllverbrennungsanlagen, zum anderen auch an hochmodernen Anlagen, die in der Lage sind, den unsortierten und verunreinigten Verpackungsmüll zu trennen, um den Plastikabfall für die Herstellung neuer Produkte verwenden zu können.
Forderung nach gesetzlichen Quoten für den Einsatz von Recycling
Die Abfallwirtschaft fordert die Einführung gesetzlicher Quoten bei der Verwendung von Sekundärrohstoffen. So könnten etwa die Hersteller von Plastikflaschen gezwungen werden, mindestens 30 Prozent Recyclingmaterial zu verwenden. Im Bundesumweltministerium heißt es, man stehe der Einführung von Quoten aufgeschlossen gegenüber. Und auch die EU-Kommission arbeitet an einer eigenen Kunststoffstrategie. Dazu sollen, wie zu hören ist, auch „konkrete Anforderungen an den Recyclingeinsatz“ gehören.
Jörg Lacher vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) sieht das Problem als lösbar an: „Wir werden schon in Schwierigkeiten kommen, aber das sieht nicht so aus, dass der Privatmann auf seinem Müll sitzen bleibt“, sagt Lacher. Bis vor Kurzem hätten Recycling-Unternehmen ihr Material noch ankaufen müssen. Inzwischen bekämen sie teilweise schon Geld dafür, die Stoffe Sortieranlagen oder dem Dualen Systemen abzunehmen. „Dieser Trend wird sich ganz klar verstärken“, erklärt Lacher.
Chancen für mehr Kunststoff-Verwertung
Das Nein aus China zur weiteren Einfuhr von Plastikmüll aus Europa ist eine Herausforderung für Recyclingfirmen und Hersteller. Hier drei Beispiele:
- Neue Sortieranlagen: Auf diese setzt der Branchenführer Remondis. Hier will man in bessere Recycling- und Sortieranlagen investieren. In Lünen in Westfalen betreibt der Konzern bereits eine neue Hightech-Anlage, die Kunststoffabfälle mit Hilfe von Infrarotlicht und Luftdruckpistolen sortiert und am Ende Kunststoffgranulat herstellt. Daraus kann wieder neues Plastik produziert werden. Das spart Rohstoffe und mindert den Ausstoß von Treibhausgasen.
- Öko-Kunststoff: Bisher ist der Widerstand gegen Recyclingkunststoffe in der Verpackungsindustrie groß. Nur der ökologisch ausgerichtete Waschmittel-Anbieter Frosch füllt sein Waschmittel in eine Flasche ab, deren Plastik ausschließlich aus dem gelben Sack stammt. Der Preis dafür ist freilich höher als die Kosten für herkömmliche Flaschen.
- Anreizmodell: Der Abfallverband BDE fordert steuerliche Anreize oder Mindestvorgaben für den Einsatz von Sekundärrohstoffen – also Recyclingmaterial. 2015 haben Recyclingfirmen in Deutschland einen Umsatz von 13,1 Milliarden Euro gemacht. Feste Quoten würden das Geschäft noch lukrativer machen. Beispiel: Hersteller einer Waschmittel-Flasche könnten gezwungen werden, dass die Flasche zu 30 Prozent aus Gelber-Sack-Plastik bestehen muss. Die EU steuert jetzt in diese Richtung. (mic)