Am vergangenen Mittwoch hat in Baden-Württemberg die Schule wieder angefangen. Es kann nicht mehr lange dauern und die Kinder bringen einen Zettel mit nach Hause: die Einladung zum Elternabend. Ahnungslose, die bisher noch kein Kind in der Schule hatten, sollten wissen, was sie dort erwartet; Erfahrene werden bei der Lektüre dieses Textes sicher einiges finden, das ihnen bekannt vorkommt.
Nie wieder Schule! Das haben sich viele Jugendliche nach ihrem Abschluss geschworen. Als Mutter oder Vater landen viele von ihnen doch wieder auf der Schulbank. Beim Elternabend. Häufig sind diese Veranstaltungen eine Geduldsprobe – und mitunter körperlich eine Herausforderung, wenn sich Mütter und Väter auf Zwergenstühlchen kauern müssen. Doch die eigentliche – seelische – Herausforderung besteht darin, gewisse andere Eltern zu ertragen. Wir stellen einige der häufigen Quäl-Typen vor:
- Überengagierte: Meist handelt es sich um die gefürchtete Helicoptermutter. Ihr bleibt nichts verborgen im Leben ihrer Kinder. Der Elternabend ist die Bühne, mit Nerv-Fragen letzte und allerletzte Details zu klären. Zum Beispiel, ob es sinnvoll ist, dass die Wachsmalstifte eine Plastik-Ummantelung haben oder ob plastiklose Stifte nicht besser sind. Diese Mütter kennen alle Hefteinträge und wissen stets (in der Variante ihres Kindes), was im Unterricht besprochen wurde. Tests, die geschrieben wurden, werden analysiert und kritisiert. Das Ziel: Bestnoten für Tochter oder Sohn. Beim Vergleich mit anderen Familien will man gut dastehen. „Eltern, die stolz auf die schulischen Leistungen ihrer Kinder sind, schreiben diesen Erfolg auch zu einem gewissen Grad sich selbst zu“, sagt der Schulpsychologe Hans-Joachim Röthlein. Misserfolge empfänden sie dagegen als Kränkung.
- Selbstdarsteller: Es handelt sich meistens um Männer, die man anfangs in Grundschul-Elternabenden noch findet, bevor sie sich enttäuscht aus diesem Job zurückziehen und die Frau vorschicken. Die Lehrer oder Erzieher erklären gerade etwas? Davon lassen sich die Schwätzer nicht stören. Sie haben selbst viel zu erzählen und merken nicht, dass sie den Unterricht stören. Die Kinder der Schwätzer (meiste Buben) verhalten sich oft auch nicht anders.
- Netzwerkerinnen: Hier sind die Mütter naturgemäß stark, denn sie haben seit der Altsteinzeit einen riesigen Entwicklungsvorsprung im Kontakte knüpfen und pflegen. Netzwerke entstehen meist dann, wenn etwas zu organisieren ist und die Lehrerin (Lehrer sind in der Grundschule Exoten) froh ist, dass es jemand macht. Für den Weihnachtsbasar oder das Schulfest werden also Bündnisse der Schafferinnen geschmiedet. Dann gibt es längere Dialoge und Trialoge, die den Abend in die Länge ziehen können. Vorteil: Die wenigen Männer in der Runde sind froh, dass sie keinen Orga-Job übernehmen müssen, sondern höchstens daheim nachfragen sollen, ob die Frau vielleicht diesen oder jenen Kuchen backen kann (bitte in eine Liste eintragen, damit man nicht 2 Marmorkuchen hat).
- Nörgler/Innen: Gründe zur Kritik an Schule und Unterricht gibt es viele. Dauerthema: Das Essen in der Schulkantine, das angeblich keiner mag. Zu wenig Gemüse, zu oft Fleisch, nicht genug Bio, zu große Mengen oder zu kleine, zu teuer, zu lange Warteschlangen – sogar Knäckebrot kann für Gesprächsstoff sorgen: „Mein Kind wird davon nicht satt.“ Beliebt auch die Idee: „Wir wollen mittags mal zum Probeessen kommen“. Dauerbrenner sind auch der schwere Schulranzen, komplizierte Arbeiten und viiiiiel zu viele Hausaufgaben, weswegen das Kinde nicht mehr zu diesem und jenem Hobby kommt. Klar, dass sich vor allem Mütter als Nörgler hervortun, weil sich kein Vater fürs Kantinenessen groß interessiert.
- Co-Lehrer: Sie verstehen nicht, warum die Schule nicht alles einfach so macht, wie sie es vorschlagen. Schließlich haben sie Bücher gelesen, Experten befragt und nächtelang im Internet recherchiert. Oft handelt es sich um Besserwisserinnen, die nicht berufstätig sind und Zeit für besondere Ermittlungen besitzen. Einmal rückte eine Mutter beim Elternabend mit drei Aktenordnern an, „vollgepackt mit Expertenmeinungen zu Unterricht, Erziehung und Pädagogik“, schreiben die Autorinnen von „Schlachtfeld Elternabend“: „Und es gab keinen Zweifel daran, dass sie reden wollte. Lange und intensiv.“
- Besorgte: Es handelt sich um die anstrengenste Spezies von Eltern, meist sind es Mütter, die auch helicoptern. Es gibt ja so viele Gefahren. Etwa beim Sporttag. Eine sommerliche Schulstunde Sport im Freien – wenn da mal nicht einer kollabiert. Sollten Eltern nicht lieber mit Wasser und Apfelschnitzen daneben stehen? Und nach dem Mittagessen in der Schule – gehen da alle Zähneputzen wie im Kindergarten? Kritisch auch Klassenfahrten! Ist die Mitnahme des Lieblings-Stofftiers erlaubt? Schon die Bahn-Anreise taugt für Horrorszenarien. „Da kann doch einer verloren gehen!“ Den Beteuerungen der Lehrerin, dass die Kinder gut beaufsichtigt werden, mögen sie nicht glauben und bieten ihre Mitreise an.
Regisseur Sönke Wortmann, selbst Vater, rief mit seinem Film über einen chaotischen Elternabend („Frau Müller muss weg“, Filmstart 2015) Eltern auch zu mehr Gelassenheit auf: „Jetzt bleibt mal locker, vertraut euren Kindern, das wird schon alles“. Diese Haltung vermisse er ein bisschen, sagte er im Interview zum Filmstart. - Freiwillige: Wenn die beiden Elternsprecher gewählt werden sollen, fällt Schweigen über die Versammlung. Die Lehrerin kennt das, macht auf Optimismus und stellt die Fragen aller Fragen: „Wer meldet sich freiwillig?“ Schweigen. Meistens lassen sich ein, zwei Eltern nach langem Gebettel breitschlagen. Aber es gibt auch Helden, die sich kurzentschlossen melden, um den Drama ein Ende zu machen (oder die den Job halt nochmal für ein Jahr machen). Sie dürfen sicher sein, dass man ihnen Blicke voller Dankbarkeit schenkt, vor allem zu fortgeschrittener Stunde.
- Spielverderber: „Ist noch was? Noch Unklarheiten? Nein? Vielen Dank. Ach doch, da hinten.“ Vernichtende Blicke richten sich auf einen oder eine, der noch etwas klären will. Etwa zu einem Thema, das längst durch ist oder zu einer Fragen, die eine absurde Diskussion nach sich zieht. „Warum können sich die Kinder hier nur mit kaltem Wasser die Hände waschen? Das ist doch nicht hygienisch!“ Oder: „Ein Lehrer liegt krank darnieder. Dürfen ihm die Kinder ein Geschenk machen oder ist das nicht erlaubt?“ Es folgt eine ausgiebige Diskussion, die nochmal mindestens eine Viertelstunde kostet.
Kleiner Leitfaden für den Elternabend
- Sagen Sie Ehemann/Ehefrau/ Partner, dass sicher nicht vor 22 Uhr mit Ihnen zu rechnen ist.
- Legen Sie sich eine Entschuldigung zurecht, falls sie den Elternabend früher verlassen wollen. Vereinbaren Sie z. B. einen Handy-Anruf.
- Ist der Lehrer oder die Lehrerin Berufsanfänger, nehmen sie ihn oder sie gegen die Nörgler in Schutz. Sonst dauert der Abend noch länger.
- Wundern Sie sich nicht, wenn manche Lehrer in Kindersprache verfallen. Sie sind es so gewöhnt.
- Kleinen Notizblock und zwei Kugelschreiber mitnehmen. Denn der Nachbar hat garantiert keinen.
- Die zehn Euro für die Klassenkasse nicht vergessen.
- Glaubhafte Ausreden zurechtlegen, warum man nicht Elternsprecher werden kann.
- Kritisieren Sie nicht den amtlichen Lehrplan. Wenn Buben stricken lernen sollen, ist es halt so.
- Vorsicht beim Schulbasar! Es werden immer Freiwillige gesucht oder zum Schichtdienst eingeteilt.
- Nehmen Sie sich ein Getränk mit. Die Schule ist eine Servicewüste – und der Elternabend lang. (mic)