Die Nächte werden länger, die Tage kürzer, Nebelschwaden begleiten die Pendler morgens zur Arbeit. Alles zum Gruseln. Eltern schulpflichtiger Kinder werden jetzt mit einer besonderen Form des Grauens konfrontiert: dem Elternabend. Wem er zum ersten Mal bevorsteht, der mag sich noch in optimistischer Erwartung ergehen. Wer sich der Tortur schon länger aussetzt, zittert schon am Ende der Sommerferien vor einem Blatt Papier, das die Kinder aus der Schule mitbringen werden: die Einladung zum Elternabend.

Schnell wieder nach Hause

Die Zahl der Eltern, die einen Elternabend als informative Bereicherung erleben, dürfte gegen null gehen. Die meisten Mütter (der größere Teil der Opfer) und Väter (seltener anzutreffen) wollen das Ereignis einfach nur abhaken. Doch sie werden aufgerieben und fallen – wenn sie zwischen 22 Uhr und 22.30 Uhr wieder zu Hause sind – gerädert und desillusioniert ins Bett.

Der Härtetest für die Eltern beginnt mit den Informationsabenden für Einschulungskinder. Dann sitzt vor dem Rektor eine halbe Turnhalle oder Aula schweigender Eltern. Ist der Rektor technisch versiert, nimmt er für seinen Vortrag einen alten Overhead-Projektor zu Hilfe, um Diagramme, Organigramme und Texte an die Wand zu werfen, die in mikroskopisch kleiner Schrift vor vielen Jahren auf eine Folie getippt wurden. In Ausnahmefällen besitzt die Schule Laptop und Beamer, der aber ständig streikt.

Berechtigte Zweifel

In den Klassen hocken die Eltern auf Zwergenstühlen. Die Knie stoßen an Gitterkästen, in die die Schulranzen geschoben werden. Die Lehrerin (männliche Lehrer sind praktisch ausgestorben) steht an der Tafel und kündigt – wenn sie zu den sensiblen Naturen gehört – an, man werde „vor zehn“ sicher durch sein. Zweifel sind berechtigt.

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Denn zunächst wird die Anwesenheitsliste durchgereicht und Geld für die Klassenkasse eingesammelt. Sind die Kinder ABC-Schützen, wird es im Anschluss zäh wie Hutfilz: Büchereinband, Hefteinband, Wachsmalstifte, Turnbeutel mit eingesticktem Namen, Hallenschuhe, Pausen-Snack, liniertes Papier, kariertes Papier, schwerer Ranzen, Hausaufgabenheft – alles ist Thema.

Ein quälendes Gefrage

Denn jetzt schweigen einige Eltern nicht mehr, sondern quälen andere mit ihrem Gefrage. Die Lehrerin versucht standhaft, freundlich zu bleiben. Vorsicht, es droht ein Amt! Die größte Herausforderung ist die Wahl der Elternvertreter. Wehe, es steht keiner spontan für dieses Amt bereit! Dann beginnt eine Kandidaten-Suche, die sich wie Kaugummi in die Länge zieht.

Keiner will, aber am Ende müssen zwei Namen auf dem Papier stehen. Hoffnung keimt auf, wenn zwei, drei Mütter sich kennen und eine von ihnen sanft bedrängt wird. Dann gibt es die Naturen, die selbst nicht den Finger heben, sondern nominiert werden wollen. Es gilt, sie ausfindig zu machen – ohne sich selbst in Gefahr zu begeben, nominiert zu werden.

Raunen der Erleichterung

Sind nach einer quälenden halben Stunde zwei Kandidaten gefunden, vereinigen sie 100 Prozent der Stimmen auf sich – und ein Raunen der Erleichterung geht durchs Zimmer. Nimmt die Lehrerin danach nicht die Zügel straff in die Hand, kann die ganze Sitzung gut noch eine halbe Stunde länger dauern: Was ist, wenn mein Kind krank ist? Was ist, wenn die Hausaufgaben nicht verstanden werden? Was ist, wenn? Was ist, wo?

Es ist die Geisterstunde der Helikopter-Mütter, die die totale Kontrolle über das Schüler-Dasein ihrer Kinder beanspruchen. Sie machen Vorschläge, die keiner hören will, und hinterfragen, was alle anderen anstandslos passieren lassen. Ein Trugschluss übrigens, wenn Eltern denken, eine junge Lehrerin sei aufgeschlossener und moderner als eine ältere.

Lehrerin will ihre Ruhe haben

Passionierte Elternabend-Sportler wissen vom Gegenteil zu berichten: Während die gestandene Pädagogin meist kein Problem damit hat, ihre private Telefonnummer und die Mail-Adresse mitzuteilen, kommt die Frage nach solchen Dingen bei den Damen Anfang 30 eher schlecht an. Nach Feierabend wolle man „seine Ruhe haben“. Treuherzig wird empfohlen, die Nummer des Schulsekretariats zu wählen und sich durchzufragen.

Elternabend-Profis können sich ein Lachen nicht verkneifen. Die Verweigerungstaktik der Lehrerin wird natürlich nicht laut kritisiert. Schließlich soll es das Kind ja gut haben in der Klasse. Manchmal, so scheint es, sind wir an der autoritären Schule unserer Großeltern doch näher dran, als man denkt.

Buch-Tipp: Schlachtfeld Elternabend – Der unzensierte Frontbericht von Lehrern und Eltern. Von Bettina Schuler und Anja Koeseling (Hrsg.), Eden Books, 9,95 Euro