Wer im Straßenverkehr unterwegs ist, braucht viel Umsicht – und gute Nerven. Da parken Autos Radwege zu, blockieren Lieferwagen Feuerwehrzufahrten, versperren hingeworfene E-Scooter Gehwege. Falschparker sind ein großes Ärgernis. Aber: Was tun? Die Polizei rufen und abschleppen lassen? Dafür fehlt vielen im Alltag die Zeit.

Beweisfoto hochladen, Verstoß beschreiben, Vorfall melden

Wer seinen Ärger nicht einfach runterschlucken will, kann es mit dem Portal weg.li probieren: Auf der Webseite können Parksünder per Mausklick gemeldet werden. Beweisfoto hochladen, Verstoß beschreiben, Vorfall melden – fertig ist die Anzeige, die vom Webseiten-Betreiber dann per Mail an das zuständige Ordnungsamt der Stadt geschickt wird.

Die spendenfinanzierte Plattform hat in der Öffentlichkeit für viel Aufsehen gesorgt, zahlreiche Medien, darunter der „Spiegel“ und „Bild“, berichteten. „Mit der Webseite weg.li kannst Du supereinfach Falschparker anzeigen“, wirbt das Portal für seine Dienste.

In der Praxis erweist sich das Verfahren jedoch als komplizierter. So müssen zahlreiche Angaben gemacht werden, um eine Meldung zu erfassen: genauer „Tatort“ und „Tatzeit“, Marke und Farbe des Autos, Verstoß (etwa Parken auf dem Radweg).

Das ist bürokratischer, als es mit der – inzwischen eingestellten und mit weg.li fusionierten App „Wegeheld“ – der Fall war. Dort konnten die GPS-Daten direkt aus dem Foto übernommen werden.

Trotzdem wird von dem Melde-Werkzeug rege Gebrauch gemacht: So gibt es auf weg.li gut 61.000 registrierte Nutzer (darunter knapp 30.000 „aktive Melder“), die bereits mehr als 800.000 Anzeigen erstattet haben. weg.li gibt auf seiner Webseite Wochen-, Monats- und Jahresziele für Anzeigen aus.

Was hat die Plattform vom gegenseitigen Anschwärzen?

Allerdings: Was hat die Plattform davon, wenn sich Bürger gegenseitig anschwärzen? Wie lange werden die Fotos gespeichert? Wer sind die Spender? Welche Motivation steckt dahinter? Verfolgt hier jemand eventuell eine politische Agenda?

Diese Fragen harren einer Klärung. Doch seriöse Antworten waren nicht zu bekommen. Auf eine schriftliche Anfrage des SÜDKURIER reagierte der Betreiber des Portals, Peter Schröder, mit Unernst und Zynismus. Die Motivation sei Geld, die Finanzierung erfolge durch „Spenden aus dem Kreml“, bei den Fotos handele es sich um „Aquarelle“.

Zum Vorwurf des Denunziantentums teilte er lapidar mit: „Isso“. Zuvor hatte Schröder einen Screenshot der vertraulichen E-Mail-Anfrage des Autors auf der Plattform X (vormals X) öffentlich gemacht, versehen mit dem hämischen Aufruf: „Wer es schafft, Adrian seine Fragen bis zur Deadline zu beantworten, der bekommt eine Pommes Rot-Weiß!“

Autos parken auf einem Gehweg in Konstanz am Bodensee.
Autos parken auf einem Gehweg in Konstanz am Bodensee. | Bild: Hanser, Oliver

Die Community aus der linksalternativen Fahrradaktivistenszene applaudierte – wenngleich es auch Stimmen gab, die die Bloßstellung eines Journalisten kritisch sahen. Schröder wählte schließlich die polemischste aller Antworten aus und schickte sie dem Autor zurück.

Der Fall ist ein Lehrbeispiel für eine dauerempörte, moralisierende Netzöffentlichkeit, in der, angeheizt durch Algorithmen, Trolle im Schutz der Anonymität Hetzjagden auf Personen betreiben. Ein vermeintlich falsches Wort, schon wird man von der digitalen Meute zum Abschuss freigegeben. Schröder hatte bereits zuvor Presseanfragen öffentlich gemacht und die Absender der Lächerlichkeit preisgegeben.

Screenshot der Beschwerde-Mail veröffentlicht

Ähnlich indiskret behandelte Schröder die Anfrage einer SWR-Hospitantin, die er samt Mail-Adresse auf X veröffentlichte. Als sich die Redaktionsleitung eine Entfernung oder Schwärzung der personenbezogenen Daten forderte, reagierte Schröder noch dreister: Er veröffentlichte einen Screenshot der Beschwerde-Mail des Senders.

Der Initiator des Portals scheint offenkundig ein Problem mit Medienvertretern zu haben – und wähnt sich im Stil eines Whistleblowers auf der moralisch richtigen Seite. Briefgeheimnis? Datenschutz? Alles zweitrangig, wenn es um böse Falschparker geht!

Auf die Anfrage eines Journalisten der „Pforzheimer Zeitung“ reagierte er der polemischen Frage: „Wie oft müssen sie immer gleichlautende, recherchebefreite Presseanfragen für regionale Käseblätter beantworten?“ Dass Medienvertreter immer wieder dieselben Fragen stellen, zeigt aber nur den Klärungsbedarf der Öffentlichkeit.

Stutzig macht auch die Domain-Endung „.li“ – die Top-Level-Domain Liechtensteins. Es ist nicht unüblich, dass man Webseiten „ausflaggt“, also in anderen Ländern registriert. So verlegten zahlreiche Start-ups ihre Internetpräsenz auf die Karibikinsel Anguilla, weil deren Domain-Endung „.ai“ die Abkürzung für Artificial Intelligence, künstliche Intelligenz, ist.

Wo aber bei weg.li die Verbindung zum Fürstentum Liechtenstein besteht, ist unklar. Mit eigenen Informationen geht weg.li offensichtlich nicht so großzügig um wie mit Daten anderer.

weg.li: Zwischen Rechtshilfe und Selbstjustiz

Dabei wirft die Praxis legitime Fragen auf: Dürfen Fotos von Falschparkern im Netz veröffentlicht werden? Darf man als Bürger Hilfssheriff spielen und Falschparker anzeigen? Erfüllt dies den Straftatbestand der Amtsanmaßung? Wo hört Rechtshilfe auf, wo beginnt Selbstjustiz? Ein ernsthafter Dialog mit dem Betreiber ist offensichtlich nicht möglich.

Dabei sind juristische Grundlagen durchaus gegeben. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat 2022 in einem Urteil entschieden, dass das Fotografieren von Falschparkern grundsätzlich zulässig sei. Bei der Übermittlung eines Lichtbilds an die Polizei liege ein „berechtigtes Interesse“ im Sinne der Datenschutzgrundverordnung vor.

Das könnte Sie auch interessieren

Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die zur Anzeige von Falschparkern öffentlich aufruft. Jedoch mahnten die Richter zur Vorsicht, weil auf den Fotos auch Personen oder Kennzeichen unbeteiligter Fahrzeuge abgelichtet sein könnten. Diese müssten unkenntlich gemacht werden, sonst verstoße man gegen Datenschutzrecht.

Bloß: Nicht jeder macht sich im Eifer des Gefechts die Mühe, Kennzeichen und Personen zu schwärzen. In der guten Absicht, einen Parkverstoß zu melden, begeht mancher Melder einen Datenschutzverstoß.

Zwar weist weg.li auf seinem Portal auf den Datenschutz hin. Jedoch ist die Datenschutzerklärung sehr allgemein gehalten und bezieht sich vor allem auf Webseitendaten, sogenannte Cookies. Welche Speicherfristen für hochgeladene Fotos gelten, bleibt offen. Die lancierten Indiskretionen mehrerer Medienanfragen zeigt: Wer mit weg.li in Kontakt tritt, muss damit rechnen, am Ende selbst am Online-Pranger zu stehen.