Nur ganz wenige Menschen haben das Privileg, in den Weltraum zu fliegen. Aber Milliarden von Menschen nutzen den Weltraum, meist ohne sich dessen bewusst zu sein: Wer auf dem Handy seine Position sieht, mit dem Navi ans Ziel kommt, ein Tennisturnier in Australien im Fernsehen schaut oder sich im Internet übers Wetter informiert, vertraut der Satelliten-Kommunikation und ist damit ein Kunde im All.

Wenn eine Großrakete gleich ein halbes Dutzend von Satelliten in die Erdumlaufbahn bringt, ist das in den Medien kaum eine Meldung wert. Zu selbstverständlich ist die Stationierung der künstlichen Himmelskörper im Orbit geworden. Allenfalls neue Forschungssatelliten, die Erkenntnisse über schmelzende Pole, wärmere Meere oder dürre Böden sammeln, ernten noch Aufmerksamkeit, der Rest startet unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle.

Dabei wird gerade hier von privaten Betreibern Geld verdient, Tendenz stark steigend. Ermöglicht wird das durch den Flug ganzer Schwärme von Satelliten um die Erde. Allein das Starlink-Projekt des Betreibers SpaceX, das dem US-Raumfahrt-Unternehmer Elon Musk gehört, zählte im Juni diesen Jahres 3268 Satelliten. Am Ende sollen 12.000 Geräte das Internet in jeden Winkel der Erde bringen.

Das kann man gutheißen, aber man daraus auch die spannende Gretchenfrage ableiten: Wem gehört eigentlich das Weltall? Das stand im Zentrum einer Diskussion in Konstanz, im Rahmen des bundesweiten Wissenschaftsjahrs 2023 moderiert von Jörg-Peter Rau, Mitglied der SÜDKURIER-Chefredaktion.

Wieviel Wildwest-Kultur herrscht rund um den Blauen Planeten? Kann man den Orbit einfach so mit seinen Satelliten bestücken und Millionen verdienen? Auf der Erde wäre die Frage schnell beantwortet: Wer Flächen nutzt, muss sie kaufen oder den Grund pachten, im All indes wird kein Nutzungsentgelt verlangt.

Für Katja Grünfeld, Expertin für Luft- und Raumfahrtrecht an der Universität Köln, gibt auf die Frage eine paradox erscheinende Antwort: „Der Weltraum gehört niemanden und allen.“ Das haben die meisten Staaten der Erde 1963 im Weltraumvertrag juristisch wasserdicht gemacht und es ähnlich wie mit der Antarktis geregelt: „Jeder hat das Recht, diesen Raum zu nutzen und zu erforschen“, hält die Juristin fest.

Das Konstrukt des internationalen Abkommens hielt der Wirklichkeit so lange stand, wie Raumfahrt fast nur der Forschung diente und sie allein von staatlichen Agenturen wie der Nasa oder der europäischen Esa betrieben wurde. Sie war stark kooperativ geprägt und ist es bei der Mannschaft der Raumstation ISS noch immer.

Aber die Stunde der privaten Raumfahrt-Pioniere hat längst geschlagen. Kürzlich brachte der Milliardär Richard Branson, Eigner der Space-Airline „Virgin Galactic“ zahlungskräftige Passagiere an den Rand des Weltraums; Musks Stalink konkurriert mit OneWeb, ein Investoren-Netzwerk, das am Ende mehr als 6000 Internet-Satelliten kreisen lassen will. „Es gibt einen Goldrausch in der Raumfahrt“, sagt Kolja Nicklaus, Ingenieur beim Raumfahrt-Unternehmen Spacetech in Immenstaad am Bodensee.

An diesen Massenverkehr rund um die Erde haben die USA und die Sowjetunion nicht gedacht, als sie die Staaten damals im Weltraumvertrag um sich scharten. Nur in Washington und Moskau wurde Raumfahrt geplant, später kamen die Europäer dazu. Heute sind China, Indien, Japan, Südkorea, Brasilien, die Öl-Könige in Mittelost und andere Länder im Spiel, während die privaten Player Tempo machen und Milliarden investieren. „Der Weltraum wird gerade ein Industriegebiet“, stellt Marieluna Frank fest, die am Lehrstuhl für Global Governance der Zeppelin-Universität Friedrichshafen arbeitet.

Nur lockere Leitplanken

Der Weltraumvertrag hat bei so viel Einwanderung ins All keine Ordnungsmacht mehr, sondern setzt nur lockere rechtliche Leitplanken. Das sehen alle Experten ähnlich und leiten vor dem Hintergrund eines neuen Rabaukentums im erdnahen Orbit Handlungsbedarf ab. Kolja Nicklaus spricht von einer „Okkupation“, die Elon Musk im All durchsetze, wenn er etwa die Esa zwinge, ihre Satelliten Ausweichmanöver fliegen zu lassen, um eine Kollision mit Starlink-Sonden zu vermeiden. Hier fällt sogar das Wort „rücksichtlos“, wobei der Experte auch auf die demokratisierenden und multikulturellen Effekt von Musks Projekt hinweist.

Bei allem Nutzen, den die neue Satelliten-Invasion ins All den Menschen bringt, stellt sich daher die Frage, wie der Umgangston im Orbit künftig aussehen soll. Gilt bald das Recht des (Umsatz)Stärkeren oder des Innovationskräftigeren? Experten wie Jens Themmen, space-affiner Kulturwissenschaftler an der Universität Düsseldorf sehen diese Gefahr. Sie nimmt schon jetzt durch die Hinterlassenschaft des Weltraumschrotts konkrete Formen an. „So wird die Nutzung für künftige Generationen erschwert oder verunmöglicht“, warnt Marieluna Frank. Ihre Kölner Kollegin Grünfeld fordert „Umweltschutz auch im Weltraum“.

Dieser ist zumindest teilweise schon Realität. So verpflichten sich alle Betreiber von neuen Satelliten, die Apparate nach Ende der Dienstzeit in die Atmosphäre sinken und dort verglühen zu lassen. Aber die Ideen von Nasa und Esa, alten gefährlichen Schrott im Orbit einzusammeln, sind bisher nicht verwirklicht worden. Denn die Technik ist anspruchsvoll, teuer und nach Ansicht der Experten auch rechtlich nicht ohne Tücken: Darf man die Reste eines Satelliten einsammeln, der einst von einem anderen Land gestartet wurde?

Marieluna Frank hat Hoffnung auf eine Lösung dieser verzwickten Fragen. Raumfahrt-Staaten und private Akteure müssten sich auf „Verkehrsregeln“ im All einigen. Hierbei geht es um eine Erweiterung eines bereits bestehenden Konsenses: das im Weltraumvertrag festgelegte Verbot der Stationierung von Kernwaffen und Massenvernichtungswaffen im Erdorbit. Allerdings hat diese Abmachung die Militarisierung des Weltalls nicht verhindert. Zahlreich sind dort Spionagesatelliten unterwegs, auch Deutschland ist hier dabei.

Einen Kampf um die friedliche „Umweltzone Weltall“ halten alle Experten für geboten. Doch begonnen werden könne er nur, wenn die Politik das als ihre Aufgabe betrachte und dazu von den Bürgern motiviert werde. Die Aufforderung von Kolja Nicklaus an das Publikum: „Schreiben Sie ihrem Bundestagsabgeordneten!