Herr Schmid, viele Mediziner sind besorgt, weil Krankheitskeime gegen Antibiotika resistent werden. Das liegt auch am sorglosen Umgang mit den Stoffen. Ist der Einsatz von Antibiotika immer verantwortungsvoll oder gibt es Beratungsbedarf?
Diesen Bedarf gibt es durchaus. Bereits Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, warnte in seiner Nobelpreisrede im Jahr 1945 vor Antibiotika-Resistenzen. Inzwischen wurden diese als eine der zehn Bedrohungen der Weltgesundheit eingestuft. Resistenzentwicklung und der Einsatz von Antibiotika sind untrennbar miteinander verbunden.
Wie begegnen Kliniken der Bedrohung?
Wichtig ist zunächst die Aufklärung. Im Klinikalltag beraten wir die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen bei der Diagnostik und Therapie von Infektionserkrankungen. Hierbei ist das Ziel, durch eine gute mikrobiologische Diagnostik so wenig wie möglich und so viel wie notwendig, Antibiotika einzusetzen. Weiterhin sind die Wahl, die Dosierung und die Dauer der Antibiotikatherapie zu klären.

Manchmal entsteht der Eindruck, dass bei einem grippalen Infekt oder einer Blasenentzündung zu rasch ein Antibiotikum verschrieben wird. Wo sehen Sie Möglichkeiten im ambulanten Bereich, auf Antibiotika zu verzichten?
Für über 80 Prozent der saisonalen Infekte der oberen Atemwege – also Schnupfen, Husten, Heiserkeit – sind Viren und nicht Bakterien die Ursache. Antibiotika schaden hier mehr, als dass sie nutzen. Es gibt gute wissenschaftliche Belege, dass ein Antibiotikum bei einer einfachen Blasenentzündung einer ansonsten gesunden Frau keinen Vorteil bringt.
Man hört, dass die Einnahme eines Antibiotikums nicht nur regelmäßig, sondern so lange erfolgen muss, bis die verordnete Menge verbraucht ist. Kann man die Einnahmedauer generalisieren?
Nein. Grundsätzlich sollte die Dauer der Einnahme mit dem verordnenden Arzt abgestimmt werden. Die Packungsgröße ist nicht immer ein Maß für die Einnahmedauer. Für die meisten ambulanten Infektionserkrankungen reicht die Dauer von fünf bis sieben Tagen aus. Bei Patienten im Krankenhaus sollte die Antibiotikatherapie spätestens am Tag drei erneut beurteilt werden.
Das heißt, dass ein Patient unter Beobachtung stehen muss, um über die Weitervergabe zu entscheiden? Bei einer ambulanten Antibiotika-Vergabe durch den Hausarzt ist das kaum möglich.
Im ambulanten Bereich ist das natürlich schwieriger. Eine Wiedervorstellung nach drei bis vier Tagen, um auch mögliche Komplikationen rechtzeitig zu erkennen, wäre aber sinnvoll. Je nach Krankheitsbild und Krankheitsverlauf kann das Antibiotikum dann eventuell wieder abgesetzt werden.
Warum dürfen manche Antibiotika nicht in direktem Zusammenhang mit Milch eingenommen werden?
Wegen des Kalziums. Vereinfacht gesagt, verklumpt das Antibiotikum mit Kalzium im Verdauungstrakt und kann seine Wirkung nicht entfalten. Das gilt letztendlich für alle Milchprodukte aber auch für Eisen und Magnesium. Der Einfachheit halber empfehle ich Antibiotika grundsätzlich nicht zusammen mit Milchprodukten, Eisen oder Magnesium einzunehmen. Wenn ein zeitlicher Abstand von zwei Stunden eingehalten wird, lässt sich die Wechselwirkung vermeiden.
Was sollte man bei der Aufbewahrung von Antibiotika beachten?
Wie alle Arzneimittel können auch Antibiotika aufgrund falscher Aufbewahrung durch die Temperatur, Lichteinwirkung oder Feuchtigkeit in ihrer Qualität und somit auch in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt werden. Daher ist es wichtig, die Angaben auf der Umverpackung des Antibiotikums zu lesen. Im Zweifel sollte die oder der Apotheker befragt werden.
Früher konnte man Reste von Medikamenten in den Apotheken abgeben. Wie entsorge ich Antibiotika richtig?
Wichtig ist, Antibiotika nicht über das Waschbecken oder die Toilette zu entsorgen, weil so das Grundwasser belastet werden könnte. Soweit keine besonderen Hinweise in der Gebrauchsinformation oder auf der Packung stehen, können Antibiotika – so, wie andere Arzneimittel auch – mit dem Hausmüll entsorgt werden, der verbrannt wird. Um Kinder zu schützen, kann man sie sicherheitshalber in Zeitungspapier eingewickelt in die Restmülltonne werfen. Wichtig: Antibiotika-Reste sollten auf keinen Fall in Eigeninitiative, ohne Rücksprache eines Arztes eingenommen werden.
Das Hegau-Bodensee-Klinikum nimmt an einer Infektiologie-Studie der Uni-Klinik Freiburg teil. Warum?
Wir wollen die Versorgung und Behandlung von Menschen, die sich aufgrund einer Infektion stationär in einer Klinik befinden, verbessern. Das geschieht durch Leitlinien, Schulungen, Antibiotika-Visiten und einem infektiologischen Beratungsdienst, also eine Unterstützung und Falldiskussionen durch einen Experten. Das Projekt wird mit 3,2 Millionen Euro gefördert. Im Erfolgsfall kann das Projekt einen Beitrag dazu leisten, dass Antibiotika angemessener eingesetzt, Resistenzen verringert und Behandlungsergebnisse verbessert werden.
In manchen Ländern kann man Antibiotika im Supermarkt kaufen, bei uns nur in der Apotheke. Reicht das aus, um Resistenzen vorzubeugen?
Nur bedingt. Patienten sollten über Sinn und Zweck, Nebenwirkungen und Kollateralschäden einer Antibiotika-Therapie informiert werden. Um die Menschen regelmäßig mit Fleischprodukten zu versorgen, werden in der Landwirtschaft noch weitaus mehr Antibiotika als in der Humanmedizin eingesetzt. Es gibt aber Belege, dass resistente Erreger durch die Nahrungskette und das Grundwasser auf den Menschen übertragen werden können. Dieses Problem ist vielen Menschen nicht bewusst.