Die Harley steht neben der Tankstelle am Ortsausgang von Schluchsee, direkt an der Schwarzwaldhochstraße, der B500, die den heilklimatischen Luftkurort vom See trennt. Das dumpfe Tuckern im Standgas lässt die Diskussion um den zunehmenden Motorradlärm auf der Terrasse des Kurhauses, keine 100 Meter Luftlinie entfernt, kurz ersterben. „Der steht jetzt da wie bestellt“, sagt Bürgermeister Jürgen Kaiser und schaut von der Terrasse hinab Richtung Tankstelle, „das hört man den ganzen Hang hinauf.“
Kaiser trifft sich an diesem Tag mit Schluchseer Bürgern und Thomas Marwein, dem Lärmschutzbeauftragten der Landesregierung, um über den Lärmschutz vor Ort zu reden.
Neben Johannes Albrecht, dem Feldberger Bürgermeister, der die gleichen Probleme hat, ist auch Volker Haselbacher von der Hochschwarzwald Tourismus GmbH gekommen – auch hier wird Motorradlärm zunehmend als Problem erkannt, obwohl die Biker selbst als Zielgruppe willkommen sind.
Der Blick vom Kurhaus geht über die B500 hinweg direkt auf den türkisblauen Schluchsee. Ein Postkartenidyll.
Zumindest, wenn man sich die Ohren zuhält. An manchen Tagen passieren Hunderte von Motorrädern diese Strecke, brausen durch den Ort, drehen nach dem Ortsschild wieder auf, dazu kommen Schwerverkehr und Pkw. Die Lärmbelastung hat in den letzten Jahren massiv zugenommen, nicht nur die Anwohner leiden, sondern auch der Fremdenverkehr des heilklimatischen Luftkurorts fürchtet um seine Gäste.
„Auf der Terrasse draußen sitzen, das war einmal“, sagt Hans-Edgar Reinschmidt aus dem Ortsteil Blasiwald direkt hinter der Staumauer, an dem die B 500 vorbeiführt.
Von fünf Uhr morgens bis nach 22 Uhr – „das ist dann die Abkühltour“ seien die Anwohner in der Saison dem Motorradlärm ausgesetzt. „Mehr als fünf Stunden Schlaf sind nicht drin. In den letzten fünf Jahren hat das irrsinnig zugenommen“, sagt er. Auch er will Schluchsee nicht zusperren. „Es geht nicht ohne Tourismus„, sagt er, „aber es geht doch leiser.“
Die Forderungen der Bürger an Marwein reichen von völligem Motorradverbot am Wochenende über drastische Geschwindigkeitsbegrenzungen bis hin zu höherem Kontrolldruck. Das meiste kann eine Kommune rechtlich nicht selbst verhängen, vor allem kein Fahrverbot.
Das wird aus Gründen der Verkehrssicherheit von den übergeordneten Behörden erlassen – Lärmschutz reicht dafür nicht. „Wir müssen ordnungspolitisch endlich etwas machen, wir können uns nicht immer vom Landratsamt sagen lassen, dass der fließende Verkehr Vorrang hat“, fordert Friedbert Zapf, Gemeinderat von Schluchsee.
Aber Marwein, der bundesweit einzige Lärmschutzbeauftragte einer Landesregierung, kann dem nicht viel entgegensetzen. Er verweist auf die unübersichtliche Rechts- und Verordnungslage biem Thema Lärmschutz und ein fehlendes Gesamtkonzept auf Bundesebene. „Die Vorgaben für Motorradlautstärke etwa werden von der EU gemacht, und die meisten viel zu lauten Klappen-Auspuffe sind zugelassen und legal“, sagt Marwein. Dazu kommen einzelne schwarze Schafe, die den Schalldämpfer an ihren Maschinen ganz abschrauben und, wenn sie überhaupt kontrolliert werden, lächelnd ihr Bußgeld bezahlen und weiterfahren.
Marwein besucht dieser Tage vier Lärm-Hotspots in touristisch attraktiven Regionen, neben Schluchsee auch Oppenau in der Ortenau, Wüstenrot in den Löwensteiner Bergern und Münsingen auf der Schwäbischen Alb. Die Klagen sind überall die gleichen. „Der Motorradlärm ist für die Anwohner zunehmend unerträglich“, sagt Marwein. Von den rund 2000 Beschwerden pro Jahr an sein Büro betreffen 40 Prozent Motorradlärm, sagt er, „obwohl die ja nur ein halbes Jahr fahren“.
Denn Motorradfahren liegt im Trend, allein 2018 wurden in Baden-Württemberg mit 24858 Krafträdern zehn Prozent mehr neu zugelassen als noch im Vorjahr. 2019 sind landesweit 687913 Maschinen angemeldet – so viele wie noch nie zuvor.
Lärmschutz kommt in der neuen Tourismuskonzeption nicht vor
Marwein kann vor Ort nur zuhören, den Kommunen zu Lärmaktionsplänen raten, zu lärmreduzierenden Straßenbelägen bei Sanierungen. Und er kann die anderen Ministerien der Landesregierung für das Thema sensibilisieren. „Ich versuche, was möglich ist“, sagt er, „aber für mich ist das auch mannchmal frustrierend.“ So wie vor kurzem bei der Vorstellung der neuen Tourismuskonzeption des Landes durch Tourismusminister Guido Wolf (CDU). Auf den 132 Seiten taucht das Wort Lärmschutz kein einziges Mal auf.
Forderungskatalog der Kommunen
30 baden-württembergische Kommunen haben sich vergangene Woche auf Einladung des Landeslärmschutzbeauftragten Thomas Marwein zu einer Initiative zur Eindämmung des Motorradlärms zusammengeschlossen. Ziel ist, im Bund und bei der EU mit einer Stimme zu sprechen. Gemeinsam mit dem Verkehrsministerium soll bis zum Frühjahr 2020 ein Forderungskatalog erarbeitet werden. Ansatzpunkte sind:
- Leisere Motorräder
- Ambitionierte Novellierung der Genehmigungs- und Zulassungsregelungen, neue Messverfahren
- Drastische Strafen für Manipulationen
- Geräuschmessungen zur Unterstützung polizeilicher Kontrollen
- Definition von Geräuschgrenzwerten
