Update 12.00 Uhr:

Auch Marcus Nabholz äußert sich nun zu seinem Auftritt. Er gab dem SÜDKURIER folgende Stellungnahme: 

„Zum Ersten war und bin ich sehr geschockt über die Reaktionen über meinen Auftritt, die im Internet hervorgerufen wurden. Mich in die rechte Ecke zu stellen ist absolut primitiv und absurd. Viele Textbeiträge meinerseits an Fasnacht, aktuell mein Couplet im diesjährigen Narrenspiel mit meiner Tochter, beweisen das Gegenteil.

Zum Zweiten sind meiner Meinung nach die Lieder Herrmanns  ein Teil der konstanzer Fasnachtskultur. Sie gehören zur konstanzer Fasnacht wie Blätzlebuebe, Kameler, Niederbürgler usw. Die Lieder haben absolut nichts mit der Nazivergangenheit von Willi Herrmann zu tun. Sie wurden viele Jahre nach dem dritten Reich komponiert. Man muss einfach die Lieder von der Vergangenheit Herrmanns trennen. Von dieser distanziere ich mich mit aller Entschiedenheit.

Auch die Liedtexte sind absolut harmlos, sie beschreiben unsere Bodenseelandschaft und Lebensfreude die die Fasnacht verbreitet. Jahrzehntelang wurde mit Begeisterung "Mädle wenn vu Konstanz bisch" gesungen und plötzlich wird nach Bekanntwerden der Nazivergangenheit der Text als frauenfeindlich bezeichnet.

Dass die Texte nicht unbedingt dem heutigen Zeitgeist entsprechen, ist unbestritten, kann und darf aber nicht ausschlaggebend für die Beurteilung sein.

Viele Menschen , darunter namhafte Vertreter aus Politik und Wirtschaft haben meinen Auftritt gefeiert und sich nach dem Komponisten der Lieder erkundigt. Ich habe ihnen die Vergangenheit des Komponisten erklärt und das die Lieder inzwischen umstritten sind.  Alle teilten ausnahmslos meine Ansicht, dass man Lieder und Vergangenheit trennen muss.

Zum Dritten bin ich sehr verwundert und auch enttäuscht von meinem Präsidentenkollegen Mario Böhler, der ohne Rücksprache mit mir, die Zusammenarbeit zwischen Kamelia und Niederburg infrage zu stellen. Dazu hat er keine Berechtigung, er ist nur für die Organisation und den Ablauf des Narrenspiels zuständig. Was darüber hinausgeht, ist Sache der Narrenräte der beiden Vereine. Außerdem zeugt das nicht gerade von kameradschaftlichem Miteinander, in der Öffentlichkeit über einen Kollegen so zu reden.

Ich bedaure zutiefst was mein Auftritt in Berlin verursacht hat, ist es doch nur mein Ansinnen, den Menschen an der Fasnacht ein paar fröhliche Stunden zu bereiten. Dass jetzt daraus ein Politikum gemacht wird ist jammerschade und der Fasnacht nicht zuträglich."

Update 10.10 Uhr:

Rainer Hespeler, der Präsident der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee hat folgende Stellungnahme abgeben:

„Die Fasnacht steht für Toleranz, Offenheit und Integration. Sie führt Menschen unterschiedlicher Herkunft, Nationalität und Religion zusammen. Für diese Werte steht die Narrenvereinigung Hegau-Bodensee. Wir lehnen jede Form von Extremismus strikt ab und distanzieren uns vollständig von jeglichem rechtsradikalen Gedankengut. Das hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen.

Willi Hermann war schwerer Antisemit und schlimmer Nationalsozialist. Durch die Aufnahme zweier Lieder von Willi Hermann in das Programm des Fastnachtsabends in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin ist uns ein schwerer Fehler unterlaufen.

Bei der Vorbereitung dieses Abends hat es uns an der notwendigen Sensibilität hierfür gemangelt. Dies bedauern wir sehr.

Wir haben zwischenzeitlich alle Videos, die das Singen dieser Lieder zeigen, aus unseren Seiten der sozialen Netzwerke entfernt. Weiterhin werde ich dem Präsidium der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee vorschlagen, eine Richtlinie zu beschließen, dass Lieder von Willi Hermann generell nicht mehr in unseren Programmen gesungen werden.“

Stellungnahme von Andreas Jung

An dem Abend war auch Bundestagsabgeordneter Andreas Jung (CDU) zu Gast. Hier seine Stellungnahme im Wortlaut: 

„Die Narrengesellschaft Hegau-Bodensee bezeichnet die Aufnahme zweier Lieder von Willi Hermann in das Programm des Fasnachtsabends der Landesvertretung Baden-Württemberg am vergangenen Donnerstag in Berlin als schweren Fehler und kündigt an, dass künftig generell keine Lieder von Willi Hermann mehr in ihrem Programm vorkommen.

Ich begrüße diese Erklärung ausdrücklich und halte die Entscheidung aufgrund der Vergangenheit von Willi Hermann als aktivem Nationalsozialisten und Antisemiten für richtig und konsequent.
An der Veranstaltung am Donnerstag Abend habe ich als Gast teilgenommen. Mir war im Vorfeld nicht bekannt, dass Lieder von Willi Hermann im Programm vorgesehen waren - und ich bedaure, dass es bei mir nicht gleich „Klick“ gemacht hat als es so weit war. Mir ist der Umstand erst am Freitag durch einen entsprechenden Hinweis bewußt geworden.

Vor der Veranstaltung in der Landesvertretungung abends waren am Donnerstag Nachmittag die Narren der Narrengesellschaft Hegau-Bodensee bei mir zu Gast zu einem Gespräch im Bundestag. In aller Klarheit und Deutlichkeit habe ich dort meine Position zu den aktuellen politischen Fragen verdeutlicht: Die CDU ist die Volkspartei der Mitte mit dem C. Unsere Grundlage sind christliche Werte. In der AfD dagegen ist Raum für Nationalismus und Antisemitismus. Das zeigen Beispiele wie Björn Höcke in Thüringen und Dr. Wolfgang Gedeon in unserer Region. Deshalb bekämpfen wir die AfD politisch und es kann für uns keinerlei Zusammenarbeit mit ihr geben.

Es ist daher inakzeptabel, dass die CDU-Landtagsabgeordneten in Thüringen einen Kandidaten der FDP gewählt haben, obwohl klar war, dass er nur mit den Stimmen der AfD gewählt werden konnte. Das war ein Tiefschlag und Tiefpunkt unserer Parteigeschichte. So etwas darf nie wieder vorkommen! In Baden-Württemberg haben wir in den 90er-Jahren zu den Republikanern eine klare Brandmauer gezogen und sie so letztlich auch mit Erfolg bekämpft. Dieselbe klare Kante muss jetzt gelten!"
 

Hermann-Lieder in Berlin in Berlin (1) Video: Bittlingmaier, Albert

Eine mehr als 100-köpfige Delegation der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee unter der Leitung von Präsident Rainer Hespeler hatte die Vor-Fasnachtswoche für einen Ausflug nach Berlin genutzt. Sie wollten närrisches Brauchtum in die Hauptstadt tragen – Bilder zeigen einen kleinen Umzug durch das Brandenburger Tor und einen Besuch im Bundestag.

Niederburg und Narrengericht haben sich längst distanziert

Bei einem fröhlichen Abend in der Landesvertretung Baden-Württemberg erklangen dabei auch die Lieder, von denen sich viele Narrengesellschaften wie die Konstanzer Niederburg oder das Hohe Grobgünstige Narrengericht aus Stockach vor rund zwei Jahren ausdrücklich distanziert haben.

Das könnte Sie auch interessieren

Grund sind Enthüllungen des SÜDKURIER, dass deren Komponist, Willi Hermann (1907-1977), schon früh hauptamtlicher Mitarbeiter der NSDAP war und die Nazi-Ideologie mit Propaganda-Reden in Südbaden aktiv beförderte. Recherchen des Konstanzer Stadtarchivars belegten auch eine Verwicklung Hermanns in Kriegsverbrechen der Wehrmacht.

Am Klavier: Eines der wenigen Fotos, die es von Willi Hermann gibt.
Am Klavier: Eines der wenigen Fotos, die es von Willi Hermann gibt. | Bild: privat

Von Zweifeln an Hermanns Liedern war in Berlin nichts zu sehen

Die vermeintliche Harmlosigkeit von Willi Hermanns Narrenliedern („Mädle, wenn von Konstanz bist / warum kannst Du nicht küssen? / Alle kleinen Mäschgerle / werden‘s lernen müssen“) war in der Folge vom Wissen um die Biografie ihres Komponisten überlagert.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch der SWR verzichtet seither darauf, die Schlager in das Programm der Fernseh-Fasnacht aufzunehmen. Mehrere Augenzeugen bestätigten dem SÜDKURIER, dass von dieser Linie bei einem fröhlichen Abend in der offiziellen Vertretung des Landes in der Hauptstadt nichts zu spüren war.

Nicht nur Narrenpräsident, sondern auch Konstanzer Stadtrat und CDU-Mitglied: Marcus Nabholz, hier beim Bürgerempfang Anfang 2020 im ...
Nicht nur Narrenpräsident, sondern auch Konstanzer Stadtrat und CDU-Mitglied: Marcus Nabholz, hier beim Bürgerempfang Anfang 2020 im Bodenseeforum. | Bild: Hanser, Oliver

Inmitten der schunkelnden und singenden Narren zeigen die von der Narrenvereinigung selbst in den sozialen Netzwerken Facebook und Instagram veröffentlichten Videos Marcus Nabholz. Nabholz, Präsident der Narrengesellschaft Kamelia Paradies und CDU-Stadtrat in Konstanz, singt dabei aus voller Kehle ein Willi-Hermann-Lied.

Nabholz wollte die Distanzierung von den Hermann-Liedern nie wirklich

Nabholz hat schon mehrfach zu verstehen gegeben, dass er mit dem Verzicht auf das Singen der Lieder stark fremdelt. Für eine Stellungnahme war er am Freitag zunächst nicht zu erreichen und konnte deshalb auch nicht erklären, wie sein Handeln zum Abgrenzungskurs seiner Partei gegen Rechts passt. Auch Rainer Hespeler war für eine Stellungnahme zu den Vorgängen in der Landesvertretung zunächst nicht zu erreichen.

Hermann-Lieder in Berlin (2) Video: Bittlingmaier, Albert

Niederburg-Präsident Mario Böhler ist „traurig und enttäuscht“

Mario Böhler, der Präsident der Konstanzer Narrengesellschaft Niederburg und entschiedener Vertreter eines geschichtsbewussten Umgangs mit dem fasnächtlichen Erbe, zeigte sich bestürzt. Bei seiner eigenen Narrengesellschaft hatte er für eine Distanzierung von Willi Hermann und seinen Liedern gesorgt. Böhler erklärte dem SÜDKURIER auf Anfrage: „Mich stimmt ein solcher Auftritt traurig und ich bin enttäuscht, denn wem ist denn mit der ‚Jetzt erst recht‘-Haltung geholfen? Mit dem Singen der Lieder ehrt man einen Mann, der schwerer Antisemit und grausamer Nationalsozialist war.“

Bestätigt auf dem Mitgliedsausweis der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, dass er „arischer Abstammung“ ist: ...
Bestätigt auf dem Mitgliedsausweis der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, dass er „arischer Abstammung“ ist: Forschungen belegen eindeutig, dass Willi Hermann weit mehr als ein Mitläufer im Regime war. | Bild: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde

Nichts aus Anschlägen und Thüringen-Debakel gelernt?

Böhler erinnerte auch an den Antisemitismus und an rechtes Gedankengut in der heutigen Gesellschaft: „Ich könnte es nach dem Anschlag von Halle, nach dem Paktieren mit der AfD in Thüringen und dem massiven Polizeischutz, den die Konstanzer Synagoge benötigte, weil deren Mitglieder Angst haben, mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dass diese Lieder auf offizieller Bühne gesungen werden.“

Werden sie noch einmal bei der SWR-Fernsehfasnacht gemeinsam auf der Bühne stehen? Noch kurz vor dem Eklat in Berlin traten Mario Böhler ...
Werden sie noch einmal bei der SWR-Fernsehfasnacht gemeinsam auf der Bühne stehen? Noch kurz vor dem Eklat in Berlin traten Mario Böhler von der Narrengesellschaft Niederburg (links) und Marcus Nabholz von der Kamelia Paradies noch gemeinsam im Konstanzer Konzil auf. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Der Vorfall in dieser Woche könnte offenbar weitreichende Folgen für die Konstanzer Fasnacht haben. Für Mario Böhler stellen sie offensichtlich einen Eklat dar: „Ich muss mich mit allen Beteiligten beratschlagen, wie die zukünftige Zusammenarbeit beim Narrenspiel, bei dem Marcus auch auf der Bühne steht, aussehen kann. Ich bedaure sehr, dass es so weit gekommen ist.“