Willi Hermann war nicht bloß eine Randfigur des Nationalsozialismus. Nach Abschluss der Recherchen von Jürgen Klöckler zum Leben des Konstanzer und Stockacher Fasnachters wird klar: Hermann war erstens "nichts anderes als ein überzeugter, bis in die Wolle gefärbter Nazi, ein klarer Antisemit und hat mit seiner Ideologie den Völkermord mit vorbereitet"; er war zweitens "an schwersten Kriegsverbrechen beteiligt und würde nach heutiger Rechtsprechung wegen der Beihilfe zum Mord angeklagt".
Jürgen Klöcker: "Diese Dimension habe ich mir nicht ausgemalt"

So fasst der Konstanzer Stadtarchivar und Historiker Jürgen Klöckler seine Arbeit zusammen. "Diese Dimension habe ich mir nicht ausgemalt", sagt er. Anlass der Recherche war eine Anfrage des SÜDKURIER im Sommer vergangenen Jahres.
Etliche Stunden, "von denen sich im Rückblick jede einzelne gelohnt hat", habe Klöckler seither in Archiven verbracht, gedruckte und digitalisierte Akten studiert und schließlich einen 32-seitigen Aufsatz über Willi Hermann verfasst.
Vorabdruck von Jürgen Klöcklers Aufsatz liegt dem SÜDKURIER vor
Veröffentlicht wird dieser im kommenden September in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, dem SÜDKURIER liegt er bereits vor. Und mit ihm das wichtigste Ergebnis über das Leben einer "Ikone der Fasnacht am Bodensee", wie der Titel des Beitrags lautet: Das Ausmaß von Willi Hermanns Rolle im Nationalsozialismus ist noch größer als bereits bekannt.
Schon nach der Veröffentlichung der ersten Rekonstruktion seines Wirkens zwischen 1933 und 1945 war klar: Ein für November 2018 geplanter Liederabend der Narrengesellschaft Niederburg zum 111. Geburtstag Hermanns, deren Vizepräsident er einst war, kann unter diesen Voraussetzungen nicht stattfinden.
Später verbannte die Niederburg die Willi-Hermann-Lieder aus ihrem Kanon, "Ja wenn der ganze Bodensee" oder "Mädle wenn vu Konstanz bisch,..." werden bei offiziellen Anlässen, darunter die Fernsehfasnacht des SWR im Konzil, nicht mehr gesungen.
Hermann hat "auf eigene Initiative" als NS-Ideologe gearbeitet
Mit der um zahlreiche Informationen aus Deutschland und Frankreich ergänzten Gesamtschau scheint klar: Beides war die richtige Entscheidung. Der Historiker Jürgen Klöckler blickt insbesondere auf zwei Phasen in Hermanns Leben. Die erste war seine Zeit in Karlsruhe, wo er nach Quellenlage "auf eigene Initiative" für die politische und weltanschauliche Erziehung badischer NS-Funktionäre im Gauschulungsamt zuständig war.
Einzig organisatorische Aufgaben, wie Willi Hermann in seinem Entnazifizierungsverfahren Glauben machen wollte, erledigte er dort nicht. Unter anderem verfasste er einen Arbeitsplan, wie die Bevölkerung zu ideologisieren sei. Auf mehreren Seiten beschreibt er Maßgaben, was unter anderem über die Themen Rassen- und Vererbungslehre oder das sogenannte Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (Zitat Hermann: "Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre") in die Bevölkerung getragen werden sollte.
Als Antwort auf die angeblichen Gefahren durch das Judentum sollte den Menschen im Deutschen Reich geantwortet werden: "1. Drohende Rassenvermischung. 2. Sinkender Rassenstolz. 3. Kultureller und politischer Niedergang."
Klöckler: "Die Schriften eines Antisemiten und überzeugten Nazis"
Für Jürgen Klöckler ist nach Studium dieser und weiterer Propaganda-Beiträge aus Hermanns Feder klar: "Das alles war Indoktrination pur." Auf Nachfrage ergänzt er: "Das sind die Schriften eines Antisemiten und zutiefst überzeugten Nationalsozialisten."
Inwieweit beteiligte sich Hermann an Kriegsverbrechen in Griechenland?
Darüber hinaus sei Willi Hermann "mitten drin im Kampfgeschehen bei den auf der griechischen Insel Kefalonia begangenen Kriegsverbrechen gewesen". Dort wurden im September 1943 nach neuesten Studien zwischen 2500 und 5000 italienische Soldaten, die sich bereits ergeben hatten, kriegsvölkerrechtswidrig erschossen. Hermann selbst befand sich seit August 1943 in Griechenland, als Angehöriger eines Strafbataillons, in das er drei Monate zuvor versetzt worden war.
Unklar bleibt nach Klöcklers Recherchen, was sich Hermann im besetzten Frankreich, wo er eigentlich stationiert war, zu Schulden hatte kommen lassen. Vom Mord bis zu einem weit weniger schweren Delikt, etwa einem Trunkenheitsvergehen, ist alles möglich.
Angebliche Unkenntnis erscheint dem Historiker Jürgen Klöckler wenig plausibel
Dass in seiner Anwesenheit rund 100 italienische Kriegsgefangene erschossen wurden, habe Hermann laut einer späteren Aussage nur durch Hörensagen erfahren. Bei einer Vernehmung durch die Kriminalpolizei 1966 erklärte er: "Ich weiß auch nichts von einem Befehl, dass sämtliche Italiener auf der Insel erschossen werden sollten."
Aussagen von Kameraden seines Strafbataillons stehen im krassen Widerspruch dazu. Einer von ihnen berichtete von einem klaren Auftrag zur Beteiligung an den Exekutionen.
Stadtarchivar Jürgen Klöckler hält Hermanns angebliche Unwissenheit "für wenig plausibel". Über 75 Jahre nach den Vorfällen in Griechenland könne zwar nicht mehr geklärt werden, ob die spätere Fasnachts-Größe selbst geschossen oder seiner Truppe als Unteroffizier Erschießungen befohlen hat. Klöckler kommt jedoch nach Akten- und Dokumentenlage zu dem Schluss: "Willi Hermann war zweifellos in eines der schwersten Kriegsverbrechen mit direkter Beteiligung von Wehrmachtseinheiten im Zweiten Weltkrieg verwickelt."
In Stockach musste Hermanns Vergangenheit bekannt sein
Dass er dies vor seinem Umfeld in Stockach nach Kriegsende verbergen konnte, sei wahrscheinlich. Unwahrscheinlich sei dagegen, dass in dem gerade einmal 4000 Einwohner zählenden Ort niemand von seiner früheren NS-Biografie wusste. Weder im großen Kreis, noch offenbar mit seiner Familie hatte er über die Zeit gesprochen. Seine Entnazifizierungsdokumente bewahrte er jedoch bis zu seinem Tod 1977 zu Hause auf.
Und auch im Kollegium des Stockacher Hohen Grobgünstigen Narrengerichts, dem er 16 Jahre lang angehörte, wusste man laut Narrengerichts-Archivar Thomas Warndorf von Hermanns Vorgeschichte. Sie wurde ignoriert. "Weil er so schmissige Lieder dichten konnte, hat man dort über alles Vorhergegangene hinweggesehen", bilanziert Jürgen Klöckler.
Auch in Konstanz, wo Hermann nach dem Krieg arbeitete, lebte und ab den 1950er-Jahren närrisch aktiv war, stand einzig der Büttenredner und Komponist von Schunkel-Liedern im Vordergrund – eben eine Ikone der Fasnacht am Bodensee.
Update vom 7. Februar: Der gesamte Aufsatz von Jürgen Klöckler ist online zu lesen. Sie finden ihn hier auf den Seiten des Verlags Jan Thorbecke.