Willi Hermann. Gut möglich, dass dieser Name Ihnen erst einmal nichts sagt. Genauso gut ist aber möglich, dass Sie das kennen, was er geschaffen hat. Dass Sie seine Lieder schon einmal gehört haben. In einem der zahlreichen Narrenkonzerte, die jedes Jahr im Januar und Februar über die Bühnen der Region gehen, oder im Finale der Fernsehfasnacht, die der Südwestrundfunk jedes Jahr aus dem Konstanzer Konzil überträgt.
Gut möglich sogar, dass Sie schon einmal mit Inbrunst mitgesungen haben. „Ja, wenn der ganze Bodensee / ein einzig Weinfass wär“. Oder „Mädle, wenn vu Konstanz bisch / warum kaa’sch Du it küsse“. Solche Fasnachts-Sachen, die mit ihren etwas aus der Zeit gefallenen Texten und den Melodien, die man einst als schmissig bezeichnete, auf anheimelnde Art Gemeinschaft schaffen. Hinterlassen hat sie: Willi Hermann.
So kam es zu den Nachforschungen
Sein 111. Geburtstag steht in diesem Jahr an, ein närrisches Jubiläum für den 1907 in Stockach geborenen Komponisten. Seine Lieder sind zu Schlagern der Fasnacht geworden. In Konstanz, in Stockach, in den grenznahen Schweizer Nachbarorten. Doch wer war der Mann, der nun schon der zweiten Generation von Fasnachtern dieses Erbe hinterlassen hat?

Die Große Narrengesellschaft Niederburg, einer der Aktivposten in der Konstanzer Fasnacht, wollte Willi Hermann würdigen. Mit einem großen Konzert zu Hermanns Geburtstag am 23. November, bei dem die Lieder neu erklingen sollten, mit stimmgewaltigen Solisten und arrangiert für das große Orchester der Südwestdeutschen Philharmonie. Diese Veranstaltung ist inzwischen abgesagt.
War Willi Hermann, der die Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Krieges als erwachsener Mann erlebt hat, einer von jenen Millionen Männern, die zur Wehrmacht eingezogen wurden und dort fremde Befehle ausführten? War er Mitläufer im NS-Apparat wie so viele andere? Oder fügt sich sein Leben ein in eine Reihe von Konstanzer Biografien, die in den vergangenen Jahren neu geschrieben werden mussten?
Es gab in Konstanz lange vor Bekanntwerden von Willi Hermanns Lebensgeschichte mehrere Fälle, in denen erst nach Jahrzehnten Licht ins Dunkel kam.
- Bruno Helmle (1911-1996), früherer Oberbürgermeister, war als Finanzbeamter tief ins NS-Regime verstrickt und bereicherte sich an jüdischem Eigentum; die Ehrenbürgerwürde hat die Stadt ihm in der Folge aberkannt.
- Hans Robert Jauss (1921-1997), Literaturwissenschaftler von internationalem Rang, Gründungsprofessor der Universität Konstanz, wollte mit einer angeblichen Namensverwechslung von seinen Taten als Mitglied der Waffen-SS ablenken, die Hochschule ging, durchaus zum Missfallen von manchen Wegbegleitern Jauss’, auf Distanz.
- Auch in Konstanz wird über Erzbischof Conrad Gröber (1872-1948), den einstigen Pfarrer in der Stadt, diskutiert. Noch ist eine Straße nach dem Geistlichen benannt, dessen Bild als angeblicher Kritiker des NS-Regimes immer hässlichere Risse bekommt.
- Den Namen Wilhelm-von-Scholz-Weg, erinnernd an den bis zuletzt linientreuen und am Altersruhesitz Konstanz verstorbenen Dichter (1874-1969), hat der Gemeinderat bereits aus dem Stadtplan getilgt.
Auch der Konstanzer Stadtarchivar Jürgen Klöckler ist über seine Forschungsergebnisse überrascht. Er war, ohne Vorgaben und ohne vorweggenommenes Ziel, in wissenschaftlicher Manier an die Fragestellung herangetreten. Die Anfrage hatte seine Neugier geweckt. Und das Bild, das entstand, ist nicht das eines Mitläufers im System. Es ist ein Bild, das den Blick nicht nur auf Willi Hermann verändert.
Die Lebensgeschichte des Mannes, der die beliebten Schlager schrieb, der die große Bühne liebte, der seine Zuhörer mitreißen konnte – sie wirft weitere Fragen zur Nachkriegsgeschichte der Fasnacht und zu den Biographien ihrer Akteure auf und hat die Wucht, die Fasnacht bis in ihre Grundfeste zu erschüttern.
In Konstanz, in Stockach und auch anderswo. Urteile sind dabei nicht zu fällen. Aber was aus Willi Hermanns Liedern wird, die auch wir SÜDKURIER-Mitarbeiter noch im Januar 2018 vollkommen unbeschwert mitsangen: Die Diskussion ist eröffnet.