Sollen Hundehalter in Baden-Württemberg verpflichtet werden, eine theoretische und praktische Prüfung abzulegen und eine Art Hundeführerschein zu machen? In Niedersachsen ist der sogenannte „Sachkundenachweis“ vom 1. Juli an für alle Hundehalter verpflichtend. In Baden-Württemberg ist das trotz der sich häufenden Beißattacken durch Hunde vorerst nicht geplant. Das teilten die beiden beteiligten Ministerien – das Innenministerium für Sicherheitsbelange, das Landwirtschaftsministerium für den Tierschutz – auf Anfrage mit. „Die Einführung eines sogenannten Hundeführerscheins für alle Hundehalter ist derzeit kein Ziel der Landesregierung“, heißt es aus den Ministerien.
Kampfhunde sind nur selten für Beißattacken verantwortlich
Nicht erst seit der tödlichen Beißattacke eines Kangals gegen eine Seniorin in Sigmaringen liegt das Thema wieder auf dem Tisch. Die Halter des Tieres, das sich losgerissen hatte, stehen derzeit vor Gericht. Hätte ein "Hundeführerschein" helfen können, den Vorfall zu verhindern? Forderungen nach einem Sachkundenachweis oder "Hundeführerschein" für alle Halter von Vierbeinern gibt es schon lange und immer wieder. Zwar gibt es in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2000 eine Polizeiverordnung, die das Halten von gefährlichen Hunderassen regelt und einen Wesenstest für bestimmte Hunde vorschreibt.
Allerdings sind diese Tiere nur für einen geringen Teil der Beißattacken verantwortlich. Sie waren 2017 an lediglich 38 der landesweit 1369 Vorfälle beteiligt, bei denen Menschen durch Hunde verletzt wurden. Die allermeisten Angriffe erfolgen durch vermeintlich harmlose Hunderassen wie etwa Mischlinge, Terrier oder Dackel, für deren Haltung – und Halter – es keine Vorschriften gibt. Hundetrainer und -besitzer oder auch hundelose Passanten aus der Region äußern sich kontrovers zu dem Thema.
Das Sagen Hundehalter aus unserer Region zum Thema Hundeführerschein
Stefan Pagels aus Leibertingen ist Besitzer einer Hundeschule. Seinen Kunden bietet er einen freiwilligen Hundeführerschein an, der einen theoretischen Teil sowie drei praktische Disziplinen umfasst: Hundeplatz, Freilauffläche und Stadt. „Ich würde mir wünschen, dass die Gemeinde das freiwillige Engagement dieser Hundehalter unterstützt beispielsweise durch eine Vergünstigung bei der Hundesteuer oder durch die Aufhebung der Leinenpflicht. Manche Kommunen machen das bereits", sagt er. Zum Hundeführerschein an sich hat er eine klare Meinung:

Hundetrainerin Sabine Haller aus Bermatingen hält zwar den weitgehenden Sachkundenachweis nach Paragraph 11 des Tierschutzgesetzes für private Hundehalter für zu hoch gegriffen. „Aber wenn man bei uns einen verpflichtenden Hundeführerschein für jeden Hundehalter einführen würde, würde ich das absolut befürworten. Oft kommen nämlich die Menschen mit ihren Hunden erst zu mir, wenn der Hund sozusagen in den Brunnen gefallen ist und wenn selbst viel zu lange am Fehlverhalten des Hundes rumgedoktert wurde.“
Joachim Nabholz aus Überlingen ist Halter eines Langhaarweimaraners. Er würde es begrüßen, wenn die Prävention sogar noch früher ansetzen würde:

In Niedersachsen brechen mit der Einführung des Sachkundenachweises für Hundefreunde am 1. Juli nun neue Zeiten an. Dort muss künftig jeder, der einen Hund halten will, eine Art Hundeführerschein vorlegen, der eine theoretische und praktische Prüfung vorsieht und bei einer zertifizierten Stelle abgelegt werden muss. Ob es sich bei dem Vierbeiner um einen Rottweiler oder einen Zwergpinscher handelt, spielt dabei keine Rolle. Ausgenommen werden können lediglich Hundehalter mit nachweislich langjähriger Erfahrung – und natürlich Hundetrainer, die eine entsprechende Prüfung abgelegt haben.
Dazu würde auch Tim Zinken gehören, Hundetrainer aus Mühlingen-Gallmannsweil bei Stockach. Für ihn steht fest: Es sollte einen Sachkundenachweis für jeden Hundehalter geben – auch in Baden-Württemberg:

Seiner Ansicht nach müssten Hundehalter Sprache und Persönlichkeit des Hundes besser kennenlernen – zum Wohle des Tieres. „Denn wenn man falsch an deren Persönlichkeit herangeht, leidet das Tier schnell unter Stress“, so Zinken weiter. Dieser Stress wiederum könne Erkrankungen auslösen wie Verstopfungen oder Magenprobleme. Ein verpflichtender einwöchiger Praxis- und Theoriekurs für Hundehalter sei deshalb sinnvoll.
Das sieht auch die oberste Tierschützerin des Landes so. „Das ist auf jeden Fall ein Konzept, das ich unterstütze, weil darin auch die Hund-Halter-Beziehung abgeprüft wird“, sagt Landestierschutzbeauftragte Julia Stubenbord. „Viele Dinge, die im Umgang mit dem Hund falsch gemacht werden, entstehen aus Unkenntnis oder falscher Haltung.“ Eine Prüfung könnte helfen, Gefahrensituationen zu vermeiden und Halter mit einem Grundstock an Sachkenntnis ausstatten. Stubenbord weist allerdings auch darauf hin, dass ein einmalig absolvierter Hundeführerschein keine Gewähr für einen lebenslang korrekten Umgang mit einem Vierbeiner bietet und zieht den Vergleich zum Straßenverkehr heran: „Man kann ja auch betrunken im Porsche fahren, obwohl man einen Führerschein hat.“
Diese Bedenken kann auch Hundehalterin Tanja Ziganke-Gnädinger aus Rielasingen nachvollziehen. Sie sagt:

Und auch Birgit Lang aus Villingen-Schwenningen äußert Verständnis für die Gegner einer Hundeführerschein-Pflicht, obwohl sie sich selbst eher zu den Befürwortern zählt:

Eine ganz klare Haltung zum Thema zeigt hingegen Thomas Steidl, Präsident der Landestierärztekammer. „Wir fordern den Sachkundenachweis schon seit Jahren, nicht nur für Hunde, sondern auch für die Halter von exotischen Tieren“, sagt Steidl. „Was die Hunde betrifft, muss die Politik endlich einmal den Mut haben, zu sagen, dass das Problem nicht der Hund ist, sondern am anderen Ende der Leine hängt.“ Steidl plädiert allerdings für Augenmaß: „Bei den Hunderassen sollte man schon differenzieren.“
Einhaltung einer Hundeführerschein-Pflicht nur schwer überprüfbar
Sollte ein Halter eine Prüfung verweigern, müssten die zuständigen Kommunen Sanktionsmöglichkeiten haben und sagen können: Dann bekommst du den Hund eben nicht. Das Problem dabei: In Baden-Württemberg gibt es keine zentrale Stelle, die einen Überblick über Hunde und Halter hat. Eine Kennzeichnungspflicht für Hunde etwa durch einen implantierten Chip gibt es nicht. Auch die Kommunen wissen nur von Hunden, die ordnungsgemäß gemeldet sind. Ein Hundeführerschein ließe sich nur mit hohem Verwaltungsaufwand durchsetzen und überprüfen.
Keine Leinenpflicht
In Baden-Württemberg gibt es keine generelle Leinen- oder auch Maulkorbpflicht für Hunde. Es ist Aufgabe der Städte und Kommunen, dies bei Bedarf zu regeln. Eine Leinenpflicht kann insgesamt oder auch nur für bestimmte Bereiche einer Stadt oder Kommune erlassen werden. Hundehalter müssen sich vor Ort über die Regelungen informieren. Entsprechende Informationen gibt es bei Landratsämtern und Rathäusern. Auch in den Wäldern gibt es keinen generellen Leinenzwang. Hunde dürfen dort – wenn nicht anders geregelt – frei laufen, müssen aber im Einwirkungsbereich des Halters bleiben und jederzeit abrufbar sein. (uba)