Der Tübinger Epidomologe Martin Eichner ist derzeit im Urlaub auf Fuerteventura. Auf der Nachbarinsel Teneriffa ist ein ganzes Hotel abgeriegelt worden. Eichner ist derzeit ein gefragter Mann: Neben seiner Tätigkeit als Professor am Institut für klinische Epidemiologie und angewandte Biometrie (IKEAB) in Tübingen ist Eichner Geschäftsführer eines Unternehmens für computergestützte Epidemiologie. Er eilt zu einem Fernsehinterview auf der kanarischen Insel, bevor er mit dem SÜDKURIER telefoniert.
Her Eichner, wie gefährlich ist das Virus wirklich?
Das weiß noch niemand. Dazu müsste man wissen, wer tatsächlich infiziert wurde. Die meisten Schätzungen, wie viele Menschen daran sterben, basieren aber auf den Fällen, die ins Krankenhaus kamen. Das sind eher die schweren Fälle. Wir wissen also nicht, wie viele leichte Fälle es gibt, die nicht offiziell registriert wurden. Man müsste erst einen soliden Datensatz haben, wie viele angesteckt wurden und wie viele gestorben sind.
Wie schwer ist die Krankheit für die Betroffenen?
Wir haben noch keinen Nenner dafür. Diejenigen, die im Krankenhaus sind, werden einen schweren Verlauf haben. Von der Weltgesundheitsorganisation wird angenommen, dass der Krankheitsverlauf dem einer saisonalen Grippe ähnelt.
Was passiert, wenn das Virus einen neuen Wirt, also einen Menschen, befallen hat?
Jemand, der sich ansteckt, wird zunächst ein paar Tage nichts merken und auch keine Viren ausscheiden. Dann scheint eine Art Frühstadium zu folgen, in dem die Menschen die Viren wahrscheinlich schon verbreiten können, auch wenn sie noch keine klaren Symptome haben. Aber auch da liegt noch viel im Unklaren. In der Spätphase der Krankheit tauchen meist die bekannten Symptome auf, aber auch nicht bei allen Patienten. Das macht es auch so schwierig.
Ältere, vorerkrankte Menschen sind besonders gefährdet. Wie sieht es bei jungen, gesunden Menschen aus? Müssen diese Menschen sich keine Sorgen machen?
Das wüsste ich auch gerne. Was wir derzeit feststellen, ist, dass es sehr wenig schwere Fälle oder Todesfälle bei jungen Menschen oder Kindern gibt. Es scheint so, dass sie nicht so anfällig sind wie ältere Menschen. Aber wir wissen nicht, ob sie sich mit dem Virus infizieren können, ohne dass die Krankheit ausbricht, das Virus aber trotzdem übertragen können.
Lässt sich Corona mit der saisonalen Grippe vergleichen oder ist das Virus gefährlicher?
Was den Krankheitsverlauf betrifft, so entspricht er wohl für den Einzelnen dem Verlauf einer saisonalen Grippe. Das kann einen schon schwer erwischen.
Welche anderen Maßnahmen zum Schutz empfehlen Sie?
Da sind wir momentan noch nicht besonders weit. Solange wir keinen Impfstoff haben und keine Medikamente da sind, die die Ausbreitung der Infektion verhindern, haben wir nur die Kontaktvermeidungsmaßnahmen. Das heißt, da gibt es nur die Möglichkeit, die Betroffenen zu isolieren. Bei Quarantäne muss man aufpassen, dass Kranke und Gesunde nicht zusammengesperrt werden. Die üblichen Vorsichtsmaßnahmen wie gründliches Händewaschen sind bekannt. Wenn sich die Krankheit ausbreitet, muss man sicher auch darüber nachdenken, Massenveranstaltungen abzusagen und Schulen zu schließen.
Noch gibt es keinen Impfstoff. Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis ein solcher Stoff entwickelt ist?
Bei der Influenza-Pandemie konnte man schnell reagieren, weil es ja schon Impfstoffe gab, die nur abgewandelt werden mussten. Aber selbst dann dauert es sechs Monate, bis der neue Impfstoff entwickelt ist. Danach dauert es mehrere Monate, bis der Impfstoff in größeren Mengen produziert ist. Wie lange, hängt auch vom Herstellungsverfahren ab, ob er in Zellkulturen angelegt wird oder beispielsweise in Eiern.
Stimmt es, dass eine normale Grippeimpfung hilft, sich besser gegen das Virus zu wehren oder den Krankheitsverlauf zumindest abzumildern?
Ich habe noch nie davon gehört, das erscheint mir dubios. Ich finde es gut, wenn man sich gegen die Grippe impft. Dann hat man als Patient schon ein Problem weniger. Aber ich halte es für ein Gerücht, dass die Grippeimpfung irgendetwas nützt, um sich gegen das Corona-Virus zu wappnen.
Wovon hängt die Ausbreitung des Virus ab? Wird es mit wärmerem Klima beispielsweise automatisch zurückgehen?
Darüber wissen wir noch nichts. Bei Grippeviren ist es in unseren Breitengraden so, dass sie hauptsächlich im Winter kursieren. Andererseits ist es nicht so, dass in warmen Gebieten keine Grippefälle auftauchen.
Ist eine Ausbreitung in die Region überhaupt noch zu verhindern? Wie schnell kann das gehen?
Die Leute, die bekannt sind, stellen sicher kein Problem dar. Die werden isoliert, gut überwacht. Familien- und Bekanntenkreis sind ebenfalls unter Bewachung, da geht nichts raus.
Was ist mit den Menschen, die sich nicht so umsichtig selbst gemeldet haben wie der junge Mann aus Göppingen?
Wenn jemand aus einem Risikogebiet zurückkehrt und unter dem Radar bleibt, Kontakt zu anderen hatte. Er könnte auch Grippesymptome haben, die dann entsprechend behandelt werden. Selbst Influenza-artige Erkrankungen sind ja sehr häufig, ohne dass es sich dabei um eine echte Grippe handelt. Im Durchschnitt bekommt unter 100 Menschen pro Woche ein Mensch an einer solchen Krankheit. Da kann man ohnehin nicht viel machen, wenn keine schlimmen Komplikationen auftreten, geht man ein paar Tage nicht zur Arbeit und ist wieder fit.
Worauf wollen Sie hinaus?
Wenn die Krankheit so behandelt wird, könnten in dieser Phase andere angesteckt werden. Diese Menschen zeigen dann auch wieder grippeartige Symptome. Die meisten Patienten stecken das weg, gerade die jüngeren. Andere kommen in die Klinik – immer noch ohne den Verdacht, ein neues Virus in sich zu tragen. Dort kann es sich weiter verbreiten. Das heißt, das Virus kann eine Weile unentdeckt bleiben.
Wie viele Menschen kann ein Virusträger potenziell anstecken?
Das ist eine spannende Frage. Wir arbeiten da mit der sogenannten Basisreproduktionszahl. Diese Zahl besagt, wie viele Menschen eine Person rein rechnerisch betrachtet anstecken kann, bis sie wieder gesund wird. Diese Zahl sagt gleichzeitig auch, wie viele Fälle nicht entdeckt wurden. So lässt sich abschätzen, wie schnell die Krankheit vorangeht. Aber im Fall des Corona-Virus gibt es noch ganz viel Unsicherheit. Die Schätzungen reichen von einer Ansteckung reichen von dem eher optimistischen Wert, dass einer im Mittel zwei andere ansteckt, bevor er wieder gesund wird, bis zu pessimistischen Werten von 4 oder 5.
Mit wie vielen Infizierten muss man in Baden-Württemberg rechnen?
Wenn man ein ganz schlimmes Szenario fährt, also davon ausgeht, dass gar nichts unternommen würde, was utopisch ist, dann wären es fürchterlich viele Fälle. Sobald Fälle bekannt werden, werden diese ja isoliert, und die Bevölkerung wird aufgefordert, ihre Kontakte einzuschränken. Das Ausmaß lässt sich nur schwierig abschätzen, weil so viele Faktoren eine Rolle spielen: Wie lange das Virus noch aktiv ist, welche Maßnahmen ergriffen werden und so weiter.