Lieber Herr Michel,
eine Sternekoch ohne Küche ist wie Picasso ohne Pinsel, wie Goethe ohne Feder, wie Mozart ohne Klavier. Nachdem die „Schwarzwaldstube“ der Traube Tonbach abgebrannt ist, habe sie als Küchenchef Herd und Ofen verloren. Und die quälende Frage bleibt: Die drei Sterne, die Michelin ihnen verliehen hat, sind sie mit den Tischen und Stühlen der Stube ebenfalls in Flammen aufgegangen?
Ich finde, man sollte sie Ihnen nicht abnehmen. Sie haben Ihren Laden ja nicht selbst bei einem missglückten Flambier-Manöver angesteckt, es war ein Unglück, niemandes Schuld. Ja, die Gourmet-Welt hat ihre eigenen Regeln, was man so hört – ich stelle mir Restaurantkritiker vor wie diesen bösen Mann in Disneys „Ratatouille“. Wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich tue ich den Experten da Unrecht. Aber man sollte die Sterne einfach einfrieren. Wenn sich Lionel Messi verletzt, darf er ja auch bei Barcelona bleiben und muss danach nicht wieder beim SV Baiersbronn in der Bezirksliga anfangen – um jetzt mal in Ihrem Murgtal zu bleiben, einem der schönsten Schwarzwald-Täler.
Die Hoteliersfamilie Finkbeiner hat da aber schon eine Idee. Aufs Garagen-Flachdach des Hotels wird es jetzt gehen, behelfsmäßig soll ein Übergangsbau errichtet werden. Rindertatar über Audi Q8, Hummerschaumsüppchen über Mercedes G-Klasse. Warum auch nicht. Wahre Meister können überall zaubern. Dass Sie einer sind, haben Sie längst bewiesen.
Wenn ein Restaurant abbrennt, verbrennen Erinnerungen. Auch deswegen berühren uns diese Fälle, wo doch eigentlich nur Schaden entstanden ist und kein einziger Mensch sein Obdach verloren hat. 230 Jahre lang wurde in der Schwarzwaldstube geredet, geschlemmt, gelacht.
Sie standen in einer langen Linie von Küchenchefs, die gutes Essen serviert haben. Und wer gutes Essen serviert, serviert schöne Momente. An Prominente, Dauergäste und an jene Menschen, für die ein Besuch in der Traube ein einmaliges, nie vergessenes Erlebnis ist. All diese Erinnerungen waren als unsichtbares Erbe in die Wände, Balken, Böden der Stube eingesickert. Sie gibt es nicht mehr.
Geschichte lässt sich nicht wieder aufbauen, auch der schönste Neubau ist emotional steril. Doch wer wenn nicht Sie als gebürtiger Dresdner, Herr Michel, wüsste, dass das nur ein kurzer Zustand ist. In die wiederaufgebaute Dresdner Altstadt strömen Millionen von Nah und Fern. Sie gedenken der Vergangenheit und werden gleichzeitig Teil einer neuen Geschichte.
Nun werden Sie es sein, der die ersten Menüs in der Übergangs-Schwarzwaldstube und dem Nachfolgebau serviert. Sie prägen mit Ihrer Mannschaft die ersten Erinnerungen. Ein einmaliges Privileg, aller Tragödie zum Trotz. Mögen es schöne Momente sein und mögen es nur die ersten einer neuen, langen Geschichte sein.
Mit freundlichen Grüßen,
Dominik Dose