Fürs Klima auf die Straße gehen – damit fing alles an. Mittlerweile werden Bilder mit Farbe beworfen oder Demonstranten kleben sich auf Hauptverkehrsstraßen. Der Eindruck entsteht, dass Jugendliche und junge Erwachsene politisch immer linker werden, der Aktivismus immer größer wird. Aber wie ticken junge Erwachsene, die sich der Jungen Union anschließen, der Jugendorganisation der CDU?

Ein Raum, sechs Personen: Eine Meinung? Schließlich sind Levin Eisenmann (25), Maxima Estrada (20), Melody Hebenstreit (19), Thomas Racke (20), Nikolas Flöß (21) und Tizian Mattes (21) Mitglieder der Jungen Union im Landkreis Konstanz. Und die müssen – so eine verbreitete Vorstellung – ja schon aus Tradition gegen ein Tempolimit auf Autobahnen und den Kohleausstieg sein! Was nun folgt, scheint also schon vor dem Gespräch im Konferenzraum des SÜDKURIER klar: Erklärungen, warum 200 Stundenkilometer auf Autobahnen super sind, Lützerath nur ein Dorf und Fridays-for-Future-Demonstranten bloß Schulschwänzer. Oder tickt die Jungen Union heute ganz anders?

Klimakrise auf politische Agenda

Schon der erste Satz lässt aufhorchen. „Was man Fridays for Future zugutehalten und auch wirklich hoch anrechnen muss: Sie haben es geschafft, die Klimakrise auf die politische Agenda zu setzen. Und da ist sie ja bis heute“, sagt Eisenmann, Vorsitzender der Jungen Union im Landkreis Konstanz. Die Anerkennung kam unerwartet. „Aber wir sollten uns fragen, wo die Grenzen sind, was Protest darf.“

Die Kritik lässt also nicht lange auf sich warten. Und Flöß, Stadtverbandsvorsitzender in Kon-
stanz, legt nach: „Sie bezeichnen sich selbst als ziviler Ungehorsam und begehen Straftaten.“ Seiner Meinung nach sei das nicht zielführend, sondern verringere die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Forderungen. Die Bürgerinnen und Bürger seien stattdessen von den Aktionen mittlerweile genervt: „Vor allem in den Großstädten, wenn die Menschen nicht zur Arbeit kommen. Und das einfach nur, weil sich Menschen auf die Straße kleben und meinen, damit etwas erreichen zu können!“

„Es sind mit Sicherheit kluge Leute dabei“, räumt Melody Hebenstreit ein. „Wenn die sich zusammensetzen und statt der nächsten Protestaktion lieber einen zielführenden Beitrag zum Klimaschutz überlegen würden, wäre das wünschenswert.“ Allerdings generierten die Protestaktionen auch wichtige Aufmerksamkeit. Das sieht Racke, Vorsitzender der Jungen Union Radolfzell, anders: „Die Aufmerksamkeit ist nicht mehr das Entscheidende.“ Es müssten konkrete Ideen her. „Wir müssen pragmatisch sein.“

„Kohle hat keine Zukunft“

Pragmatisch sein – also die Atomkraftwerke weiter laufen lassen? Einfach weiter Kohle abbaggern? Wer in der Union vor allem eine politische Kraft sieht, die ökonomische Interessen im Zweifel höher gewichtet als den Klimaschutz, dürfte solche Vorschläge erwarten.

Doch so eindeutig ist das Meinungsbild unter den konservativen Jugendlichen keineswegs. „Wir müssen uns auf neue Situationen einstellen“, so Racke sehr nüchtern. „Wir sind uns alle einig, dass die Kohle keine Zukunft hat“, sagt Eisenmann überzeugt. „Der Ausstieg ist aber falsch herum passiert. Eigentlich hätte man mit dem Wissen von heute die Kohlekraft vor drei oder vier Jahren stilllegen können. Und stattdessen als Übergangslösung die Atomkraft weiterlaufen lassen.“

Nun muss eben die Kohle als Notnagel dienen, findet Eisenmann. Doch so richtig überzeugt scheint er nicht zu sein: „Man weiß ja noch nicht, ob wir die Kohle brauchen, die wir noch abbaggern werden. Aber wenn wir eines in den vergangenen zwölf Monaten gelernt haben, dann doch, dass man auch noch die Sicherheit braucht, Reserven zu haben.“

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Diese Meinung teilen aber nicht alle: „Wenn es nach mir ginge, würde ich am liebsten sofort aus der Kohleverstromung aussteigen“, sagt Flöß. „Aber wir haben eine Versorgungskrise, und wir müssen für Versorgungssicherheit sorgen“, wirft Estrada ein. Die schwierigen Zeiten gehen also auch an der Jungen Union nicht spurlos und in Einigkeit vorbei.

Aktivisten brauchen mehr Realismus

Einig sind sich die jungen Konservativen allerdings in einem Punkt: Unter den Aktivisten brauche es mehr Realismus. Schließlich sollten im rheinischen Braunkohlerevier ursprünglich laut Beschluss mal sieben Ortschaften abgebaggert werden. Dass es am Ende nur Lützerath getroffen hat, sei zwar schade, aber eine Kompromisslösung. Und eigentlich eine gute Sache. „Wenn dann immer noch keine Zufriedenheit da ist und die Aktivisten so kompromisslos sind, fehlt ihnen die Bereitschaft für andere Auffassungen“, ärgert sich Hebenstreit.

„Gewisse Sachen werden einfach unbequem. Wir werden die Energiewende nicht ohne Opfer schaffen“, bringt sich Flöß ein. Er setzt auf neue Technologien. Wie die in zehn Jahren aussehen? Ungewiss. „Deswegen ist es ganz entscheidend, dass man da schaut und dass man da forscht. Was können wir nutzen? Wie sieht es mit Wasserstoff aus? Atomkraft der vierten Generation?

Keine Ahnung, ob es eine Lösung sein kann. Eventuell.“ Racke fordert stattdessen „einfache, pragmatische und schnelle Lösungen, wo man gar nicht erst mit Problemen wie Abstandslösungen oder irgendwelchen Vögeln“ komme. „Wo bleibt das von der Regierung angekündigte Pilotprojekt zum Überbau von Autobahnen und Bundesstraßen mit Photovoltaik in Engen?“, fragt Mattes. „Es gilt einfach Tempo, Tempo, Tempo!“

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Sehr unterschiedlich werden die Meinungen dann bei der Frage nach Tempo oder Tempolimit. Zumindest innerhalb der Partei. Das gibt auch Flöß lachend zu. „Grundsätzlich glaube ich, dass das Thema Tempolimit sowieso alle Gemüter erhitzt und größer gemacht wird, als es in Wirklichkeit ist.“ Wenn es nach Racke geht, müsse man sich die Fakten ansehen: „Es ist eine Abwägung: Wie weit schränken wir die Menschen ein und was bringt das dann?“ Erst wenn in Zukunft wirklich klar sei, wie groß die CO2-Einsparung sei, solle man darüber nach seiner Ansicht noch mal diskutieren, fordert der Stadtverbandsvorsitzende.

Freie Fahrt nur für E-Autos?

„Gilt das Tempolimit dann für alle? Oder – wenn es wirklich darum geht, das Klima zu retten – dann müsste man doch ehrlich sein und sagen, dass E-Auto-Fahrer, die ihr Auto über die Photovoltaikanlage auf ihrem Dach tanken, davon ausgenommen sind“, differenziert Eisenmann. „Wer es sich leisten kann, der darf schnell fahren?“, fragt Hebenstreit. „Das ist doch auch nicht Sinn der Sache.“ Wenn Klimaschutz unbequem sein müsse, dann müsse man sich auch in mancher Hinsicht einschränken.

Doch ein flächendeckendes Tempolimit meint sie damit nicht. Vielmehr soll auf verkehrsreichen Autobahnabschnitten mit vielen Lkw eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt werden. So lange, bis die überwiegende Zahl der Autos mit einem Elektro- oder Wasserstoffantrieb fährt. Und dann, so Flöß, könne sowieso niemand mehr 200 Kilometer pro Stunde fahren, weil die Batterien und Akkus nicht so leistungsfähig seien. Klingt dann doch wie ein Tempolimit – nur unter einem anderen Namen.

Ein weiteres Thema, das die Gemüter erhitzt: Wintersport. Klimakiller oder erhalten um jeden Preis? Die Junge Union ist sich uneinig. „Wenn wir das erhalten wollen, muss man sich fragen, wie eine Option für die Zukunft aussieht“, erläutert Estrada. „Im Prinzip kann der ganze Schwarzwald inklusive Feldberg dichtmachen“, hält Racke dagegen. Oder sich nach Alternativen umsehen, sagt Mattes: Skisprungschanzen mit Rasen statt Schnee. Der Vorschlag lässt die andere laut lachen. „Das mag derzeit noch nicht ausgereift sein, aber man weiß ja auch nicht, wie sich das entwickelt.“

Der Klimawandel wird unbequem werden, sind sich die Mitglieder der Jungen Union des Landkreises Konstanz einig. Ein Tempolimit halten ...
Der Klimawandel wird unbequem werden, sind sich die Mitglieder der Jungen Union des Landkreises Konstanz einig. Ein Tempolimit halten sie nicht für Zielführend. | Bild: Jennifer Seidel

„Letztendlich ist es eine Frage der Wirtschaftlichkeit“, argumentiert Racke. Kein Liftbetreiber werde für zehn Tage Skisport in der Saison die Lifte öffnen. „Wir können nicht sagen, wie es in zehn Jahren aussieht. Aus heutiger Sicht ist Kunstschnee in der Energiebilanz eine absolute Katastrophe“, wirft Eisenmann ein und erinnert damit eher an einen Fridays-for-Future-Demonstranten als an jemanden von der Jungen Union.

Bisher klingen die Antworten an vielen Stellen doch wie die der Klimaaktivisten. Ist der Unterschied also gar nicht so groß wie angenommen? Doch dann gibt es sie doch noch, die ganz typischen Antworten für die Jugendorganisation der CDU. Denn Racke prognostiziert für den Skisport: „Es wird darauf hinauslaufen, dass es eine Frage des Preises und dann noch mehr als ohnehin schon ein Sport für Wohlhabende wird.“

„Da unterscheidet sich der Aktivismus von politischen Jugendorganisationen“, zieht Estrada ein Fazit. Auch wenn die Ziele ähnlich seien: Die Klimaaktivisten haben sich für einen anderen Weg entschieden. „Während wir versuchen, aktiv Politik mitzugestalten, sind sie eher dem Protest zugeneigt.“

„Kommt aus der Aktivistenblase raus!“

Nun werden die Unterschiede deutlich spürbar und der Ton schärfer. „Neulich in der ARD-Talkshow ‚Hart aber fair‘: Da forderte die Sprecherin der ‚Letzten Generation‘ im Prinzip, dass wir unsere freiheitliche Grundordnung und parlamentarische Demokratie auflösen“, sagt Racke. „Das hat mich massiv gestört.“ Auch wenn es wahrscheinlich nicht die Mehrheit der Fridays-for-Future-Demonstranten und Aktivisten sei, so Flöß, gehe es einer kleinen Minderheit um einen Systemwechsel. „Da wird teilweise gesagt, wir müssen wieder hin zum Sozialismus. Das finde ich gefährlich.“

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„Es gibt Einzelpersonen, die sehen den Staat als Feindbild“, stimmt Mattes zu. Selbst wenn der Staat die Forderungen der Aktivisten eins zu eins umsetzen sollte: „Sie wären immer noch nicht damit einverstanden und immer noch unzufrieden.“

Auch Tipps für die Klimakleber hat die Junge Union parat: Denn statt weiterem Aktivismus raten die Mitglieder den Aktivisten, die Radikalisierung zu stoppen und statt Protestaktionen lieber die nächsten Klimaschutzoptionen zu überlegen. „Kommt aus der Aktivistenblase raus“, rät Racke. „Geht in eine Jugendorganisation, engagiert euch, setzt euch kommunal ein. Vielleicht geht noch mehr als reiner Aktivismus.“