Weltungergangsfantasien? Ach was, sagt Eileen Blum von der Letzten Generation in Konstanz. „Gefühlt verstehen viele den Namen mutwillig falsch.“ Sie war auch schon beim Klima-Camp der Fridays for Future im Pfalzgarten dabei.

Das habe nach einer gewissen Zeit nicht mehr die gewünschte Wirkung erzielt: Im Herbst ist es deshalb abgebrochen worden, nun suche man effektivere Formen des Protests. Das Bündnis Letzte Generation setzt dabei auf das, was „ziviler Ungehorsam“ heißt. Sprich: Man stört, zieht Zorn auf sich, durch Straßenblockaden etwa. Tabu ist Gewalt gegen Menschen.

Manche vergleichen den Zusammenschluss mit einer Endzeitsekte, wohl vor allem wegen des Namens. Erinnert der nicht an die freikirchlichen Siebenten-Tages-Adventisten und deren Last-Generation-Theologie?

„Man kann sich fragen“, sagt der Religionssoziologe Alexander-Kenneth Nagel, „ob die Letzte Generation bewusst auf das Bibelwort anspielt: von der Generation, die nicht vergehen werde, bis dies alles eintrifft.“ Bis also die Prophezeiung Jesu vom Weltuntergang sich erfüllt. In seinem Buch „Corona und andere Weltuntergänge“ untersucht der Göttinger Professor apokalyptische Tendenzen gesellschaftlicher Bewegungen. Keineswegs in polemischer Absicht: Er will zeigen, wie religiöse Denkmuster moderne Weltbilder beglaubigen.

Genau das gelingt bei einer anderen Klimabewegung, Extinction Rebellion, besonders schlüssig. Deren Mitgründer, der britische Umweltaktivist Roger Hallam, ergeht sich gerne in plastischen Vorhersagen. Sie wirken, als sollten sie eine geradezu sadistische Angstlust hervorrufen: „Die Tötung von 50 Millionen Afrikanern“ sei von den Regierungen bereits eingeleitet, schreibt er.

An anderer Stelle heißt es über die Zukunft in den 2030er-Jahren: „Wir erwarten 20 Millionen Vergewaltigungen.“ Und: Stoppen lasse sich das nur, wenn „wir anfangen, in Wahrheit zu leben und zu handeln“.

Roger Hallam ist Mitbegründer der Umweltbewegung Extinction Rebellion.
Roger Hallam ist Mitbegründer der Umweltbewegung Extinction Rebellion. | Bild: Andres Pantoja

Gemeint ist natürlich Roger Hallams Definition von Wahrheit. „Es ist Kennzeichen apokalyptischer Weltdeutung, dass man sich im exklusiven Besitz der Wahrheit wähnt“, sagt Nagel. Und ein Wahrheitsmonopol, klar, das passt nicht gut zur Toleranzmaschine Demokratie.

Trotzdem wirbt Nagel dafür, im apokalyptischen Reden der Aktivisten erst einmal einen Ausdruck der Dringlichkeit zu sehen. Mit Blick auf die Letzte Generation sagt er: „Diejenigen, die das tragen, sind schon rein demografisch die Zukunft dieses Landes. Wir können das nicht einfach so abkanzeln.“

Auf der Internetseite der Letzten Generation erinnert nur wenig ans raunende Prophetentum von Roger Hallam. Ihre Forderungen wirken fast langweilig: Ein Tempolimit von hundert Stundenkilometern wäre kein Weltuntergang und würde laut Umweltbundesamt jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO2 sparen. Noch weniger Konfliktpotenzial birgt der Wunsch, dauerhaft ein Neun-Euro-Ticket einzuführen.

Die Treibhausgas-Reduktion wäre wohl noch größer. „Was wir wollen“, sagt Blum „ist ja ein gutes Leben für alle“. Deswegen mag sie diese unasketische Maßnahme so gern. Vielen würde ein solches Ticket Spaß und Erleichterung verschaffen. Nur die Aussicht auf Umsetzung ist gleich null, jedenfalls zu einem Preis von neun Euro, der breite soziale Teilhabe ermöglicht. Die ist im vergangenen Sommer beim ersten Anlauf Schlüssel des Erfolgs gewesen.

Gewolltes Missverstehen

Der Frust übers Scheitern selbst der kleinsten Schritte führt dazu, dass man sich allzu viel von Bürgerräten erhofft. Ein solches Gremium wird von führenden Politikwissenschaftlern empfohlen. In Frankreich sind die Erfahrungen gut.

Die Bertelsmann-Stiftung findet Bürgerräte fein, EU-Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) auch. Wehe aber, eine Repräsentantin der Letzten Generation fordert in einer Talkshow ein ähnliches Modell! Dann schreit man sie nieder, als hätte sie gerade die Axt an die Wurzeln der fernsehdemokratischen Grundordnung gelegt. Es wirkt wie ein gewolltes Missverstehen, das Blum ja auch hinter parareligiösen Deutungen der Bezeichnung Letzte Generation vermutet.

Eileen Blum ist bei der Letzten Generation in Konstanz aktiv.
Eileen Blum ist bei der Letzten Generation in Konstanz aktiv. | Bild: Eva Marie Stegmann

„Unser Name bedeutet, dass wir die letzte Generation sind, die noch etwas gegen den Klimawandel tun kann“, erklärt sie. Und man beziehe sich damit nicht auf Jesus, sondern auf Barack Obama. Der hatte den Spruch von der letzten Generation 2015 berühmt gemacht in einer Rede bei der Weltklimakonferenz in Paris. Geborgt hatte er ihn von Jay Inslee, Gouverneur von Washington, der ihn von..., aber egal: Das Diktum ist fest im Repertoire jener pragmatischen US-Politik verankert, die das Klima-Thema ernst nimmt: besorgt, ja. Aber nicht panisch.

„Bei den Verlorenen wäre mir wohler als bei den Letzten“, heißt es in Charles Bukowskis Gedicht „The Last Generation“. Das trifft einen Nerv der 1980er, in denen das Wissen vom baldigen Ende sehr verbreitet war. Guru Jim Jones hatte seine Jünger gerade in den kollektiven Suizid geführt. Ronald Reagan beschwor ständig den Tag der Verdammnis. „The Day After“ war im Kino ein Bombenerfolg, und Petra Kelly predigte auf der Bonner Hofgartenwiese den Hunderttausenden, die Totenscheine des Dritten Weltkriegs seien schon gedruckt.

Am Ende des Jahrzehnts versprach dann die erste Weltklimakonferenz, dass die Veränderung der Erdatmosphäre „in ihren schlimmsten Konsequenzen nur von einem globalen Atomkrieg übertroffen“ werden könne. Sie mahnte sofortiges Handeln an, um schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Verwerfungen zu verhindern. Die würden sonst „internationale Spannungen verschärfen und die Gefahr inner- und zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen erhöhen“.

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Tja, und da sind wir nun. Den Eindruck erhält, wer sich das Video der Antrittsvorlesung der Politologin Gabriele Spilker im Mai 2022 im Konstanzer Audimax anschaut. Titel des Vortrags: „Auswirkungen des Klimawandels auf Ungleichheit, Protest und Konflikt“. Ultrakurzfassung: Weltweit sind 30 Millionen Menschen auf der Flucht vor Umweltdesastern, Tendenz steigend.

Das schafft Konflikte, die politische Systeme destabilisieren, was zu mehr Repression führt, die... Ja doch, die Professorin warnt im Gespräch mit dem SÜDKURIER davor, zu stark über Bedrohungslagen zu kommunizieren, „weil die Leute dann gar nichts mehr tun“. Aber dass es um Leiden und Schmerzen heute geht, das lässt sich nicht verschweigen. „Der Klimawandel“, sagt Spilker, „ist das hässlichste Problem, das man sich vorstellen kann.“

Gabriele Spilker ist Professorin für „Internationale Politik – Globale Ungleichheit“ an der Universität Konstanz.
Gabriele Spilker ist Professorin für „Internationale Politik – Globale Ungleichheit“ an der Universität Konstanz. | Bild: Ines Janas / Uni Konstanz

Verursacht von den Industrieländern zeitigt der Klimawandel seine drastischsten Konsequenzen im globalen Süden. Dort treffen sie schon heute Millionen Menschen. Er ist ein weltweites Problem, bloß gibt es keine Weltregierung, die es lösen könnte. Und „egal, was wir tun“, resümiert Spilker „ob wir essen oder heizen, alles verursacht CO2. Wir werden unseren Lebensstil ändern müssen“, sagt sie, also weniger Fleisch essen, weniger fliegen, weniger Ski fahren. Verzichten.

Aber will das wer? „Eine Doktorandin hat dazu gerade eine Erhebung gemacht“, berichtet Spilker. „Das Einzige, wozu die Mehrheit der Leute bereit gewesen wären, war, eine Minute kürzer zu duschen.“ Ist das besser als nichts – oder ist es nichts?

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Die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu beschränken, halten naturwissenschaftliche Klimaforscher wie Hans Joachim Schellnhuber oder Mojib Latif für unmöglich. Bei der Letzten Generation ist dieses Ziel auch kein Thema mehr, sagt Aktivistin Eileen Blum. „Das haben wir verkackt.“ Man müsse lernen, mit den Folgen zu leben: „Keiner glaubt, dass wir eine einfache Zeit und – hey! – die Superzukunft vor uns haben“, sagt sie. Aber Hoffnung, doch, die gebe es noch bei der Letzten Generation. „Natürlich“, sagt Blum. „Sonst würden wir dafür nicht auf die Straße gehen.“