Mit etwas Fantasie ließe sich Claude Monets „Heuschober“, verfremdet durch einen gelblich verlaufenden Farbauftrag, dem abstrakten Expressionisten Cy Twombly zuordnen. Vincent van Goghs „Sonnenblumen“ dagegen erinnern einen Autor der Wochenzeitung „Die Zeit“ an die Aktionskunst der Hermann Nitsch: Der Österreicher war bekannt dafür, über Leinwänden Schweineblut auszugießen. Die Heroen des Impressionismus wirken in diesen Tagen bemerkenswert verjüngt – jedenfalls in kunsthistorischer Hinsicht.
Schuld daran sind aber weder Ölfarbe noch Schweineblut, sondern Tomatensuppe und Kartoffelbrei. Mit solchen kulinarischen Wurfgeschossen ausgerüstet, ziehen Klimaaktivisten durch Europas Ausstellungshäuser. Ihre Zielscheibe: die ganz großen Werke der Kunstgeschichte. Wenn selbst die düsterste Prognose des UN-Klimarats niemanden aus der Lethargie reißt, so lautet ihre Logik, braucht es wohl den Angriff auf unsere kulturelle Identität.
Wirklich zu Schaden gekommen ist die Kunst bislang nicht, denn Exponate dieser Kategorie sind längst nur noch hinter Acrylglas zu besichtigen. Und doch ist der Aufschrei groß: „Verirrte Geister“ seien diese Aktivisten, heißt es in den Feuilletons. Für den Klimawandel könne ein van Gogh „nun wirklich nichts“. Und natürlich darf auch das berühmte Heine-Zitat nicht fehlen: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen!“

Es hat mit dem Reflexionsvermögen der deutschen Kulturszene eine seltsame Bewandtnis. Kratzen Theaterregisseure am Selbstverständnis von Bankmanagern oder Spitzenpolitikern, fordert man Kritikbereitschaft und Diskursoffenheit ein. Geraten dagegen die eigenen hehren Ideale in Gefahr, zeigen Feuilletonisten selbst Beißreflexe. Wie also steht es wirklich um den Vandalismus im Namen des Klimaschutzes?
Juristisch ist die Sache klar. Die Hoffnung vieler Aktivisten, ein Gericht möge ihr Vorgehen wegen Klimanotstands als legitimen Ausdruck des zivilen Ungehorsams erachten, hat sich bislang nicht erfüllt. Doch was juristisch eindeutig ist, hat sich ethisch längst nicht erledigt.
110 Millionen Euro für Monet
Es gibt gute Argumente gegen diese Form des Protests. Eine Glasscheibe ist nur eine Schutzvorkehrung von vielen: Dass sie wirklich zuverlässig gegen Flüssigkeiten schützt, ist keineswegs garantiert. Auch ist die Frage berechtigt, ob selbst ein nur symbolischer Akt der Beschädigung nicht trotzdem dazu beiträgt, Hemmschwellen abzubauen. Mag die Tomatensuppe heute noch über ein verglastes Werk schwappen, hält es morgen schon jemand für eine gute Idee, ein unverglastes Exponat zu wählen. Nicht zuletzt haben sich Bilderstürmer in der Geschichte schon oft als Vorboten totalitärer Zeiten erwiesen.

Doch wer die Aktivisten als „Klima-Deppen“ (Bild-Zeitung) abtut, steht auf brüchigem Boden. Und mancher mit Schaum vorm Mund verfasste Kommentar offenbart unfreiwillig die Risse im eigenen Fundament. „Über 110 Millionen Euro hatte Hasso Plattner 2019 für ein Werk aus der Serie ‚Heuschober‘ bezahlt“, ächzt etwa der NDR angesichts des Angriffs im Potsdamer Museum Barberini. Dabei habe Monet doch selbst die Natur geliebt, aus ihr sogar seine ganze Inspiration bezogen!
110 Millionen Euro sind kein Pappenstiel, und wer so viel für Kunst ausgeben kann, muss sie erst verdient haben. Der Kunstmäzen Hasso Plattner verdankt seinen Reichtum harter Arbeit, viel Geschick und dem nötigen Unternehmerglück. Zur Wahrheit gehört aber auch: Er verdankt ihn darüber hinaus einem Wirtschaftssystem, das uns in die Klimakatastrophe führte. Der von ihm Anfang der 70er-Jahre mitgegründete Softwarekonzern SAP profitierte von Digitalisierungs- und Globalisierungsprozessen, die den CO2-Ausstoß in unermessliche Höhen schnellen ließen.
Worin besteht die Barbarei im Barberini also: Ist es wirklich allein das Bewerfen eines gut geschützten Exponats? Oder könnte es auch schon der Ankauf desselben sein?
Man muss den Konzern SAP loben für seine Selbstverpflichtung, bis 2025 klimaneutral zu wirtschaften. Und doch verweist die Notwendigkeit dieser Verpflichtung auf die Mitverantwortung für den längst entstandenen Schaden.
Kunst in Depots von Erdölmilliardären
Man muss auch Herrn Plattner persönlich loben: für seine Bereitschaft, die erworbene Kunst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und doch verweist dieser Umstand auf einen pervertierten Kunstmarkt, der andere Meisterwerke in den Privatgemächern arabischer Ölscheichs versauern lässt. Das Leonardo da Vinci zugeschriebene Bild „Salvator mundi“ etwa ist seit seiner Versteigerung zu einem Rekordpreis (450,3 Millionen Dollar) an den Kronprinzen von Saudi-Arabien wie vom Erdboden verschluckt.
Ja, Künstler wie Claude Monet liebten die Natur. Doch zu den Obszönitäten eines entfesselten Kapitalismus gehört die Tatsache, dass ihre der Natur zugewandte Ästhetik in Depots von Geschäftsleuten landet, die Milliarden ausgerechnet mit Erdölexporten verdienen. Also mit Zerstörung ebendieser Natur.
Solche Zusammenhänge zu diskutieren, birgt die Gefahr eines allzu leichtfertigen Umgangs mit Begriffen wie Schuld und Verantwortung. Doch das gilt nicht allein für Sammler und Mäzene, sondern auch für Menschen, die Barbarei anders, aber ebenso gut begründet definieren. Wo die einen mit Heinrich Heine mahnen, fragen die anderen mit Bertolt Brecht: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Wenn Aktivisten die Frage aufwerfen, wie es sein könne, dass es so viel mehr Angst vor dem Schaden eines Kunstwerks gibt als vor der Zerstörung unserer Welt, so steckt darin mehr Substanz, als mancher Kunstfreund in seiner Erregung ahnt. Tatsächlich gäbe es gute Gründe, ein in unserer Gesellschaft über Generationen etabliertes Kunstverständnis zu hinterfragen, das Qualität an „Klassikertauglichkeit“, also ewiger Gültigkeit, bemisst.
In der Sehnsucht nach Fortbestand über den Tod hinaus zeigt sich eine Kultur, die Natur als eine zu bezwingende, zu beherrschende Instanz versteht. Der St. Galler Bildhauer Roman Signer ist deshalb dazu übergegangen, vergängliche Werke zu erschaffen.
Man muss ihm darin nicht folgen und schon gar nicht sollte man aus dem Gedanken die Legitimität beziehen, bereits bestehende Kunst tatsächlich zu zerstören. Auch bleibt selbst der nur symbolische Angriff gleichwohl ein fragwürdiges Mittel. Ein Publikum aber, das sich als kulturnah versteht, darf über solche Fragestellungen wenigstens mal nachdenken statt reflexhaft zu bellen.
Stattdessen sind sich viele Beobachter verdächtig einig: Erreichen werden die Aktivisten auf diese Weise natürlich nichts! Es scheint fast, als hofften sie darauf.