Auch Kunst schadet dem Klima. Lange wollte man das nicht wahrhaben. Musik, Literatur, Malerei: Das ist doch das Wahre, das Schöne und Gute! Und tatsächlich mag es aktionistisch wirken, wenn etwa Buchverlage inzwischen stolz darauf verweisen, ihre Bücher ohne Plastikumschlag zu verkaufen. Macht‘s das am Ende wirklich aus?
Doch wer einmal mit dem Nachforschen anfängt, hat so etwas wie ein umgekehrtes Turtur-Erlebnis. Zur Erinnerung: Der Scheinriese aus Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ wird immer kleiner, je näher man ihm kommt. Der Einfluss der Kunst auf unser Klima dagegen wird immer größer, je länger man darüber nachdenkt.
Fliegen, was das Zeug hält
Es fängt an mit der exzessiven Reisetätigkeit. So schön es auch erscheinen mag, große Namen inzwischen auch in ländlichen Regionen wie am Bodensee ganz selbstverständlich begrüßen zu dürfen: Ist das wirklich eine gute Idee?
Seit mit Tonträgern kein Geld mehr zu verdienen ist, fliegen Musiker, was das Zeug hält. Und längst beschränken sich ihre Auftritte nicht mehr auf Metropolen. Selbst im hintersten Winkel geben sich mittlerweile Weltstars aus Klassik und Pop die Klinke in die Hand.

Damit wären wir bei uns, dem Publikum. Früher hatten wir uns bei der Wahl eines Wohnorts noch zwischen Stadt und Land zu entscheiden. Entweder jeden Morgen die Vögel zwitschern hören – ohne pulsierendes Kulturleben, oder aber jeden dritten Abend im Konzert sitzen – ohne Vogelgezwitscher. Heute geht beides zusammen, im Grünen wohnen und in die Großstadt nur noch zum Arbeiten pendeln. Der Preis: eine zersiedelte Landschaft und viel CO2-Ausstoß.
Von wegen unschuldige Ästhetik
Aber wenigstens die bildende Kunst hängt ja nur unschuldig an Museumswänden herum? Diese Annahme war schon in der Vergangenheit nicht richtig. Denn das Besichtigen von Artefakten der Kunst und Architektur ist ja seit jeher ein Hauptantrieb für Tourismus.
Inzwischen kommen weitere Probleme hinzu. Der Aufstieg von bildender Kunst zu einer Art Ersatzwährung bringt nämlich einen zunehmenden Bedarf an aufwendig klimatisierten Depots mit sich. Die „Zeit“ errechnete kürzlich den CO2-Ausstoß allein der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie kam auf 30.000 Tonnen, das entspricht 120.000 Flügen zwischen Zürich und London. Neue Moden wie die sogenannte Kryptokunst (extrem energieintensiv) machen der Mär von einer unschuldigen Ästhetik endgültig den Garaus.
Und schließlich: Ist es nicht die abendländische Kunstgeschichte, die uns die fixe Idee einimpfte, nur was auf ewig Bestand hat, sei von Wert? Ein Biber, schreibt der St. Galler Schriftsteller Christoph Keller, käme wohl kaum auf die Idee, sein Bau müsse die Jahrtausende überdauern – bloß, weil er sich damit so viel Mühe gibt. Auch vielen Naturvölkern ist dieser Gedanke fremd. Was dagegen der urbane Mensch erschafft, ist für alle Zeiten bestimmt. Und so entstehen immer mehr Depots, Paläste, Straßen, Brücken: ein grenzenloses Größer-Höher-Weiter im Kampf gegen das Vergessen.
Es gibt Künstler wie den St. Galler Robert Signer, die ihre Werke darauf anlegen, im Nichts zu verschwinden. Wenn die Kunst anfängt, sich ihre Hybris abzugewöhnen, vielleicht gelingt es dann allen anderen auch.