Kritiker der Corona-Politik haben in Sigmaringen versucht, zum Wohnhaus von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Ortsteil Laiz vorzudringen. Eine kleine Gruppe der insgesamt rund 60 Demonstranten wollte eine Absperrung der Straße umgehen, die zum privaten Wohnhaus des baden-württembergischen Regierungs-Chefs im Ortsteil Laiz führt, wie ein Polizeisprecher mitteilte. Das sei jedoch verhindert worden.
Den Angaben zufolge informierten Beamte Kretschmanns Ehefrau Gerlinde darüber, die zur selben Zeit von einem Ausflug nach Hause kam. Ihr Mann sei nicht daheim gewesen – er war in Berlin bei der Wahl des Bundespräsidenten. Alles in allem verlief der Zug der Maßnahmen-Kritiker den Angaben der Polizei zufolge friedlich. Dennoch sind die Ereignisse für Oliver Weißflog, Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Ravensburg, eine „klare Grenzüberschreitung“.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch verurteilte den Vorfall in Laiz: „Vor dem Privathaus des Ministerpräsidenten zu demonstrieren, geht gar nicht. Da geht es nicht darum, seine Meinung kundzutun, sondern um reines Machtgehabe und den Versuch von Einschüchterung.“ Wer Kritik äußern wolle, der habe viele Möglichkeiten dazu. „Wer andere belagern und bedrängen will, geht zu weit und muss in die Schranken gewiesen werden“, so Stoch weiter.
Das sieht auch der Laizer Ortsvorsteher Wolfgang Querner so. Er war selbst nicht vor Ort, als die kleine Gruppe der Demonstranten am späten Sonntagnachmittag versuchte, zum Privathaus des Ministerpräsidenten vorzudringen. „Ich war am Bodensee und kam erst gegen acht Uhr nach Hause, als alles schon vorbei war“, so Querner gegenüber dem SÜDKURIER. Was vorgefallen sei, „geht gar nicht“, findet der Ortsvorsteher. „Die Privatsphäre des Ministerpräsidenten gehört geschützt.“

Dass es zu so einem Vorfall kommen könnte, sei aus seiner Sicht nicht vorhersehbar gewesen. In Laiz habe es bisher keine sogenannten Spaziergänge gegen die Corona-Maßnahmen gegeben. „Es waren immer die üblichen am Montag in Sigmaringen, die nach meinem Empfinden immer etwas mehr geworden sind.“ In letzter Zeit seien um die 300 bis 500 Teilnehmer dabei gewesen. Von Beunruhigung unter den Ortsteil-Bewohnern sei aber bisher nichts zu spüren, nachdem am Sonntag ein Teil der Spaziergänger nach Laiz ausgewichen war, so Querner weiter.
Wie in vielen anderen Städten in Baden-Württemberg versammeln sich auch in Sigmaringen regelmäßig sogenannte Spaziergänger, um gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen protestieren. Doch für Sonntag hatten die Kritiker im Internet dazu aufgerufen, sich nicht wie sonst üblich im Sigmaringer Stadtzentrum zu treffen, sondern zum privaten Wohnhaus von Winfried Kretschmann zu ziehen. Eine versuchte Anmeldung eines Versammlungsleiters beim Landratsamt soll zuvor laut Medienberichten an Meinungsverschiedenheiten über die Maskenpflicht gescheitert sein.

Etwa gegen 17 Uhr versammelten sich laut Schätzungen der Polizei am Sonntag rund 60 Personen auf dem Parkplatz der Laizer Festhalle. Von dort ging es schnurstracks zu Kretschmanns Wohnhaus, wo ein kurzer Stopp erfolgte. „Eine kleine Gruppe von etwa zehn Personen hat dann versucht, durch einen Hinterhof in die Seitenstraße des Hauses einzudringen“, so Polizeisprecher Weißflog, der das Geschehen vor Ort verfolgte, gegenüber dem SÜDKURIER.
Zu der Kleingruppe soll auch der mutmaßliche Demo-Organisator gehört haben, ein großgewachsener Mann mit einem riesigen Holzkreuz. Nach kurzer Diskussion mit der Polizei, die mehrere Einsatzwagen vor dem Haus geparkt und die Seitenstraße mit Polizeiabsperrungen abgeriegelt hatte, ließen die Demonstranten von ihrem Vorhaben ab, zum Wohnhaus des Ministerpräsidenten vorzudringen.
Der Protestzug setzte sich wieder in Bewegung. Auf dem Rückweg steuerten die sogenannten Spaziergänger laut Weißflog erneut das Haus des Politikers an und machten dort für etwa fünf Minuten Halt. Zu Versuchen, erneut vorzudringen, kam es dieses Mal nicht. „Insgesamt gab es kein aggressives Auftreten, eher sollten Grenzen ausgetestet werden“, sagt der Polizeisprecher.
Zu verbalen Auseinandersetzungen, Beschimpfungen oder Parolen soll es nicht gekommen sein. Möglicherweise wollte die Gruppe nur Präsenz zeigen. Am Ende stand eine Anzeige nach dem Versammlungsgesetz, vermutlich gegen den Organisator des Protestzugs, was die Polizei vorerst aber nicht bestätigte. Die Einsatzkräfte, darunter auch Beamte des Polizeipräsidiums Einsatz, waren mit mehreren Dutzend Beamten vor Ort – deutlich mehr als bei Corona-Demos in Sigmaringen sonst üblich.

Wie groß ist die Gefahr, dass es zu einem Angriff einer Menschenmenge gegen das Wohnhaus des Ministerpräsidenten kommt? „Von derartigen Zuständen wir noch weit entfernt. Es ist kein Mob aufgetreten, es war eine friedliche Stimmung. Dennoch werden wir die Lage weiterhin mit einem wachsamen Auge beobachten“, sagt Weißflog. Ihn stimme nachdenklich, dass ein Privatwohnsitz als Ziel ausgesucht wird. „Jedem Menschen, egal welche Funktion er hat, muss zugestanden werden, eine Privatsphäre zu haben.“
Ein Polizeihubschrauber, der zeitgleich über Sigmaringen kreiste, soll laut Polizei nichts mit der Corona-Demo zu tun gehabt haben, sondern war wegen einer Vermisstensuche im Einsatz. Gegen 18.30 Uhr löste sich der Protestzug am Sonntag auf.