Wolfgang Schäuble macht keinen Hehl daraus, woher er kommt. Als der langjährige CDU-Finanzminister in der EU-Schuldenkrise sagte, „Irgendwann isch game over“, grinsten nicht nur Süddeutsche über den kernigen Ortenauer. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann verbirgt seine schwäbische Färbung nicht.

Wie die Menschen im Land reden, ist seit Langem Gegenstand der Forschung, an der Uni Tübingen etwa. Hubert Klausmann ist dort Professor am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland.

Hubert Klausmann ist Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Tübingen.
Hubert Klausmann ist Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Tübingen. | Bild: Christoph Schmidt

Klausmann kann besser als viele andere erklären, warum wir so reden, wie wir reden. Zunächst einmal: Erst gab es die Dialekte, die deutsche Standardsprache kam erst später. Von Hochsprache redet Klausmann nicht gern.

Sie wurde erfunden, als der Buchdruck aufkam und die Drucker Wert darauf legten, dass ihre Produkte überall verstanden und damit gekauft wurden. „Im Grunde gibt es keine neutrale Sprache, auch in Hannover nicht“, stellt der Sprachwissenschaftler klar.

Die Sprach-Vielfalt von Ort zu Ort entstand, als sich Siedlungen entwickelten. Weil damals nur wenig Austausch stattfand oder wenn es natürliche Grenzen wie Gebirge oder Flüsse gab, entwickelten sich die Sprachen auseinander. „Die Dialekte trennen das Land schon“, ist Klausmanns Befund.

Wolfgang Schäuble, CDU, verbirgt seine badische Färbung beim Reden nicht.
Wolfgang Schäuble, CDU, verbirgt seine badische Färbung beim Reden nicht. | Bild: Jan Woitas/AFP

Es gebe fränkische, aber auch schwäbisch-alemannische Varianten. Große Dialektgrenzen verliefen zwischen Ellwangen und Crailsheim und westlich von Freudenstadt unterhalb des Kniebis-Gipfels.

Die Sprachgrenze führe auch zu einer psychologischen Grenze: „Die Leute sprechen anders, und sie orientieren sich dann auch anders“, sagt Klausmann.

Auffällig sei der Unterschied bei den Diphtongen, den Doppellauten, wie in „Haus“ oder „Zeit“, erklärt der Sprachexperte. Während das Alemannische beim mittelalterlichen „Hus“ und der „Zit“ blieb, hört man im Schwäbischen genau beide Vokale, „Ha-us“ und „Ze-it“.

Damit, mit weiteren Unterschieden und der speziellen Satzmelodie können viele Menschen sofort sagen, ob ihr Gegenüber aus dem alemannischen oder schwäbischen Raum kommt: Der Sound ist einfach anders.

Anhören kann man sich diese kunterbunte Sprachlandschaft in Baden-Württemberg im Internet auf der Webseite „sprechender Sprachatlas“, die von der Universität Tübingen mit Hörbeispielen aufgebaut wurde, oder auf der Seite der Muettersproch-Gsellschaft, die das Alemannische pflegt, unter dem Kapitel „So schwätzt mr bi uns“.

„Im Elsass und in der nördlichen Ortenau wird richtig gesungen, und weiter hinunter wird der Klang immer rauer“, sagt Uschi Isele von der Muettersproch-Gsellschaft, die in Opfingen bei Freiburg lebt.

Ganz auffällig sei das Stadt-Land-Gefälle. In Freiburg mit seiner studentischen Szene und den vielen Neubürgern höre man kaum noch Alemannisch. Aber in der Straußenwirtschaft höre man oft auch Junge noch im Dialekt sprechen. „Ich finde das schön, wenn man hört, von wo jemand stammt“, sagt sie.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Grüne, ist Schwabe. Und er macht kein Geheimnis daraus.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Grüne, ist Schwabe. Und er macht kein Geheimnis daraus. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Heute sprechen beim Eintritt in den Kindergarten gerade noch knapp 20 Prozent der Kinder Dialekt. Um die Freude daran wieder zu wecken, schickt die Muettersproch-Gsellschaft Schriftsteller und Musiker in die Schulen. Dort wird dann auf Alemannisch gelesen oder es werden alemannische Lieder gesungen. Das Gleiche tut im schwäbischen Landesteil der Verein Schwäbische Mundart.

Noch immer existiere bei manchen Lehrern und Erzieherinnen das Vorurteil, Kinder, die Dialekt sprechen, hätten es später bei der Rechtschreibung schwer, klagt Uschi Isele. Dabei ist das Gegenteil der Fall.

Wer Dialekt und Standardsprache spricht, dem fällt der Fremdsprachenerwerb sogar leichter, sagt Sprachwissenschaftler Hubert Klausmann. Die Schweizer Kinder, die Dialekt sprechen und Standardsprache schreiben, hätten bei den Pisa-Tests genauso gut abgeschnitten wie die deutschen.

Die Mobilität ist der Feind des Dialekts

Der große Feind des Dialekts ist die heutige Mobilität. Wer ständig umzieht, um zu studieren oder weit weg einen speziellen Arbeitsplatz zu besetzen, dem fehlt das Gegenüber.

Am besten erhalte sich die Heimatsprache dort, wo Menschen dort bleiben könnten, wo sie aufgewachsen sind, sagt Experte Hubert Klausmann. „Ganz deutlich sieht man das in Weinorten.“ Die jungen Winzer, die jetzt übernommen hätten, sprächen selbstbewusst Dialekt. Auch in kleineren Orten mit Handwerk habe es der Dialekt leichter.

Ein modernes Phänomen ist der Dialekt auf Zeit. Viele sprechen heute bei der Arbeit Standarddeutsch, wechseln aber abends, bei der Familie oder bei Festen zum Dialekt, können das Heimat-Idiom also regelrecht ein- und ausschalten. „Die Menschen wechseln je nach Situation, Thema und Gesprächspartner“, sagt Klausmann.

Ein Zeichen von Loyalität

Dialekt zu sprechen, sei dann ein Zeichen von Loyalität und Identifikation. Man macht bewusst erkennbar, woher man kommt und wohin man gehört. „Ich finde das ungeheuer praktisch, weil man so wählen kann, was angemessen ist“, sagt Klausmann.

Wie werden wir in 100 Jahren sprechen? Vermutlich werde es in Zukunft eher regionale, großräumige Varianten geben, die weniger an einem einzelnen Ort festgemacht seien, oder auch eine Mischung aus Standardsprache und Dialekt, erläutert Klausmann.

Bevor Corona kam, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine Dialekt-Initiative gestartet. Sie soll nun baldmöglichst wiederbelebt werden.

Wir sagen weiter „ischt“!

Zum Schluss räumt Klausmann noch mit einem Irrtum auf. Wolfgang Schäuble und Winfried Kretschmann sprächen bei öffentlichen Auftritten keinen Dialekt, sondern lediglich Süddeutsch. Damit können wir also ruhig weiterhin „ischt“ sagen. Sozusagen mit wissenschaftlichem Segen.