Zwölf Stunden, nachdem die Kriminaltechniker abgerückt sind, bleibt vor dem Haus in Pfaffenweiler keine Spur zurück. Die Sonne strahlt am Mittag über dem Ortsteil von Villingen-Schwenningen, kaum jemand ist in der Siedlung aus schmucken Häusern auf der Straße unterwegs. Der Raureif verdampft in der Sonne, Kinder spielen im Garten.
Nichts ist auffällig hier. Aber die Vorort-Idylle trügt. Hinter den Türen herrschen Fassungslosigkeit und Bestürzung. Um Mitternacht haben Bestatter hier drei Leichen aus einem Haus herausgetragen. Eine Familientragödie soll sich hier abgespielt haben, die Hintergründe sind am Samstag noch unklar.
Fest steht bisher: Etwas Furchtbares ist geschehen. Ein 27 Jahre alter Mann, der nach seiner Familie sehen wollte, betrat laut ersten Ermittlungen der Polizei am Freitagnachmittag gegen 16 Uhr das Elternhaus. Er fand zuerst seinen 32 Jahre alten Bruder vor, das Blut an ihm soll bereits getrocknet gewesen. In einem anderen Raum entdeckte der junge Mann die Leichen seiner 57 Jahre alten Mutter und die seines 62 Jahre alten Vaters. Was ist hier passiert?
Nett, freundlich, unauffällig
Am Samstagmittag parken ein Coupé und ein Kleinwagen vor dem Haus, neben der Eingangstür steht weihnachtliche Dekoration: Geschenke, Lichterkette, ein Plüsch-Schneemann. Hecken und Rasen sind getrimmt. Die Familie, die hier wohnte, lebte seit etwa 20 Jahren hier. Das berichten Nachbarn.
Alle Anwohner, mit denen der SÜDKURIER an diesem Tag spricht, beschreiben die Familie als nett, freundlich – und unauffällig. Hier mal ein Plausch, da mal eine Gefälligkeit. Der ältere Sohn, der noch im Haus gelebt haben soll, sei auch nicht weiter aufgefallen. Nach einem Feuerwehreinsatz in dem Wohnhaus vor etwa eineinhalb Jahren habe man ihn kaum noch draußen gesehen. Die Nachbarn vermuten, dass er Probleme hatte.

Auf Facebook teilte die Familie vieles mit der Öffentlichkeit – Bilder von vielen Reisen, gemeinsamen Grillfesten oder Weihnachtsabenden. Scheinbar eine glückliche Familie. Der Vater hatte eine IT-Firma, seine Frau blieb daheim und kümmerte sich ums Haus. Sie hatten drei erwachsene Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. Der Älteste wohnte noch daheim.
Polizei findet Messer
Nun steht der 32-Jährige im Verdacht, erst seine Eltern und dann sich selbst getötet zu haben. So teilte es die Polizei noch in der Nacht mit. Alle Familienmitglieder hatten Stichverletzungen, die Leiche des Sohnes lag in einem anderen Zimmer als die der Eltern.
Die Polizei fand ein Messer bei dem 32-Jährigen. Dabei dürfte es sich um die Tatwaffe handeln. Die alarmierten Rettungsdienste konnten nur noch den Tod der drei Personen feststellen. Thorsten Kölling, Polizeiführer vom Dienst in Konstanz, kann am Samstag nur bestätigen, dass „Tatzeit- und Auffindezeitpunkt“ verschieden sind. Die Bluttat hat sich demnach wohl schon früher ereignet. Eine Dritteinwirkung sei ersten Ermittlungen zufolge nicht erkennbar.
Ortsvorsteher: „Da weißt du gar nicht, was du denken sollst“
Aktiv im Ort sei die Familie nicht gewesen, erzählt Martin Straßacker. Er ist Ortsvorsteher von Pfaffenweiler, war selbst knapp 40 Jahre Polizist im Streifendienst und in der Prävention tätig. Er erfuhr am Freitagabend während einer Jahresversammlung davon, was sich ein paar Meter neben seinem Haus abgespielt haben soll.

Die Bestürzung ist ihm am Samstag noch anzumerken. Auch wenn er die Familie nicht kannte, sagt er: „Ich bin fassungslos. Da weißt du gar nicht, was du denken sollst.“ Hätte eine Gefahrenlage bestanden, wäre er sofort ins Rathaus geeilt, sagt er. Aber so angespannt wie in Unterkirnach vor wenigen Tagen sei die Situation nicht gewesen. Dort hatte ein Mann einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst, nachdem er sich in seinem Haus verschanzt und gedroht hatte, es in die Luft zu sprengen.
Kritik an Gerüchten
Martin Straßacker ist sichtlich bewegt. Es sei einfach schwer, in diesem Moment die richtigen Worte zu finden. Von allen Spekulationen und Gerüchten, die sich binnen Stunden in den Sozialen Netzwerken verbreitet haben, hält er nichts.
Die Polizei müsse erst mal in Ruhe ermitteln dürfen, findet er. Dass noch keine Grablichter oder Blumen am Haus liegen, sieht Straßacker als Zeichen des Respekts – auch gegenüber den Angehörigen. Die Pfaffenweiler müssten das auch erst verarbeiten.
Nachbarn bekommen nichts mit
„Wir sind total geschockt“, sagt eine Anwohnerin. Das seien so nette, freundliche und liebe Menschen gewesen, die nie aufgefallen sind. „Man half sich gegenseitig, die Frau war sehr fleißig und hat alles in und ums Haus in Ordnung gehalten“, sagt die Nachbarin. Einst seien die Kinder im Judoclub aktiv gewesen, ansonsten hätte die Familie eher zurückgezogen gelebt. Über die Bluttat ist sie entsetzt.
So geht es auch anderen Nachbarn, die ab Freitagmittag daheim gewesen sind. Niemand hat Schreie gehört. Erst als ein Großaufgebot der Polizei eintraf, war allen klar, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.
Leichen werden am Montag obduziert
Das Kriminalkommissariat Villingen-Schwenningen hat die weiteren Ermittlungen, insbesondere zu einem möglichen Motiv, übernommen. Die Spurensicherung soll am Sonntag erneut den Tatort untersuchen, erklärte Polizeisprecher Kölling auf Nachfrage. Die Leichen sollen am Montag obduziert werden. Erst danach könne man die Tat rekonstruieren.