Eine Eskalation fast wie im Film: Ein 27-Jähriger, wohnhaft in Emmingen-Liptingen, soll sich am 8. Januar 2024 in Singen mehreren Vollstreckungsbeamten widersetzt haben und sie tätlich angegriffen, bedroht, beleidigt und verletzt haben. Die fünf Betroffenen – darunter drei Zollbeamte und zwei Polizeibeamte der Bundespolizei – sagten bei einer Gerichtsverhandlung im Singener Amtsgericht aus. Ihre Angaben deckten sich in den wesentlichen Punkten und wurden von Richter Bastian Hoenig und der Staatsanwaltschaft als glaubhaft eingestuft. Dennoch wurden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen laut.

Der Angeklagte soll am besagten Januartag gegen 14.45 Uhr mit zwei Kollegen durch die Bahnhofsunterführung gegangen und dort von zwei Zollbeamten kontrolliert worden sein. „Wir führten am Singener Bahnhof Zollkontrollen durch, weil dort Züge aus der Schweiz ankommen“, erzählt einer der beteiligten Beamten. Bei der Passkontrolle stellten sie dann fest, dass nach dem 27-Jährigen mutmaßlich gefahndet wurde. Dies habe man überprüfen wollen. Der Treffer bestätigte sich im Nachgang – das tat aber im weiteren Verlauf nichts zur Sache.

Der 27-Jährige war sehr aggressiv

Der Angeklagte legte den Polizeibeamten zufolge von Anfang an ein aggressives Verhalten an den Tag. Deshalb seien nach kurzer Zeit vier Kollegen von der Bundespolizei zur Unterstützung gekommen. Nachdem sich der 27-Jährige den Anweisungen der Polizisten widersetzte und aufbrausend wurde, nahmen sie ihn mit in das nahegelegene Bundespolizeirevier in der Julius-Bührer-Straße.

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Dort seien seine Fingerabdrücke abgenommen worden, was zum ersten Zwischenfall geführt habe: Der junge Mann soll den Beamten den Mittelfinger gezeigt haben. Im Verlauf der Kontrolle hätten die Polizisten den Angeklagten in der Gewahrsamszelle durchsucht. Er sollte sich komplett ausziehen – selbst die Unterhose, berichten die Polizisten.

Die Situation eskalierte komplett

Als er danach entlassen werden sollte, sei er völlig eskaliert, schildert einer der Zollbeamten: „Er ist wie ein Verrückter auf uns losgegangen. Deshalb mussten wir ihn mit Handschellen zurück in die Gewahrsamszelle führen und dort für ein paar Minuten einsperren, damit er sich beruhigt.“ Er habe daraufhin gegen die Zellentür getreten und geschlagen. Man habe ihn nicht unbeaufsichtigt lassen können. „Als ich mich kurz zur Kollegin gedreht habe, ist er aufgestanden und hat mir in die Wade getreten“, berichtete einer der Zollbeamten. Bei dem Versuch, den 27-Jährigen zu bändigen, habe sich ein weiterer Kollege an der Hand und am Knie verletzt, so der 21 Jahre alte Zeuge.

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Der Angeklagte soll in der Zeit seines Revieraufenthalts außerdem vehement Beleidigungen auf Deutsch, Englisch und Arabisch geäußert haben. Zudem habe er den Polizisten gedroht, sie bei einem Wiedersehen abzustechen. Nach etwa einer Stunde hatte er sich weitestgehend beruhigt und man habe ihn dann entlassen können.

Angeklagter bestreitet die Vorwürfe

Der Angeklagte beteuerte während des Gerichtsprozesses mithilfe eines Dolmetschers seine Unschuld und stritt Aggressionen seinerseits ab. Stattdessen sei er von den Polizisten grundlos geschubst und geschlagen worden. „Ich nicht schlagen. Ich Respekt Polizei“, sagte er in gebrochenem Deutsch. Er verwies mehrfach auf Kameras am Bahnhof und im Polizeirevier, die dies bezeugen könnten. Doch zum Zeitpunkt des Geschehens gab es an keinem der besagten Orte schon Kameras, wie die Polizeibeamten auf Nachfrage des Richters mitteilten.

Darüber hinaus äußerte der Angeklagte, er habe am Bahnhof nur so forsch reagiert, weil die Beamten in Zivil gewesen seien, was ihm Angst bereitet hätte. Auch das konnte von den Zeugen widerlegt werden. Als Richter Hoenig ihn auf die Unstimmigkeiten hinwies, behauptete der 27-Jährige, betrunken gewesen zu sein und sich deshalb nicht mehr genau erinnern zu können. Allerdings zeigte ein Alkoholtest, der zum Tatzeitpunkt durchgeführt wurde, dass er 0,3 Promille im Blut hatte. Das sollte noch nichts an der Zurechnungsfähigkeit ändern.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit

Dass sich der Angeklagte bei der Durchsuchung vollständig entkleiden musste, war dem Richter allerdings ein Dorn im Auge. Denn die Aussagen der Polizeibeamten unterschieden sich hinsichtlich der Begründung: Laut dem 21-jährigen Zollbeamten habe man Diebesgut unter den Klamotten vermutet. Sein 24-jähriger Kollege sprach von Selbstschutz. Einer der Bundespolizisten wiederum rechtfertigte die Entkleidung mit einer Identitätsfeststellung. Alle drei erachteten die Maßnahme als durchaus übliches Vorgehen.

Richter Hoenig hingegen bezeichnete sie als unverhältnismäßig und hinterfragte die Rechtsgrundlage. „Schließlich bestand zu keiner Zeit eine Gefahr für Leib und Leben“, erklärt er. Und weiter: „Hier wurde meiner Ansicht nach fahrlässig mit den Grundrechten des Angeklagten umgegangen.“ Doch der 27-Jährige selbst maß dem nicht solch eine Bedeutung bei, wie der Dolmetscher vermittelte.

Letzten Endes orientierte sich Richter Bastian Hoenig am Plädoyer des Staatsanwalts. So wurde der angeklagte Tunesier zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Außerdem muss der 27-Jährige seinen Wohnsitz in dieser Zeit unaufgefordert mitteilen, wird einem Bewährungshelfer zugeordnet und muss innerhalb eines Jahres 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

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Für den Angeklagten spreche, dass keiner der Polizeibeamten schlimm verletzt wurde, so Hoenig. Und auch eine gewisse Aggression aufgrund der Durchsuchung sei nachvollziehbar. Trotzdem rechtfertige dies keinesfalls sein Handeln. Dass der Angeklagte wegen Diebstählen, Beamtenbeleidigung und tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte mehrfach vorbestraft sei, spreche auch nicht gerade für ihn, sagte der Richter.