Die „Corona-Schule“ kennt jeder in Waldmössingen. Der Ort, der zu Schramberg im Kreis Rottweil gehört, ist überschaubar. Traktoren tuckern durch die verschneite Dorfmitte, die kleine Ortsverwaltung wirkt in dem eher traditionell geprägten Waldmössingen mit ihrem modernen Bau geradezu futuristisch. Das Nötigste gibt es hier: einen kleinen Schreibwarenladen mit Poststelle, ein Wirtshaus und eine Apotheke. Der nächste Supermarkt liegt außerhalb.

2100 Einwohner zählt das Dorf. Man kennt sich. Wohl genau deshalb will auch niemand mit Namen oder Bild über besagte Schule sprechen, die eine Handvoll Eltern selbst eröffneten, weil sie die Masken- und Testpflicht in der öffentlichen Grundschule ablehnen. Ein Bericht der „taz“ hat die Dorfgemeinde aufgewühlt, gewusst hat es vorher aber schon jeder.

„Ja, ja“, das sei hier um die Ecke, sagt eine Frau in einem Laden. Ihre Kinder gehen zur Schule, „zum Glück“. Die Masken- und Testpflicht finde sie gut, ergänzt sie. Die Familien, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen, kennt sie. Aber sie will nichts sagen dazu. Der Dorftratsch könnte sie treffen. Überhaupt sind hier alle vorsichtig, wenn man sie auf diese illegale Schule anspricht.

In einem ehemaligen Ladengeschäft (hinten im Bild), dessen Fenster mit Vorhängen zugehängt sind und Weihnachtsdekoration schmückt, ...
In einem ehemaligen Ladengeschäft (hinten im Bild), dessen Fenster mit Vorhängen zugehängt sind und Weihnachtsdekoration schmückt, sollen die Kinder unterrichtet werden. | Bild: Moll, Mirjam

Auch in einem anderen Geschäft reagiert man nur mit einem Auflachen. Man kenne die Leute, die Diskussionen, heißt es da. Aber mehr, als sie im Laden auf die Maskenpflicht hinzuweisen, könne man nicht tun. Die Kundschaft vergraulen, das geht nicht in so einem Dorf. Schwer genug hat man es hier wohl als Pächter, vor allem in Zeiten von Corona. Geredet wird hier eher hinter vorgehaltener Hand.

Vor der Apotheke wartet eine Reihe Menschen. Eine Dame steht da, ohne Maske. Nein, sie wolle nicht rein, sagt sie. Sie warte draußen auf ihre Medikamente. Ein Mann mit FFP2-Maske im Gesicht wartet auch. Er kommt aus dem Nachbarort, sagt er. Von dieser Schule habe er gehört, bestätigt auch er. Im Schwarzwald verbreiten sich die Geschichten eben von Dorf zu Dorf.

Unterricht hinter Vorhängen

In diesem ehemaligen Ladengeschäft, das an ein Wohnhaus – das nicht in Zusammenhang mit der Corona-Schule steht – ...
In diesem ehemaligen Ladengeschäft, das an ein Wohnhaus – das nicht in Zusammenhang mit der Corona-Schule steht – angegliedert ist, sollen fünf Familien ihre Kinder illegal unterrichten. Sie sind seit September nicht mehr in der Schule, weil ihre Eltern die Test- oder Maskenpflicht ablehnen. | Bild: Moll, Mirjam

Die „Corona-Schule“ ist in einem leerstehenden Ladengeschäft untergebracht, erfährt man hier schnell. Es ist leicht zu finden in diesem Örtchen, nur ein paar hundert Meter vom Rathaus entfernt. Früher war hier ein Gewürzladen drin, hatte dort sein Lager. Jetzt ist er am Kreisverkehr. Die großen Fenster des Ladengeschäfts sind mit Gardinen verhangen. Am Hauseingang nebenan scheint die Klingel abgestellt.

Im Hausflur sind einige Kinderschuhe und -jacken zu sehen, ordentlich aufgereiht an der Garderobe. Irgendwoher klingt Musik. Aber niemand öffnet.

Nur einen Steinwurf entfernt liegt die Grundschule. Im Flur stehen Winterstiefel auf dem Boden, wo Barfußzeichen abgebildet sind. Schulleiterin Vanessa Franz unterrichtet die 4. Klasse, die auf dem Weg in den Sportunterricht ist. Wie es ihr damit gehe, dass Kinder seit Monaten nicht zur Schule kämen, fragt der SÜDKURIER. Die blonde Frau will dazu nichts sagen. Es sei nett, dass man gekommen sei, aber sie verweise auf das zuständige Schulamt in Donaueschingen und das Regierungspräsidium in Freiburg. Sie verabschiedet sich, freundlich, aber bestimmt.

Die Grundschule in Waldmössingen wird derzeit saniert. Der Unterricht findet aber weiter statt – mit Masken- und Testpflicht. Das ...
Die Grundschule in Waldmössingen wird derzeit saniert. Der Unterricht findet aber weiter statt – mit Masken- und Testpflicht. Das passt einer Handvoll Eltern nicht. | Bild: Moll, Mirjam

Regierungspräsidium Freiburg erst durch Medien informiert

Das Regierungspräsidium Freiburg bestätigt, was Franz nicht sagen will: Seit September sind fünf Kinder nicht mehr in der Schule. Doch erst seit Ende November weiß das Regierungspräsidium davon. „Wir sind der Sache aber nachgegangen. Die Schule hat bestätigt, dass seit September fünf Kinder aus fünf Familien den Unterricht nicht mehr besuchen.“

Als Begründung haben demnach vier Familien die Corona-Testpflicht angegeben, in einem Fall die Maskenpflicht, die sie ablehnen. „Atteste zur Befreiung von den Pflichten wurden nicht vorgelegt.“ Die Schule habe das zuständige Ordnungsamt sowie das Jugendamt eingebunden. Das Regierungspräsidium und das Schulamt in Donaueschingen prüften die Sache derzeit juristisch.

Klar sei: „Die Genehmigung zum Betreiben einer Ersatzschule als Ableger der Grundschule in Waldmössingen wurde seitens der Schulaufsichtsbehörde nicht erteilt.“ Das Vorgehen sei „gegebenenfalls“ ein Verstoß gegen die Schulpflicht. „Sollte unsere Prüfung dies bestätigen, wird die Schule gebeten, nochmals das Gespräch mit den Eltern aufzunehmen mit dem Ziel, diese zur Einsicht zu bewegen. Sollte dies nicht zum Erfolg führen, würde die Schulaufsicht das Ordnungsamt bitten, in Abstimmung mit dem Jugendamt ein Bußgeldverfahren einzuleiten.“

Schramberg hat seit „Herbst“ Kenntnis

Die Stadt Schramberg hat nach eigenen Angaben „im Herbst“ ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Über die Dauer des Verfahrens könne man nichts sagen, wenn die Eltern Einspruch erheben, geht das Verfahren an die Staatsanwaltschaft. Im schlimmsten Fall muss ein Gericht die Sache klären. Das kann dauern. „Jugendamt und Schulamt stehen in engem Kontakt mit allen Beteiligten“, sagt Sprecherin Sabine Felker-Henn.

Die Kinder haben allerdings schon jetzt fast drei Monate Unterricht verpasst. Ein Bußgeldverfahren könnte für die Eltern zwar teuer werden, aber kann man sie zwingen, ihre Kinder zur Schule zu schicken? Rein gesetzlich ist das tatsächlich möglich. Paragraf 86 des Schulgesetzes regelt nicht nur die Bußgeldauflage, die bis zu 1000 Euro betragen kann, sondern auch die „zwangsweise Zuführung“ durch die zuständige Polizeibehörde. Wenn Eltern Kinder trotz Aufforderung nicht wieder zum Unterricht schicken, ist demnach sogar eine Hausdurchsuchung möglich.

Das kunterbunte Schulgebäude in Waldmössingen.
Das kunterbunte Schulgebäude in Waldmössingen. | Bild: Moll, Mirjam

Rechtliche Mittel noch nicht erschöpft

Ob es im Waldmössinger Fall so weit kommen muss, ist noch offen. Matthias Rehfuß ist Fachbereichsleiter Recht und Sicherheit der Stadt Schramberg. Er sagt dem SÜDKURIER, man wisse seit „Mitte/Ende Oktober“ von der Sache. Die entsprechenden Informationen wurden weitergegeben, ans Schulamt und die zuständigen Behörden.

Sehr viel weitergekommen scheint die Stadt seither aber nicht. Die Kommune ist an die Fristen des Verfahrens gebunden. Je Einspruch kommt es zu zwei Wochen Fristverlängerung. „Was würden Sie denn machen? Wir können nicht die Türe aufbrechen und Kinder aus dem Bett ziehen.“ Die Ordnungsbehörden kämen mitunter an ihre Grenzen. Alle Maßnahmen müssten verhältnismäßig bleiben, die Kinder also „nicht über Gebühr belastet“ werden.

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Rehfuß weiß um den Verlust des sozialen Kontakts dieser Kinder, nicht nur die Schulpflicht. „Ich finde es eine Katastrophe, dass Eltern ihren Kindern so etwas antun. Kinder haben ein Recht darauf, in die Schule zu gehen“, macht er deutlich. Aber es gebe Menschen, die könne man nicht erreichen. „Wir müssen in solchen Fällen natürlich dran bleiben“, betont er zugleich.

Prüfung auf Kindeswohlgefährdung

Ein Instrument, dass Rehfuß für gangbarer hält: Es gebe zu klären, ob hier eine Kindeswohlgefährdung vorliege. „Diese Frage muss man stellen.“ Der Fachbereichsleiter erhofft sich davon, „über diese Schiene mit den Eltern ins Gespräch zu kommen.“ Die Einstellung der Eltern zur Politik dürfe nicht auf Kosten der Kinder nach außen getragen werden. „Es kann nicht sein, dass sich Menschen monatelang über geltendes Recht hinwegsetzen.“

Wo das Verfahren derzeit steht, will die Stadt nicht sagen. Was aber, wenn der Fall in Waldmössingen kein Einzelfall ist? Das Kultusministerium in Stuttgart sagt wenig Konkretes dazu – auch nicht, ob es Kenntnis von dem Fall hat. „Abschließende Informationen zur Anzahl solcher Fälle liegen uns nicht vor“, so Sprecher Fabian Schmidt. Er verweist auf Paragrafen des Schulrechts, darauf, dass es Handreichungen gebe „zum Thema Schulabsentismus“. Es klingt ein wenig hilflos. Wie lange die „Corona-Schule“ in Waldmössingen noch läuft, ist nicht absehbar.