Es sind Bilder, die niemand mehr sehen will: Deutsche und Schweizer Grenzschützer patrouillieren vom Bodensee bis zum Hochrhein. Bauzäune trennen die Menschen zwischen Deutschland und der Schweiz nach Jahren des barrierefreien Zusammenlebens. Das war im Frühling 2020.

Ein Bild von Anfang April 2020: Menschen treffen sich am Grenzzaun zu Kreuzlingen an der Kunstgrenze auf Klein Venedig in Konstanz.
Ein Bild von Anfang April 2020: Menschen treffen sich am Grenzzaun zu Kreuzlingen an der Kunstgrenze auf Klein Venedig in Konstanz. | Bild: Gian Ehrenzeller

Droht dieses Szenario nicht einmal ein Jahr später erneut? Jede Verschärfung des zweiten Lockdowns lässt eine Rückkehr der Absperrungen realer werden. Deshalb mahnen nun Politiker aus der Region Augenmaß bei derartigen Gedankenspielen an.

Appell von Politikern: Grenzen offen halten

Die Bundestagsabgeordneten aus Konstanz, Andreas Jung (CDU), und Waldshut, Felix Schreiner (CDU) und Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), betonen gegenüber dem SÜDKURIER, wie wichtig es sei, die Grenzen offen zu halten.

Zwei Monate lang, vom 16. März bis 15. Mai, standen Barrieren zwischen den beiden Ländern. Es folgten weitere vier Wochen, während der man nur aus triftigem Grund die Grenze passieren durfte. Am 16. Juni war damit Schluss. Tags zuvor hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die scharfen corona-bedingten Kontrollen für beendet erklärt, die Landesgrenze war wieder uneingeschränkt für alle offen.

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Schon jetzt nur noch Ausnahmen im Grenzverkehr

Die Abgeordneten und etliche Bürgermeister hatten auf die regionalen Besonderheiten ganz im Süden Deutschlands verwiesen: Partner und Familien wurden getrennt, Kleingärten auf fremdem Staatsgebiet konnten nicht mehr bewirtschaftet werden. Und alle waren sich einig: Das sollte es nie mehr geben.

Von offenen Grenzen zur Schweiz kann im Januar 2021 nicht mehr die Rede sein. Längst gelten wieder verschärfte Bedingungen. Von der Anmelde-, Quarantäne- und neuerdings auch Testpflicht nach der Einreise aus dem Risikogebiet Schweiz sind die Menschen nur noch in Ausnahmen befreit.

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Zumindest bei diesen Ausnahmen im kleinen Grenzverkehr – sie gelten unter anderem beim Besuch nächster Verwandter, des Partners oder Kindern bei geteiltem Sorgerecht – soll es bleiben. Schon gar nicht sollen erneut Zäune und Barrieren aufgerichtet werden, um das Reisen zwischen beiden Ländern auch sichtbar unmöglich zu machen.

Merkel soll mit Ministern Grenzkontrollen erörtert haben

Darauf pochen die Bundestagsabgeordneten aus den Kreisen Konstanz und Waldshut: Rita Schwarzelühr-Sutter, Andreas Jung und Felix Schreiner. Sie mahnen erneut an, die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren – bei aller Unterstützung zur Eindämmung des Coronavirus.

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Zuvor hatte die Bundesregierung eine neue Einreiseverordnung verabschiedet und in der Bundespolitik macht das Wort vom „Mega-Lockdown“ die Runde. Kanzlerin Angela Merkel soll dabei laut übereinstimmenden Medienberichten in Vorgesprächen mit den Bundesministerien auch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen als Maßnahme erörtert haben.

Entwarnung und Appelle vom Landes- und Bundesinnenministerium

Ein Sprecher der Bundesinnenministeriums gibt Entwarnung. Dort gebe es zumindest derzeit keine Überlegungen neuerlicher Grenzkontrollen. „Auch mit Blick auf die enge Verzahnung in den Grenzregionen (insbesondere für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt)“ wolle man diese anders als in der ersten Welle vermeiden.

Auch Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) hält die Grenzschließungen damals für notwendig. „Aber sie waren auch sehr schmerzhaft“, sagt er gegenüber dem SÜDKURIER, „deshalb muss alles dafür getan werden, dass Grenzschließungen vermieden werden können“. Damit dies geschehe, sei es an der „Vernunft der Menschen“, dass sie den Grenzverkehr auf das das absolut Notwendige beschränken. „Für Grenzübertritte aus Jux und Tollerei, vielleicht zum Skifahren, habe ich keinerlei Verständnis“, sagt Strobl.

Auch die Krankenschwester kann Grenzpendlerin sein

Botschaften, die bei Andreas Jung auf Erleichterung stoßen werden. Da die Lage „auf beiden Seiten der Grenze ernst ist, kommt es jetzt umso mehr auf enge Zusammenarbeit, intensive Abstimmung und gemeinsame Vorsicht an“, sagt der Konstanzer CDU-Abgeordnete.

Der Konstanzer Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (CDU) an der Kunstgrenze auf Klein Venedig in Konstanz.
Der Konstanzer Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (CDU) an der Kunstgrenze auf Klein Venedig in Konstanz. | Bild: Oliver Hanser

Er fordert: „Grenzüberschreitende Konsequenz statt Gitterzäune.“ Die Krankenschwester, die „als Grenzpendlerin im Krankenhaus unverzichtbar ist“, sei nur ein Beispiel für die grenzüberschreitend tickende Region.

Sein CDU-Fraktionskollege Schreiner geht noch weiter und sagt: Trotz der Ungewissheiten durch die Virus-Mutationen und den deshalb notwendigen neuen Regeln zur Bekämpfung der Pandemie, werde die Grenze nicht pauschal geschlossen.

Der Waldshuter Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner (CDU).
Der Waldshuter Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner (CDU). | Bild: Inga Haar

„Leben in einer Grenzregion bedeutet ein Leben miteinander“, erklärt Schreiner, der sich für Ausnahmeregelungen für Grenzpendler, Familien und Lebenspartner einsetzen will.

Zusammenarbeit habe sich im Vergleich zu März 2020 verbessert

Beide Abgeordneten verweisen auf die Lehren aus der Grenzschließung 2020: Es bestünden ein enger Austausch der Behörden und eine grenzüberschreitende Nachverfolgung. Schreiner spricht von einem „deutlich besseren Krisenmanagement“. Ferner stehe die Verknüpfung der beiden Corona-Apps bevor. Zudem hätten sich mit den jüngsten Schweizer Entscheidungen die Regeln angeglichen.

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Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) hält die aktuellen Einschränkungen im Grenzverkehr für „leider unumgänglich“. Die Waldshuter Bundestagsabgeordnete nennt als Beispiel für die zugespitzte Lage die hohen Fallzahlen im Kanton Aargau.

Die Waldshuter Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD).
Die Waldshuter Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD). | Bild: Susie Knoll

„Deshalb ist es richtig, dass der Grenzverkehr durch einschränkende Quarantäne-Regeln deutlich reduziert wird“, sagt Schwarzelühr-Sutter einerseits und schiebt hinter: „Es bleibt aber auch wichtig, dass familiär und beruflich unverzichtbare Grenzübertritte möglich bleiben.“ Die aktuellen Bestimmungen würden dies im kleinen Grenzverkehr gewährleisten.

Warum will das Innenministerium keine zweite Grenzschließung?

Stellt sich noch die Frage, warum das Bundesinnenministerium in der zweiten Welle anders reagiert als im März 2020. Schließlich waren alle Zahlen weniger dramatisch, angefangen von den Infizierten über die der freien Intensivbetten bis zu den Todesfällen. Als Grund nennt ein Ministeriumssprecher die damalige europa- wie weltweit herrschende Unsicherheit im Umgang mit Corona.

Dies „erforderte damals zunächst rasches Handeln in einer unbekannten und sich dynamisch entwickelnden Gesamtlage“. Anders als heute fehlten „ausreichende Erfahrungen bei der Pandemiebekämpfung“. Heute verfügten die Länder über Konzepte zur Eindämmung, über die „man sich auf europäischer Ebene und mit unseren Anrainerstaaten regelmäßig grenzüberschreitend austauscht“.