Kontaktbeschränkung und allabendliche Ausgangssperre hier, geöffnete Biergärten und private Treffen mit zehn Personen dort. Einige Monate lang bewegten sich Deutschland und die Schweiz bei ihrer Corona-Strategie vielleicht nicht auf demselben Weg, aber ihr Pfad verlief zumindest parallel. Seit einer Woche rennen die Regierungen beider Länder dagegen Rücken an Rücken voneinander weg.

Ein voller Biergarten in Kreuzlingen am Wochenende – während in Konstanz alles zu bleiben muss.
Ein voller Biergarten in Kreuzlingen am Wochenende – während in Konstanz alles zu bleiben muss. | Bild: Marcel Jud

Was Berlin und Bern fast zeitgleich entschieden haben, lässt Tausende Bewohner zwischen Bodensee und Hochrhein verwirrt zurück – und bringt Lokalpolitiker wie Behörden gleichermaßen in Verlegenheit.

Den Nachbarn beim Zuprosten zuschauen

Erstes Beispiel: Wie erklärt man Bürgern aus dem badischen Laufenburg, dass sie – dank öffentlichem Alkoholverbot – selbst tagsüber brav zuschauen sollen, wie sich die Nachbarn in der Schweizer Zwillingsstadt in geselliger Runde auf Restaurant-Terrassen zuprosten?

Zweites Beispiel: Was sagt man den auf Touristen angewiesenen Gastronomen aus Konstanz, wenn ihre Gäste bei bestem Frühlingswetter auf einen Apéro über die Grenze flanieren? In der Theorie mag dem Biergarten-Ausflug bis auf Ausnahmen, etwa für Geimpfte, eine Quarantäne nachfolgen. In der Praxis hört man in eidgenössischen Biergärten erstaunlich viel Hochdeutsch.

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Drittes Beispiel: Warum dürfen fast alle Geschäfte jenseits der Grenze wieder öffnen, während einen Steinwurf entfernt leidlich per Click-and-Collect eingekauft wird?

Schweizer Lockerung kam überraschend

Dass die Regierung der Schweiz entgegen eigener Vorgaben lockert, hat selbst dort die Mehrzahl der Bürger überrascht. Hierzulande verleitet es dazu, den Zeigefinger ob der vermeintlich unverantwortlichen und ignoranten Corona-Politik mahnend zu heben.

Der Finger sollte besser wieder verschränkt in der geballten Faust in der Hosentasche verschwinden. Weil er sich aus dem Gefühl des Wieso-Die-Und-Wir-Nicht und der Unzufriedenheit mit den eigenen Entscheidungsträgern speist.

Ja, manche Vorgabe aus Bern ist schwer nachvollziehbar. Man denke etwa an die Öffnung von Fitness-Centern, wo sich inzwischen die gefürchteten Aerosole munter entgegengeschnaubt werden. Auch Veranstaltungen im Mini-Format mit drinnen 50 bis draußen maximal 100 Besuchern halten Künstler wie Organisatoren für wenig erfolgversprechend.

Was ist sinnvoll – und was schützt vor allem die Wirtschaft?

Andererseits: Ist es wirklich verkehrt, Außengastronomie zu öffnen und die Menschen ins Freie zu treiben, wo das Coronavirus nachweislich frische Luft nicht schätzt? Ist es vor diesem Hintergrund wirklich durchdacht, die Leute nach 22 Uhr am liebsten gar nicht mehr vor die Tür zu lassen und als Grund anzuführen, sie könnten sich ja auf dem Weg von oder zu Freunden befinden?

Und ist es zum Wohle der Gesundheit, Unternehmen bestimmt aber freundlich auf Homeoffice hinzuweisen, was in der Schweiz seit Monaten Pflichtprogramm ist – oder folgt die Bundesregierung damit schlicht wirtschaftlichen Interessen?

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Wo wir schon beim Zeigefinger waren: Es ist schon richtig, vielerorts in der Schweiz werden die strengen Vorgaben für Restaurants und Bars zu lax gehandhabt. Die wenigsten Gäste etwa tragen wie vorgeschrieben durchgehend eine Maske, sofern sie nicht gerade die Gabel oder das Glas zum Mund führen. Auch sitzen am ein oder anderen Tisch mehr als die erlaubten vier Personen.

Denn wir wissen, was wir tun

Gleichermaßen muss dieser Tage nur derjenige einmal hinter Balkonbrüstungen oder Gartenhecken spickeln, wer die flexible Auslegung der deutschen Kontaktbeschränkung beobachten will.

Ist beides gegen die Regeln? Ja, absolut. Ist beides unvernünftig und unsozial? Ebenfalls ja. Sind Fehlverhalten wie diese durch eine von Corona ermüdete Bevölkerung verständlich? Auch dies.

Nach mehr als einem Jahr Leben unter Pandemie-Bedingungen ist längst bekannt, was sinnvoll oder -los, was verantwortungsbewusst und vernünftig ist. Das wiederum gilt dann für die Menschen beiderseits der Grenze.

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