Irrtum 1: Im zweiten Lockdown sind die Grenzen offen
Das stimmt allenfalls symbolisch. Denn immerhin wurden im Zuge der nach und nach verschärften Reisebedingungen seit Herbst 2020 keine Zäune mehr aufgestellt. Damit hat es sich dann aber auch mit der Offenheit zur Schweiz – und weitgehend auch mit den politischen Erfolgen beidseits der Grenze. Dort war nach der ersten Grenzschließung vor einem Jahr viel die Rede vom „regen und intensiven Austausch“ der einzelnen Behörden. Sprechen ist aber eben nicht alles.
Denn längst ist der Kreis derer, die sich ohne Weiteres hin- und herbewegen können, auf ein Mindestmaß reduziert. Bereits der Besuch von Geschwistern endet nach wenigen Tagen – will man bei der Rückkehr keine Quarantäne in Kauf nehmen. Von reinen Freizeit- oder Einkaufstouren braucht man da gar nicht erst reden.
Ja, es gibt Ausnahmen, wichtig sind sie vor allem für berufsbedingte Grenzgänger, Paare oder getrennt lebende Eltern. In Wahrheit heißt es für den Großteil der Menschen in der Grenzregion aber: anmelden, testen und Quarantäne. Oder eben im Heimatland bleiben.
Irrtum 2: Ohne Schweizer lebt es sich angenehmer
Um das Gegenteil zu hören, muss man nicht einmal in die Handelsbranche hineinhören. Es stimmt schon, viele Händler freuten sich jahrelang über den rollenden Franken und es gibt genug schwarze Schafe, die einheimische Kunden bestenfalls zweitklassig behandelten. Schadenfreude ist aber völlig unangebracht, der Branche fehlen Unsummen – mit Unterbrechung jetzt bereits seit einem Jahr.
Geld, das per Gewerbesteuer unsere Infrastruktur inklusive Freizeitmöglichkeiten ermöglicht. Fragen Sie einmal in Konstanz nach, wie sich die Stadt den 40-Millionen-Euro-Nachfolger seines 2015 abgebrannten Hallenbads leistet.
Selbst Freude an der zeitweisen Ruhe im sonst überfüllten Stadtzentrum oder Gewerbepark ist trügerisch: Am fehlenden Umsatz für die Händler hängt weniger der Drittwagen und das zweite Ferienhaus des gutsituierten Chefs. Viel mehr hängt daran der Arbeitsplatz der Nachbarin, die gerade wegen Dauer-Kurzarbeit ständig unsere online bestellten Pakete entgegennimmt.
Irrtum 3: Die Trennung hat uns zusammengeschweißt
Stimmt nicht, besser gesagt: Stimmt nur für diejenigen, die sich schon immer bewusst waren, dass sie in zwei Ländern leben. Stichwort: deutsch-schweizerische Familien-, Freundschafts- oder Firmen-Bande. Aber sonst? Wann hatte man zuletzt den philosophischen Satz auf der Zunge: „Wie schön, dass wir uns gegenseitig haben, hier lebt der europäische Gedanke“?
Bei allem Verständnis, denn wir würden es umgekehrt nicht anders tun: Für die meisten Eidgenossen ist unsere Region vor allem als allwöchentliche Shopping-Destination gefragt. Andersherum sind wir froh, dass wir zwei Flughäfen in der direkten Nachbarschaft haben und je nach Branche das Doppelte verdienen oder auf bessere Arbeitsbedingungen setzen können.
Übrigens endet das Zusammengehörigkeitsgefühl bereits dort, wo vielen kürzlich noch das Herz aufging. Ob getrennte Liebespaare oder Familien, deren Schicksal auch der SÜDKURIER damals beleuchtete: Sie berichten ein Jahr später, dass sie es satt haben, in der Öffentlichkeit zu stehen – böse Anschuldigungen, Vorwürfe und Verleumdungen anonym über das Internet verbreitet, wurden ihnen zu viel.
Irrtum 4: Die Grenzschließung beugt der Corona-Ausbreitung vor
Das lässt sich pauschal nicht belegen. Anders sähe es aus, wenn das Nachbarland keinen Umgang mit Corona fände – siehe Tschechien zuletzt. Klar ist aber erst einmal: Ein Virus macht kaum vor einer geschlossenen Landesgrenze Halt. Und die Gesundheitsämter haben kein Indiz, dass sich Corona besonders stark durch Bewegungen über die Schweizer Grenze verbreitet.
Klar ist aber auch: Je weniger man unterwegs ist, desto schlechter für das Virus. Das sieht man jedes Mal, wenn die Regierung die Maßnahmen verschärft und die Infektionszahlen sinken. Genauso sinnvoll wie eine Grenzschließung wäre es, das Reisen zwischen zwei deutschen Landkreisen zu verbieten. Das wiederum ist den Bürgern noch viel weniger zu vermitteln – und in der rechtlichen Umsetzung ungleich komplizierter. Oder erinnern Sie sich noch an den Vorschlag des 15-Kilometer-Radius?