Es ist etwas passiert in Deutschland: Hunderttausende im ganzen Land protestieren gegen Rechts. Ein großer Teil der Gesellschaft, die lange ruhig schien, ist laut geworden: in München, in Konstanz, in Lörrach.
Marcus Bensmann ist einer derjenigen, der diese Bewegung angestoßen hat. Der Journalist arbeitet beim Recherche-Netzwerk Correctiv, das am 10. Januar ein Geheimtreffen von Rechtsextremen mit hochrangigen Unternehmern, Mitgliedern der AfD und der Werteunion enthüllt hatte.
Wie kam es dazu? Was denkt er über die Demos? Und wie jetzt mit AfD-lern umgehen?
Samstagmittag in Lörrach auf dem Fabric-Areal: Die Schöpflin-Stiftung hat eingeladen zum „Abschirmen gegen Rechts“ und Marcus Bensmann ist mit dabei.
Die Stiftung unterstützt Correctiv, das sich nicht über Abos sondern Förderer finanziert, bereits seit 2015. Hunderte Menschen mit bunten Schirmen und bemalten Schildern bevölkern das Gelände. Es sind Junge, Ältere, Familien, Kinder. Der Applaus, mit dem sie den Journalisten auf der Bühne begrüßen, ist lange und laut.
„Das ist fast schon unglaublich!“
Der Rheinländer ist selbst baff, was sich aus der Recherche entwickelt hat. Das wird er immer wieder sagen an diesem Tag. „Wie ihr alle darauf reagiert, ist fast schon unglaublich“, richtet er die Worte ans Publikum. Es zeige, dass Medien etwas bewirken können, als Teil der Demokratie. Nun gelte es, die Diskussion weiterzutragen. „Und lasst uns das nicht nur aus Angst tun, sondern auch aus Mut: Wir sind unser Land, wir diskutieren, wir sind die Demokratinnen und Demokraten!“
Angst, die kann man bekommen, wenn man sich die Ergebnisse von Correctiv ansieht: Was auf dem Treffen zwischen Rechten, AfD-Bundestagsabgeordneten, Anwälten, Zahnärzten und finanzstarken Unternehmern laut dem Recherche-Netzwerk in Potsdam besprochen wurde, waren Vertreibungspläne.
Das sukzessive Schaffen einer Atmosphäre, in der sich Menschen mit Migrationshintergrund, egal ob deutsche Staatsbürger oder nicht, und „nicht assimilierte“ Menschen nicht mehr wohl fühlen. Das Schaffen eines Staates in Nord-Afrika, wohin alle, die sich für Geflüchtete einsetzen, ebenfalls hinkönnten.
Von Lörrach aus gefördert
Doch häufiger als Angst fällt an diesem Tag das Wort Demokratie. Auch bei Stifter Hans Schöpflin.
„Wir sind stolz auf Correctiv“, sagt er im Gespräch mit SÜDKURIER. „Correctiv war die zweite bundesweite Förderung, die wir gemacht haben. Das beruhte auf meinem Interesse für Demokratie, ich war 40 Jahre in den USA und habe erlebt, wie die Demokratie angegriffen wird. Ich kam zurück und sagte: ‚Demokratie ist ein hehres Gut.‘“

Marcus Bensmann ist seit 2014 dabei, seit 2016 recherchiert er zur AfD. Gab es etwas, das ihn an diesem Geheimtreffen überrascht hat? „Die innere Bereitschaft, diese rechtsextreme Idee eines völkischen monoethischen Staates durchzusetzen – das zu planen, das hat mich überrascht“, sagt er gegenüber SÜDKURIER. Es sind viele Fragen, auch vom Publikum, die dem Journalisten am Nachmittag beim bereits Tage zuvor ausgebuchten Werkstattgespräch im Werkraum Schöpflin gestellt werden.
Keine „rechtsextreme Kaffeefahrt“
Moderiert von Birgit Degenhardt, der Leiterin des Werkraums, spricht der Correctiv-Reporter hier über die Enthüllungen. Sie begannen mit einem Blatt Papier. Eine Einladung zu dem Geheimtreffen nahe Potsdam, das den Journalisten zugespielt wurde. Unterschrieben von Gernot Mörig. „Den mussten wir erst einmal googlen“, so Bensmann.
Schnell stellte sich heraus: Mörig ist rechtsextremer Aktivist aus den 70er-, 80er-Jahren, gut vernetzt – bis heute aktiv. Und dann war da noch die Unterschrift von Hans-Christian Limmer, einem Investor, der zum Beispiel „Backwerk“ mitfinanzierte und Gesellschafter der Burgerkette „Hans im Glück“ war, bevor sich das Unternehmen nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen von ihm trennte.
Alles zusammen, resümiert Bensmann war „der Hinweis, dass das nicht nur eine rechtsextreme Kaffeefahrt ist, sondern mehr dahinter steckt.“
Der Trick mit dem Saunaboot
Der Rheinländer ist ein guter Erzähler, er bringt das Publikum immer wieder zum Lachen. Etwa, als er von der „Saunaboot-Recherche“ berichtet. Es gelang Correctiv, einen Journalisten als Gast in das Hotel zu schleusen. „Dort lag eine Reklame für einen Saunaboot-Verleih, ein Schiff mit einer Sauna drin und danach springt man in die Spree.“ Das Hotel ist zur Wasserseite offen: Also mieteten sie einfach das Boot, um davor hin- und herzufahren. „Weil es dunkel ist vor den hell erleuchteten Fenstern, konnte man wunderbar sehen, wer beim Geheimtreffen war.“
Eine Sache allerdings gibt es, über die Bensmann nicht erzählen will: Die Quellen. Gibt es Wortprotokolle? Kann man die nicht veröffentlichen? „Ohne Quellenschutz können wir solche Recherchen nicht machen. Wir haben offengelegt, was ging“, beendet er die Neugier in dieser Sache.
Das Interesse an der Enthüllung ist riesig, ebenso der Nachhall. Obwohl er so viele Jahre schon zur AfD schreibt, so etwas habe er noch nicht erlebt, sagt der Journalist später im Gespräch.
Woher kommt das „Momentum“?
Warum ausgerechnet jetzt so viele aufstehen? Bensmann hat eine Vermutung: die Gleichzeitigkeit von vielem. Von Entschlossenheit, von Personal – mit Finanziers, Ideologen und Vollstreckern – vom Aufstieg der AfD, vom Schwächeln der Ampel. Vielleicht, überlegt der Correctiv-Reporter, ist das der Punkt, der in einer Mehrheit das Bewusstsein weckte: ‚Demokratie hängt an jedem von uns.‘
Wie mit AfD-Wählern umgehen?
Eine Sache ist ihm dabei wichtig: der Umgang mit AfD-Wählern. „Jetzt ist die Zeit“, findet der Rheinländer, „den Leuten als Gesellschaft eine Chance zu geben, rauszugehen. Eine zweite Chance. Das ist bei den AfD-Aussteigern nicht zu sehen. Das halte ich für einen strategischen Fehler. Und es ist unmenschlich.“
Die Ideologie liege nun offen. „Wir sollten uns hüten, alle Menschen, die die AfD mal wählen, unter diese Ideologie zu packen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, sich zu distanzieren: ‚Geht ihr mit oder nicht?‘“ Es gehe nicht um Einzelaussagen. Sondern um eine scharfe, völkische Ideologie.
Was wird aus den Protesten, die Bensmann als „Momentum“ bezeichnet? Versickern sie – oder haben sie das Potenzial, den demokratischen Diskurs im Kampf gegen Rechts nachhaltig zu beleben? Die Zeit wird es zeigen.