Ein verwittertes Industriegebäude aus rotem Backstein, ein Wald und eine marode Straße – das sind die Wegmarken auf dem Weg zu einem fünfstöckigen Haus in der Obereschacher Straße. Jahrzehntelang waren hier Geflüchtete untergebracht, dann nutzten es Kriminelle als Drogenbunker. Und heute? Der SÜDKURIER hat sich umgesehen.

Das eingezäunte Haus zählt fünf Etagen und ein über 3200 Quadratmeter großes Grundstück. Die Zufahrt steht auf, die Türen aber sind verschlossen. Nur ein Fenster im dritten Stock ist offen, im Nebenraum welken Blumen auf dem Fensterbrett. Im Hof liegen Reifen, Kippen, Schreckschuss-Patronen, Überreste von Silvester. Ein Familienauto parkt im Hof, es wurde lange nicht bewegt. Rufe, ob hier jemand wohnt, bleiben unbeantwortet.

Dann kam das SEK

Im September 2022 stürmte das SEK dieses Haus am nördlichen Ende Villingens. Im Oktober 2023 begann ein Prozess gegen fünf Männer aus dem Rocker-Milieu. Ihnen wurde nicht nur Zwangsprostitution vorgeworfen, sie sollen in dem gelben Haus Drogen im großen Stil gelagert, verteilt und hergestellt haben. All das dokumentierte eine Kamera, die die Polizei hier angebracht hatte. Und die dazu führte, dass sich ein weiteres Trio vor dem Landgericht Konstanz für einen „schwunghaften Handel mit Betäubungsmitteln“ verantworten musste.

Alte Reifen, Paletten, zwei Autos: So sieht es im Hinterhof des Hauses aus.
Alte Reifen, Paletten, zwei Autos: So sieht es im Hinterhof des Hauses aus. | Bild: Durain

In diesem Verfahren tappte der Hauptbeschuldigte, ein 31-Jähriger aus Villingen-Schwenningen, vor die Kamera. Das wurde am ersten Prozesstag Mitte Januar deutlich.

Auch, dass er zwar nie einen richtigen Job hatte, schon mehrfach hinter Gittern saß und trotzdem einen Mercedes AMG fuhr, am Handgelenk eine Rolex des Vaters – bis im Mai 2023 die Handschellen klickten. Wieder einmal. Das Geschäft lief offenbar. Jetzt wurde der 31-Jährige zu sechs Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Das Gericht ordnete zudem die Einziehung von 93.090 Euro bei ihm an.

Drogen-Drehscheibe im Schwarzwald?

Ist es aber üblich, dass mehrere Personen denselben Ort als Lager für Pillen, Marihuana oder Amphetamine nutzen? Die Staatsanwaltschaft Konstanz bestätigt auf Nachfrage nur, dass in dem Haus große Mengen Drogen umgesetzt worden sind. Die Angeklagten vom Januar hätten aber nichts mit der Gruppe um die „United Tribuns“ zu tun. Das Trio soll hier auch keine Drogen gekauft haben.

Das Haus in Villingen sei zwar von mehreren Personen genutzt worden, ob es eine oder mehrere Gruppierungen waren, ist unklar. Anfang Dezember 2023 erging ein Urteil im Prozess gegen die Villinger Rocker. Die Staatsanwaltschaft hatte aber Revision eingelegt.

Geflüchtete ziehen aus, Drogenlabore ein

Der Bunker modert indes vor sich hin. Mehr als 30 Jahre lang wurden in dem Haus Geflüchtete untergebracht, Anfang 2019 stellte die Kommune den Betrieb ein. Seit 2021 ist das Gebäude in Privatbesitz, wie das Amtsgericht Villingen-Schwenningen auf Nachfrage mitteilt. Zwei Privatpersonen stehen seither im Grundbuch, weitere Auskünfte seien nicht möglich.

Die Stadt erklärt auf Anfrage, dass im Juli 2019 und im April 2020 ein Bauvorbescheid für die Umnutzung einer bestehenden Wohnung erteilt worden ist. Eine Bauvoranfrage aus dem Juni 2020, die eine Änderung der Nutzung und einen Umbau des Gebäudes für Einrichtungen wie eine Spielothek, ein Laufhaus, ein Bordell und/oder einen LGBT-Club vorsah, wurde jedoch abgelehnt.

Viel Platz für wenig Geld

Das Haus wurde auch im Internet annonciert. Wann genau, ist unklar: Aber ein Inserat lässt sich online noch finden. Darin steht: Interessenten hätten „hier jede Menge Platz, um sich zu verwirklichen. 55 Räume zuzüglich sanitäre Anlagen und Abstellräume auf 5 Etagen bieten beste Voraussetzungen für diesen Bürokomplex.“ Die Nettokaltmiete wird mit 6400 Euro angegeben. Ein echtes Schnäppchen für so viel Platz.

Ein Überbleibsel aus vergangenen Tagen.
Ein Überbleibsel aus vergangenen Tagen. | Bild: Durain

Das dachte sich auch eine junge Frau, die der SÜDKURIER vor dem Haus antrifft. Sie hat hier einen Lagerraum angemietet, erzählt sie, „150 Euro im Monat“. Das sei natürlich günstig. Aber an diesem Nachmittag steht auch sie vor verschlossenen Türen.

Den Raum habe sie über eine Kleinanzeige im Internet entdeckt, den alten Hausstand ihrer Eltern hat sie hier eingemottet. Den Vermieter erreicht sie nicht am Telefon. An ihre Sachen kommt sie nicht. Sie sagt, im Haus habe es vor Kurzem einen Wasserschaden gegeben. Wohnen könne man darin eigentlich nicht, ausschließen kann sie es nicht.

Elektro-Partys im Bunker

In einiger Entfernung befindet sich eine Baufirma für Garagen. Eine Mitarbeiterin sagt, dass sie sich über ihre Nachbarn nicht beschweren können. Tagsüber passiere da so gut wie gar nichts. „Da spielt sich alles nachts ab.“ Was in dem Haus vorgegangen sei, habe die Belegschaft auch nur aus der Zeitung erfahren.

Hinter dem Holzverschlag ist der NUK, der Natur- und Kulturverein Villingen. Hier wurde auch draußen gefeiert.
Hinter dem Holzverschlag ist der NUK, der Natur- und Kulturverein Villingen. Hier wurde auch draußen gefeiert. | Bild: Durain

Etwas Leben in dem Haus gibt es aber: Im vorderen linken Teil des Hauses stehen hinter hölzernen Wänden und einem Schild mit der Aufschrift „geschlossene Gesellschaft“ Paletten-Möbel, eine Bar und drei Buchstaben an der Wand: NUK. Das steht für die Natur- und Kulturfreunde, einem seit drei Jahren eingetragenen Verein aus Villingen, die Elektro-Partys veranstalten. Die letzte stieg laut ihrer Instagram-Seite Ende September.

Hier ist auch zu sehen, wie aufwendig der Verein die Räume renoviert hat und dutzende Menschen tanzen, mal drinnen, mal draußen. Wer mitfeiern will, muss sich vorher anmelden. Auf ein Gesprächsangebot des SÜDKURIER ging der Verein aber nicht ein.

Wie geht es weiter?

Die Stadt erklärt zwar, dass es derzeit keine städtischen Pläne für das Gebäude und die dazugehörige Gewerbefläche gebe. Aber es laufe ein weiteres Verfahren zur Änderung der Nutzung. Eine Entscheidung stehe aus. Um was es genau geht, bleibt auch hier: geheim.