Haben Klöster eine Zukunft? Die Entwicklung der letzten Jahre lässt daran zweifeln, manche auch verzweifeln. Immer mehr Konvente schließen oder werden mit anderen zusammengelegt. Geistliche Schwestern ziehen sich aus den Kindergärten zurück, die sie vor 100 und mehr Jahren gründeten.
Der allmähliche Rückzug muss nicht sein, sagt Pater Stephan Vorwerk. Er ist „vom Fach“. Vor mehr als 40 Jahren trat er bei den Benediktinern (OSB) ein und hat seitdem einige Niederlassungen dieses ältesten christlichen Ordens erlebt und gestaltet – vom Niederrhein bis Jerusalem. Auf der Insel Reichenau hat der Theologe nun Anker geworfen – und einen Weg gesteckt, auf dem eine religiöse Gemeinschaft im 21. Jahrhundert bestehen kann.
Die Benediktiner erfanden die Reichenau
Vor 20 Jahren zählte der Pater aus dem Münsterland zu den Gründern der kleinen Niederlassung. Sie wurde schon damals als Cella (Zelle) bezeichnet – also ein Minikloster mit einer meist einstelligen Anzahl an Mitgliedern. Damit schlossen sich Pater Stephan und Alt-Abt Nikolaus an eine Tradition auf der Insel an.
Lange vor den Gemüsebauern besiedelten benediktinische Mönche die Insel. Die kulturelle Erfindung der Reichenau besorgten Mönche und Brüder, sie bauten eine Vielzahl von Kirchen und Kapellen und machten das Land urbar – damals noch ohne Gewächshäuser.
An diese Geschichte knüpften die beiden Patres vor genau 20 Jahren zunächst zaghaft an. Im Herbst 2001 mieteten sie eine Ferienwohnung an und hielten ihr erstes Stundengebet ab. Der schlichte Beginn der zwei und später drei Mönche war von gemischten Gefühlen begleitet. Während viele Reichenauer froh waren über die Bereicherung katholischen Lebens auf der Insel, schlug den Mönchen von anderer Seite auch kaum verborgener Hohn entgegen. Sie wurden als gescheiterte Existenzen angesehen, die es nicht lange auf der Insel mit ihren selbstbewussten Bewohnern aushalten würden.
Die Cella hing kurz nach ihrem Neustart am seidenen Faden. Und das, obwohl die Unesco die Reichenau im Jahr 2000 in den Rang des Weltkulturerbes erhoben hatte – wegen der klösterlichen Tradition, nicht wegen der Krautköpfe.
Nach 20 Jahren sind die Patres angekommen
Die Bürger, die mit den altbekannten Neulingen fremdelten, sind längst widerlegt. Das kleine Kloster um den Gründer Stephan hat sich stabilisiert – und heute sind alle stolz auf die Kommunität. Auch wenn es immer neue Gesichter und Abgänge gab und Verstimmungen nicht ausblieben, ist die Cella S. Benedikt angekommen. Die drei Patres Stephan, Stephanos Petzolt und Hugo Eymann gehören zum Ortsbild.
Ihre erste provisorische Bleibe tauschten sie mit dem Pfarrhaus in Niederzell, wo die Cella St. Benedikt – so der volle Namen – ihren endgültigen Sitz hat. Das quadratisch imposante Gebäude steht direkt neben der doppeltürmigen Kirche St. Peter und Paul. Einen kleinen Raum dort haben die Männer als Kapelle hergerichtet. Was früher als Abstellkammer diente, leuchtet jetzt als stimmungsvoller Raum fürs Gebet – die Eginokapelle.
Überschaubare Räume, kleine Immobilien, wenig Lasten – darin sehen die drei Patres ihre Perspektive. „Die kleinen Gemeinschaften bedeuten Zukunft“, sagt Pater Stephan. Hugo, der Senior und Bibelexperte, nickt zustimmend. Er wirkte viele Jahre in der Erzabtei Beuron im Donautal. Sein Abt schickte ihn an den Bodensee, um die Cella zu verstärken. Inzwischen lebt er gerne auf der Reichenau und trägt zusammen mit den beiden Kollegen die Seelsorge auf der Insel.
Ein Hund in der Kapelle
„Wir haben keine Angst“, sagt Stephanos Petzolt, auch er ein Ex-Beuroner. Die Drei wollen aus der Reduktion eine Chance machen. An Aufgaben mangelt es nicht. Schon wenige Jahre nach der Gründung 2001 übernahmen sie die Pfarreien auf der geschichtsstolzen Insel mit ihren stattlichen drei Kirchen und drei speziell insularen Feiertagen, die der Alemanne auf dem Festland nur vom Hörensagen kennt.
Noch eine Neuerung scheint revolutionär. Gegenüber vom Pfarrhaus wohnen zwei Nonnen Aracoeli Escurzon und Rochelle Marie Vidal. Die beiden Schwestern stammen von den Philippinen. Aracoeli, die ältere, leitete früher eine Niederlassung des Ordens in ihrer Heimat. Inzwischen haben sich die Benediktinerinnen der Cella angeschlossen. Getrennt wohnen, gemeinsam beten – das ist das Reichenauer Modell für die kommenden Jahre.

Wer das öffentlich zugängliche Mittagsgebet der fünf Ordensleute besucht, stößt auf einen weiteren Gast in der Kapelle. Während dort gebetet und gesungen wird, kauert Hund Gino zu Füßen der Brüder und Schwestern. Die Psalmen und der Klang der Tischharfe bezaubern den stattlichen Dobermann. Während er in den ersten Minuten noch unruhig tänzelt, rollt er sich ein und träumt dahin. Vielleicht ist er mit einer Pfote schon im Hundehimmel.