Er schrieb Texte, veröffentlichte Songs und trat auf Festivals auf. Als Gründer des Internetformats „Rap am Mittwoch“ moderierte Ben Salomo eine der erfolgreichsten Battle-Rap-Shows Deutschlands. Doch dann: ein plötzlicher Karriereabbruch. Weil er als Jude in der Hip-Hop-Szene heftigste Diskriminierung und antisemitische Anfeindungen erlebte, ließ er aus Protest das Leben als Rapper hinter sich und beendete seine Show.

Stattdessen widmet er sich nun der Aufklärung über die Gefahren von Antisemitismus und Rassismus. Was genau bewegte den gefeierten Künstler zu einer solchen 180-Grad-Wende? Der Mann hat einiges zu erzählen. Schüler in Singen, Konstanz und Hegne haben das dieser Tage erlebt.

Die Schüler wirken skeptisch: Kann dieser Rapper cool sein?

Es ist kurz vor halb zwölf an der Geschwister-Scholl-Schule in Konstanz. Über 200 Jugendliche von der zehnten bis zur zwölften Klasse nehmen auf den Stühlen in der Aula Platz. „Ich habe hier noch nie einen Rapper begrüßt. Herzlich Willkommen Ben Salomo, Sohn des Friedens!“ Mit diesen Worten eröffnet Schulleiter Thomas Adam die Veranstaltung. „Danke, dass Sie uns helfen wollen, unseren eigenen Umgang mit Rechtsextremismus zu beleuchten.“ Ein sehr direkter Einstieg ins Thema. Die Schüler applaudieren, doch wirken etwas skeptisch. Kann so ein Rapper cool sein, wenn er von der Schulleitung eingeladen wurde?

„Heute bin ich hier, um mit euch über Antisemitismus zu sprechen. Aber nicht zur Zeit der Nazis oder im Mittelalter. Heute geht es um den Antisemitismus, der heute im Alltag stattfindet.“ Ben Salomo steht vor der Menge und fixiert die Schüler mit seinem Blick. „Denn nicht nur ich bin betroffen, auch ihr, ihr checkt das nur noch nicht“, ruft er mit lauter Stimme ins Mikrofon.

„Wer von euch hat schon mal einen Antisemitismus-Fall mitbekommen?“ fragt er. Etwa 20 Jugendliche melden sich. Ein Zehntel. Ben Salomo ist sich sicher, dass es in Wirklichkeit noch mehr sind. „Mein Ziel ist es, euch dabei zu helfen, Antisemitismus zu erkennen, denn nur dann kann man als Gesellschaft auch was dagegen tun.“

Was ist antisemitisch? Ein Experiment hilft

Ein Experiment wird durchgeführt: Salomo nennt Vorurteile über Juden, die zum Teil schon seit Jahrhunderten existieren. Haben sie das Gerücht schon einmal gehört, sollen die Schüler aufstehen.

Ben Salomo führt mit den Schülern ein Experiment durch: Wer bestimmte Gerüchte über Juden kennt, soll aufstehen.
Ben Salomo führt mit den Schülern ein Experiment durch: Wer bestimmte Gerüchte über Juden kennt, soll aufstehen. | Bild: Hanser, Oliver

„Juden müssen hier in Deutschland keine Steuern zahlen.“ Etwa die Hälfte der Jugendlichen erhebt sich. „Die Juden beherrschen die Medien.“ Weitere Schüler stehen auf. „Alle Juden sind reich.“ Nun sitzt niemand mehr. „Seht ihr“, meint Ben Salomo. „Das Verbreiten von Gerüchten über Juden ist bereits Antisemitismus. Also eigentlich hättet ihr euch vorher alle melden müssen.“

Wie weit Antisemitismus in Deutschland verbreitet ist, ist bekannt. Laut der „Mitte“-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmten in den Jahren 2020 und 2021 13,7 Prozent der Menschen mit festem Wohnsitz in Deutschland antisemitischen Aussagen mindestens teilweise zu. Im Bezug auf israelbezogenen Antisemitismus waren es sogar 30 Prozent. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 3027 antisemitische Straftaten, darunter 64 Gewaltakte, begangen – im Vergleich zum vorigen Jahr ein Anstieg von 28,75 Prozent. Die Problematik der antisemitischen Einstellungen und Delikte ist relevanter als mancher vermutet.

„Ich habe öfter Anfeindungen gegen Juden gehört, wo der Nahostkonflikt und Israels Politik auf alle Juden verallgemeinert wird. Antisemitismus ist ein sehr relevantes Thema.“
Maxine Landthaler (18)
Maxine Landthaler
Maxine Landthaler | Bild: Hanser, Oliver

Es geht um Israel, das Geburtsland des Rappers. Wie sich herausstellt, verbinden die meisten Schüler das Land mit Kriegsereignissen. Doch niemand weiß, dass es sich bei dem Staat um eine pluralistische Demokratie handelt, dort der USB-Stick entwickelt, die Cherry-Tomate gezüchtet und die Entsalzungsanlage erfunden wurde. „Es ist, als würdet ihr durch ein Schlüsselloch gucken“, erklärt Ben Salomo. „In einer Demokratie muss euch das komisch vorkommen, wenn man von einem Land nur ‚Bad News‘ hört.“

Antisemitismus im Alltag jüdischer Bürger

„Das erste Mal antisemitisch angegriffen wurde ich im Alter von elf Jahren von meinem damals allerbesten Freund“, erzählt Salomo den gebannt lauschenden Schülern. „Er hat mich gefragt ‚Was bist du?‘ und ich antwortete ‚Ich bin Jude‘. Am nächsten Tag kündigte er mir die Freundschaft. Sie gingen zu dritt auf mich los, mit den Worten ‚Wir greifen ihn an, den Juden!‘ Das ist schon Hass.“

Von den Jugendlichen will er wissen, was das mit einem Kind macht. „Das Vertrauen geht verloren“, antwortet ein Schüler verlegen. Ein anderer fügt hinzu: „Das Wort ‚Freund‘ verliert seinen Wert.“ Der Rapper pflichtet ihnen bei. „90 Prozent der Juden in Deutschland können solche Geschichten erzählen“, erklärt er. „Das bedeutet, es gibt hier mehr Menschen mit antisemitischen Hirngespinsten als Juden. Wie sollen wir denen widersprechen ohne eure Hilfe?“

Viele Schüler starren ihn an, manche wirken verstört

Die Zahl sechs Millionen ist den Schülern bekannt, der Holocaust wird schließlich ausgiebig im Unterricht behandelt. Doch die Schilderungen des Rappers scheinen sie dennoch zu erschüttern: „Für die Nazis war der Judenmord wie ein Wirtschaftsunternehmen. Alles wurde genau dokumentiert: Wie wurde die Person hingerichtet? War es ein noch ein Kind? Trug sie eine Brille?“

Viele Schüler starren ihn an ohne zu blinzeln, manche wirken verstört. „Nie wieder – das steht für nie wieder nicht widersprechen“, ruft Ben Salomo ihnen zu. „Euer Widerspruch ist der Schlüssel! Dabei haben alle Generationen vor euch versagt.“

„Vorallem im Internet benutzen Jugendliche das Wort ‚Drecksjude‘ als Beleidigung. Auch wenn man es sich denkt, sagt man nie wirklich, dass das nicht geht.“
Maya Ropte (18)
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Maya Ropte | Bild: Hanser, Oliver

Judenhass in der deutschen Rap-Musik

Aufgrund frauenfeindlicher und rassistischer Texte standen schon viele deutsche Rapper in der Kritik. Doch Antisemitismus in der Hip-Hop-Szene? Das Thema ist den meisten Schülern noch nie begegnet. Als Ben Salomo voller Leidenschaft von den Höhepunkten seiner Karriere erzählt, wie er zum Beispiel auf Festivals vor dem Rapper Sido auftrat oder wie seine Show den Rapper Capital Bra groß machte, wirkt das wie Angeberei. Doch beschäftigt man sich etwas mit der Jugendkultur der letzten 20 Jahre, versteht man den Effekt: Die Antisemitismus-Fälle, von denen Salomo im Anschluss berichtet, treffen die Jugendlichen auf einer emotionalen Ebene.

Plötzlich sind die Ereignisse gar nicht mehr weit weg. Es handelt sich um Musik, die sie selbst hören. Szenen, die sich im Backstage-Bereich ihrer Lieblingsfestivals abspielen. Bekannte Gesichter, von denen sie selbst Poster in ihrem Zimmer hängen haben.

Ben Salomo nennt ihnen konkrete Beispiele. Arafat Abou-Chaker, ehemaliger Manager des Rappers Bushido sagt in einem Livestream: „Machen wir uns nichts vor, wenn einer ankommt im Rap-Business und sagt ‚Ich bin Jude‘, ist der schon fast unten durch.“ In der Hip-Hop-Szene sei er häufig mit antisemitischen Anfeindungen konfrontiert worden, erzählt er.

Manager hätten seine Show als „Judenveranstaltung“ betitelt, andere Rapper hätten gezielt gegen ihn gehetzt und deren Fans ihm in den sozialen Netzwerken Hassnachrichten zukommen lassen. Salomo verweist auf eine Studie der Universität Bielefeld, die zeigt, dass Jugendliche eher zu Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit neigen, wenn sie Gangsta-Rap hören. „Rap beeinflusst das Denken einer jungen Generation.“

„Seine Worte haben mich sehr überrascht, es hat mir gefallen, einen Einblick in den Hintergrund zu bekommen. Man sollte sich Gedanken darüber machen, welche Musik man hört.“
Joel Budras (18)
Joel Budras
Joel Budras | Bild: Hanser, Oliver

Schockiert sind die Schüler über ein Foto aus dem Backstage-Bereich des Southside-Festivals, auf dem zwei berühmte deutsche Rapper Arm in Arm mit bekannten Rechtsextremisten posieren. SadiQ, Farid Bang und Kollegah sind weitere Beispiele von Rappern, deren Texte als rechtsradikal oder antisemitisch in der Kritik stehen.

„Wenn ihr diese Musik hört, unterstützt ihr diese Aussagen, das solltet ihr wissen. Aber ich habe das Gefühl, euer moralischer Kompass ist am rechten Fleck.“ Mit diesen Worten kommt Ben Salomo zum Ende. „Danke, dass ihr zugehört habt, ich liebe euch!“ Beifall brandet auf, einige Schüler erheben sich von ihren Stühlen.

Schüler und Lehrer sind angetan

Carsten Arbeiter, Lehrer an der Geschwister-Scholl-Schule, ist begeistert. „Der Vortrag hat mich total bewegt. Wir fanden es eine gute Idee, mit den Schülern über Antisemitismus zu sprechen, in einem Medium, das sie wirklich betrifft. Außerdem ist es für sie wichtig zu sehen, wie vielfältig jüdisches Leben ist.“

Wie hat Ben Salomo die Schüler wahrgenommen? „Ich hatte das Gefühl, dass die Schüler heute wirklich interessiert waren, spätestens als ich angefangen habe, über die Rap-Szene zu sprechen, weil das etwas ist, was in ihrem eigenen Ereignishorizont existiert. Sie haben erkannt, dass viele Rapper mit Ideologien in Verbindung gebracht werden können, die absolut problematisch sind“, sagt er.

Meistens, aber nicht immer seien die Reaktionen so positiv. Tatsächlich gäbe es immer wieder Schüler und auch Lehrer, die rechtsextreme oder islamistische Narrative vertreten und bei denen Wut aufkommt.

Und wie sähe die Gesellschaft in seiner Wunschvorstellung aus? „Die perfekte Gesellschaft ist für mich eine, die einerseits tolerant ist und andererseits auch die Intoleranz anderer nicht duldet“, meint Ben Salomo.

„Ich bin bestimmt schon mal mit Antisemitismus in Kontakt gekommen, nur wusste ich vor dem Event gar nicht, was alles schon antisemitisch ist, weil es irgendwie normalisiert wurde. Mensch ist Mensch, ich versteh einfach nicht, warum da Unterschiede gemacht werden.“
Ronja Lux (18)
Ronja Lux
Ronja Lux | Bild: Hanser, Oliver

Die Schüler der Geschwister-Scholl-Schule wirken beeindruckt und bewegt zugleich. Nach dem Vortrag stürmen viele nach vorne, um noch ein paar persönliche Worte mit dem Künstler zu wechseln. Hitzige Diskussionen über ihre Lieblingsrapper entstehen auch zwischen den Jugendlichen. Von der anfänglichen Skepsis ist nichts mehr zu spüren. Auch bei einer Schulveranstaltung kann man Ben Salomo seine Coolness also nicht absprechen.