Es mag zu skurril klingen, um wahr zu sein: Männliche Fische können laut Forschung durch Östrogene im Abwasser verweiblichen. Diesen Effekt beobachteten Wissenschaftler in den Zuflüssen des Bodensees, in die Kläranlagen ableiten.
Die eingeschwemmten Spurenstoffe können Fische in ihrer Fortpflanzung schwächen und den Nachwuchs mindern. Doch Akteure aus der Region steuern mit Schwarmintelligenz und Innovation dagegen.
Kläranlagen konnten gewisse Spurenstoffe nicht vollständig abbauen
Die Wirkung auf Fische steht in Zusammenhang mit einer Klärtechnik, die lange Zeit die vom Menschen ausgeschiedenen Hormone der Antibabypille kaum eliminieren konnte. Mit dem weitgehend gereinigten Abwasser gelangten dennoch Spurenstoffe zurück in die Umwelt.
„Im direkten Anschluss an Klärwasserausläufe und nur dort in den Zuflüssen können Fische einer relevanten Konzentration von Östrogenen ausgesetzt sein und dann sogar verweiblichen“, erklärt Alexander Brinker, Leiter der Fischereiforschungsstelle in Langenargen auf Nachfrage. Doch im Bodensee selbst verwässert der Effekt wortwörtlich. Hier sind die Hormone laut Brinker zu stark verdünnt. Darum gebe es keine Hinweise auf verweiblichte Fische im Bodensee.
Trotzdem bleibe jede kleinste Restkonzentration von Hormonen im Abwasser problematisch für die Umwelt, berichtet die Wissenschaftlerin Vera Kohlgrüber, die auch das Kompetenzzentrum Spurenstoffe (KomS) Baden-Württemberg leitet.
Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen Universitäten und der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) Baden-Württemberg. Sie vermitteln Wissen über die Spurenstoffelimination durch kommunale Kläranlagen – etwa durch eine sogenannte vierte Reinigungsstufe. Dabei werden die Spurenstoffe im Abwasser unter Einsatz von Aktivkohle oder Ozon abgebaut.
Experten bauen auf eine vierte Reinigungsstufe
„Hormone sind in verschiedenen Technologien der 4. Reinigungsstufe sehr gut eliminierbar“, bestätigt Kohlgrüber. Auch andere vorher nicht abbaubare Spurenstoffe könnten damit entfernt werden. Dies sieht auch die EU-Kommunalabwasserrichtlinie vor. Demnach sollen bis 2045 unter anderem und vor allem Kläranlagen, die in empfindliche Gewässer wie den Bodensee einleiten, über eine vierte Reinigungsstufe verfügen.
Fakt ist, dass Baden-Württemberg beim Ausbau deutschlandweit am fleißigsten ist – das zeigt eine Karte auf der Website der DWA. 31 Anlagen betreiben schon verschiedene Verfahrensweisen zur Spurenstoffelimination, 29 andere stecken noch in der Planung, die vierte Reinigungsstufe umzusetzen, zeigt eine weitere Online-Karte des Kompetenzzentrums.
Auf Schweizer Seite sehe es ähnlich aus, berichtet Kohlgrüber. Auch hier würden schon mehrere Kläranlagen eine weitere Reinigungsstufe betreiben oder planen. Fünf von acht Anlagen, die in den Bodensee ableiten, sind bereits ausgebaut, informiert die Leiterin des Kompetenzzentrums.
Zukunftsprojekt: Aktivkohle soll nachhaltig werden
Schon 2011 die Kläranlage Kressbronn-Langenargen als eine der Ersten am Bodensee die Abwasserreinigung um die vierte Stufe. 2018 knüpfte die Bodensee-Stiftung mit dem CoAct-Projekt an. Mit der Universität Kassel wurde untersucht, wie die fossile und importierte Aktivkohle nachhaltig und vor Ort hergestellt werden kann, erklärt Projektleiter Andreas Ziermann.
Die Basis dafür sollen pflanzliche Abfallstoffe sein, die im Bodenseekreis vorkommen. Getestet wurden etwa Grünschnitt, Maishäcksel oder Weintrester. Bei einem Praxisversuch auf der Kläranlage in Kressbronn-Langenargen konnte schließlich die Tauglichkeit erfolgreich unter Beweis gestellt werden, heißt es im CoAct-Abschlussbericht 2023.
Einige Kläranlagen in der Bodenseeregion hätten als potenzielle Abnehmer Interesse gezeigt, berichtet Ziermann auf Nachfrage. Doch es brauche noch eine Weile, bis die Eigenproduktion an den Start gehen könne. Es wird also weiterhin getüftelt und verbessert – für Umweltschutz und das Leben der Fische in der Bodenseeregion.