Frau Razavi, bisher war das Thema Wohnen im Wirtschaftsministerium zuhause. Jetzt macht das Staatsministerium mit einem neuen Strategiedialog das Thema Wohnen zur Chefsache. Wozu braucht es Ihr Ministerium?

Das Staatsministerium zieht das Thema nicht an sich, sondern es gibt ihm zusätzliche Bedeutung. Wohnen ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Deswegen war es eine richtige Entscheidung, mit diesem Ministerium einen politischen Schwerpunkt zu setzen. Wir als Fachministerium sind beim Strategiedialog natürlich eng eingebunden.

In den vergangenen fünf Jahren hat sich das Wirtschaftsministerium schon mit der Wohnraumallianz um das Thema gekümmert. Derweil ist bezahlbarer Wohnraum im Land noch knapper geworden. Warum soll Ihnen das jetzt besser gelingen?

Das Wirtschaftsministerium ist ein großes Haus mit vielen Zuständigkeiten. Die von ihm geschaffene Wohnraumallianz ist wichtig. Daraus sind etwa der Grundstücksfonds für Kommunen und die Wohnraumoffensive entstanden. Es wurden in der letzten Legislaturperiode also die richtigen Weichen gestellt, aber bis so etwas greift, dauert es halt ein bisschen.

Wir als neues und explizit zuständiges Ministerium geben den Dingen jetzt eine neue Dynamik. Wenn wir insgesamt mehr Wohnraum schaffen, gibt es auch mehr bezahlbaren Wohnraum, denn Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.

Nicole Razavi (rechts) im Interview mit SÜDKURIER-Landeskorrespondentin Ulrike Bäuerlein.
Nicole Razavi (rechts) im Interview mit SÜDKURIER-Landeskorrespondentin Ulrike Bäuerlein. | Bild: Bäuerlein Ulrike

Welche Stellschraube muss man drehen, damit es schneller geht?

Da gibt es nicht die eine Stellschraube, sondern ganz viele. Ich war in den letzten Wochen auf einer Wohnbaureise in den vier Regierungsbezirken unterwegs. Es gibt in den Kommunen viele pfiffige und gute Ideen: Von der Bebauung eines Konversionsgeländes in Aalen bis zur Entwicklung eines ganzen Quartiers auf einer Industriebrache in Konstanz.

In Bodnegg gibt es das Modell „Aus Alt mach 2 – und mehr“, wo die Kommune auf ihre Bürgerinnen und Bürger zugeht und fragt, wie sie zurechtkommen und ob sie sich zum Beispiel vorstellen könnten, dass man aus einem für sie zu groß gewordenen Haus zwei Wohneinheiten macht. Wir finanzieren dann die erste Architektenberatung. Und plötzlich öffnet sich besonders für ältere Menschen eine neue Perspektive – sie können in ihrem Haus bleiben, aber der Wohnraum wird überschaubarer, barrierefrei und es entsteht neuer Wohnraum beispielsweise für Familien. Oder es gibt eine Tauschmöglichkeit. In Bodnegg läuft das unheimlich gut.

Zusätzlich müssen wir Flächen und Leerstände aktivieren und wieder auf den Markt bringen. Dafür haben wir Wiedervermietungsprämien, den Grundstücksfonds, das Programm „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ und die Städtebauförderung. Wir wollen die schlummernden Reserven im ganzen Land mobilisieren und Impulse für mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen.

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Was steht ganz oben auf Ihrer Agenda?

Die ersten Wochen im Amt zeigen, dass wir dringend manche Regelung entschlacken müssen. Baugenehmigungen müssen einfacher auf den Weg gebracht werden, Kommunen leichter ein Vorkaufsrecht bekommen, alte Baupläne leichter korrigiert werden können. Oder Wohnen im Denkmal – da werden wir auch überprüfen, ob nicht die eine oder andere Regel des Denkmalschutzes es unnötig erschwert, Wohnraum zu schaffen. Da haben wir Luft nach oben.

Der Instrumentenkasten ist riesig. Wir können auch mit kleinem Geld Vieles auf den Weg bringen. Aber klar ist auch: Ohne die großen Förderprogramme und Anreize wird es nicht gehen. Und man muss es wollen. Wir brauchen die Kommunen an unserer Seite – und wir brauchen Investoren. Wir sind zwar das Land der Häuslebauer, aber wir als Ministerium sind ja keine Häuslebauer.

Verhindern teure Klimaschutzmaßnahmen und hohe energetische Standards die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum?

Klimaschutz ist sicher nicht umsonst zu haben. Das geht am Bauen nicht vorbei. Aber ich finde, dass beides zusammengeht. Die vielen Beispiele im Land zeigen das.

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In Stuttgart fehlt es nicht an Wohnraum, sondern nur an bezahlbarem Wohnraum. Exklusive Angebote gibt es genug. Was macht man im verdichteten städtischen Raum, wo nicht einfach so mal neue Quartiere entwickelt werden können?

Wenn es sich Fachkräfte nicht mehr leisten können, mit ihren Familien in den Städten zu wohnen, dann wird das für die Städte und für ihre Wirtschaft zum Problem, zum Standortnachteil. Viele Kommunen haben das begriffen. Ich kann nicht die Arbeit der kommunen machen, aber ich will sie bei ihrer Arbeit unterstützen. Überall da, wo Städte und Gemeinden es schaffen, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wird auch der Durchschnittspreis für Wohnraum geringer.

Es gibt genügend Beispiele im Land, wo das gut gemacht wird und auf sozialen Wohnungsbau, ebenso wie auf Mietwohnungsbau für mittlere Einkommen geachtet wird. Aber ganz ehrlich: Dass eine Stadt wie Stuttgart es in den vergangenen Jahren versäumt hat, die im Zuge von Stuttgart 21 freiwerdenden riesigen Gleisflächen entsprechend zu entwickeln, halte ich für fahrlässig. Das war eine Riesenchance, den Wohnungsmarkt in Stuttgart endlich zu entlasten. Das hätte man viel früher angehen müssen.

Ist der Mietendeckel ein gutes Instrument?

Nein. Es hat sich ja in Berlin gezeigt, was dann passiert. Wir dürfen die Weichen nicht so stellen, dass wir private Investoren vergraulen.

Wie viel vom Nettoeinkommen halten Sie als Mietkosten für zumutbar?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber es ist sicher auf Dauer nicht zumutbar, dass Menschen ewig lang zum Arbeitsplatz pendeln müssen. Ich bin eine Anhängerin der Sozialen Marktwirtschaft. Und alles, was mit Wucher zu tun hat, ist eine Unverschämtheit.

Wir müssen uns als Gesellschaft darum kümmern, dass es mehr Wohnangebot im Ganzen gibt, um der Preisspirale Einhalt zu gebieten. Und zwar nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität. Es muss auch ein würdevolles Wohnen sein. Wohnen ist mehr, als nur ein Dach über dem Kopf zu haben.