Die Auszüge aus einem Interview mit dem Schweizer Sender RSI haben für Schlagzeilen gesorgt: Dass der Papst darin vom „Mut zur weißen Flagge“ sprach und der Ukraine sinngemäß nahelegte, weiteres Sterben durch Verhandlungen zu beenden, erntete viel Kritik – auch in der katholischen Kirche selbst.

Die deutsche Bischofskonferenz spricht zumindest von einer „unglücklichen“ Äußerung, auch wenn nach ihrer Ansicht Franziskus den Ukrainern nicht die Kapitulation nahegelegt hat.

„Die Kirche wird in ein komisches Licht gerückt“

Letzteres glaubt auch Armin Nagel nicht. Der 51-Jährige ist Pfarrer der katholischen Bodanrückgemeinden von Konstanz. „Ich glaube nicht, dass er das so gemeint hat, wie es ihm ausgelegt wurde. Er wollte einfach das Verhandlungsfeld öffnen. Doch die Voraussetzung für Friedensverhandlungen ist eigentlich, dass Russland aufhört anzugreifen“, sagt er dem SÜDKURIER.

Armin Nagel ist Pfarrer auf dem Konstanzer Bodanrück.
Armin Nagel ist Pfarrer auf dem Konstanzer Bodanrück. | Bild: Fricker, Ulrich

„Wenn der Papst den Mund aufmacht, kommt nicht immer etwas Unfehlbares raus“, sagt Nagel und lacht. Das Unfehlbarkeitsdogma der katholischen Kirche gilt aber auch nur in Glaubens- und Sittenfragen. Bei Interviews hingegen sage der Papst öfters Dinge, die „nicht ausgegoren“ sind.

Nagel hält das – Unfehlbarkeit hin oder her – für problematisch: „Der Schaden ist groß, weil das die Kirche allgemein in ein komisches Licht rückt.“ Pfarrer Nagel findet: „Er sollte zurückhaltender sein.“

Dorfpfarrer mit guten Kontakten in die Ukraine

Pater Christoph Eichkorn fühlt sich der Ukraine freundschaftlich verbunden. Seit Beginn des Krieges war der Pfarrer der Seelsorgeeinheit Maria Bronnen im Südschwarzwald schon sieben Mal in der Westukraine, brachte Hilfsgüter dorthin. „Zeichen der Solidarität“, nennt er das.

Der Kontakt reicht weit zurück: Als junger Priester war er unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Lwiw. Als vor zwei Jahren der Krieg begann, fasste Eichkorn den Entschluss, wieder daran anzuknüpfen.

Christoph Eichkorn ist Pfarrer der Seelsorgeeinheit Maria Bronnen im Südschwarzwald.
Christoph Eichkorn ist Pfarrer der Seelsorgeeinheit Maria Bronnen im Südschwarzwald. | Bild: Ursula Ortlieb

Dass die Ukrainer ihr Land mit aller Kraft verteidigen, berührt ihn. Die Unterstellung, der Ruf nach der Weißen Fahne käme aus der Ukraine, wie vom Interviewer angedeutet, hält er für hanebüchen: „Das sind dann Kollaborateure.“

Er jedenfalls habe solche Stimmen noch nicht vernommen. „Die Haltung ist: Wir müssen uns verteidigen, sonst werden wir vertrieben oder umgebracht.“

Mit vollbepacktem 7,5-Tonner startete Pfarrer Christoph Eichkorn im April 2023 in Richtung Ukraine.
Mit vollbepacktem 7,5-Tonner startete Pfarrer Christoph Eichkorn im April 2023 in Richtung Ukraine. | Bild: Ursula Ortlieb

Dementsprechend kritisch blickt Eichkorn auf die Hilfe des Westens und die Zurückhaltung von Bundeskanzler Olaf Scholz. Die deutschen Waffenlieferungen findet der Pater zu zögerlich. „Man gibt den Angegriffenen gerade so viel, dass sie sich halten können, aber nicht genug, um sich zu befreien“, sagt Eichkorn. „Das ist zynisch.“

Harsche Kritik an Franziskus aber übt Eichkorn nicht. „Ich kleiner Dorfpfarrer habe wenig Einblick in die Weltpolitik. Den Papst halte ich schon für gut informiert.“ Franziskus habe immer schon für ukrainische und europäische Ohren missverständliche Antworten gegeben.

Ihm zu unterstellen, dass er nicht mit den Opfern fühle, hält Eichkorn für abwegig. „Er ist immer auf der Seite der Opfer, das ist eine große Stärke von ihm.“

Andreas Sturm: Angreifer beim Namen nennen

Andreas Sturm ist froh, dass er keinen Papst hat. Der Altkatholik ist Pfarrer in Singen und Sauldorf/Meßkirch – Franziskus ist nicht sein Kirchenoberhaupt, unter anderem wegen der Unfehlbarkeit haben sich die Altkatholiken 1870 von der römisch-katholischen Kirche getrennt. Wie sich der Papst äußert, verfolgt er dennoch mit Interesse.

„Ich hätte mir gewünscht, dass er den Aggressor Russland beim Namen nennt.“ Insbesondere hätte sich Sturm gewünscht, dass Franziskus den Moskauer Patriarchen Kyrill I., der den Krieg mehrfach verteidigte, in die Schranken gewiesen hätte.

Andreas Sturm ist Pfarrer der Altkatholiken in Singen.
Andreas Sturm ist Pfarrer der Altkatholiken in Singen. | Bild: Fricker, Ulrich

Die zitierte „weiße Fahne“ zu hissen, also zu kapitulieren, ist aus seiner Sicht keine Lösung: „Was das für die Menschen vor Ort bedeuten würde, mag man sich gar nicht ausmalen.“ Dass der Papst eine prorussische Agenda verfolge, würde Sturm ihm allerdings nicht unterstellen.

Wie Armin Nagel vermutet auch er eine unbedarfte Äußerung: „Ich habe eher den Eindruck, dass er frei von der Leber redet. Hinterher ist dann der ganze Presseapparat des Vatikan beschäftigt, das wieder einzufangen.“

Die evangelische Dekanin lobt den Papst

Ein Versehen, der andere Blick auf die Dinge, der Versuch, einen Weg Richtung Frieden zu ebnen – bei aller Kritik erfährt der Papst also zumindest viel Verständnis. So richtig gelobt wird er aber von Susanne Büttner.

Die Dekanin für das Frauengefängnis Gotteszell in Schwäbisch Gmünd hat im Herbst mit mehr als 54 weiteren evangelischen Pfarrern und Pfarrerinnen der württembergischen Landeskirche einen Friedensaufruf gestartet. Nicht-militärische Lösungen sollten Vorrang haben, so deren Überzeugung.

Durch den Papst sehen sich die Autoren und Autorinnen des Friedensaufrufs bestätigt. Franziskus setze vor Ostern ein starkes alternatives Signal „zur Politik der todbringenden Waffen“. Büttner und ihre Mitstreiter berufen sich auf Jesus, dessen gewaltfreies Leben und Sterben. „Bis heute ermutigt Jesus dazu, Wege zum Frieden ohne Gewalt zu suchen.“ Daran knüpfe Franziskus an.

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Russland sei Angreifer, die Forderung nach Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen sei dennoch richtig. Dieser Krieg sei auf dem Schlachtfeld nicht zu gewinnen. Deshalb riskiere eine Politik, die weiter- und immer weiterreichende Waffen liefert, sinnlos Menschenleben. Gewonnen habe nur die Waffenindustrie.

„Ich bin Papst Franziskus dankbar, dass er das so unmissverständlich benennt“, so Büttner. Die weiße Fahne zu hissen, ist auch für sie ein Zeichen der Stärke – und das Gebot der Stunde.