Und sie kam doch. Als die zierliche Frau mit den schwarzen Locken, zum Zopf gebunden, den Sitzungssaal des Landgerichts Konstanz betritt, richten sich alle Blicke auf sie. Die Narben in ihrem Gesicht sind unübersehbar. Am dritten Tag des Prozesses hört sie nun die Urteilsbegründung gegen den Mann, den sie einst liebte – und der sie vor sechs Monaten fast tötete. Damals schlug er mit einem vier Kilo schweren Übertopf auf ihren Kopf ein, während sie wehrlos auf dem Boden ihrer Wohnung in Überlingen lag.
Die Frau nimmt nicht vorne im Saal bei ihrem Anwalt Platz, sondern im Zuschauerbereich in der vorletzten Reihe, umgeben von Freunden und Familie. Ihre Lebensretter, ihre Nachbarn, sitzen eine Reihe vor ihr. Das Strafmaß, das gerade verkündet wurde, hat sie nicht gehört: vier Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe. Die Straftat: versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der Verurteilte: der schlanke Mann im blauen Anzug, der wenige Meter entfernt sitzt, und sie nicht ansieht.
Der minderschwere Fall
Das Überraschendste an diesem Prozess sei gewesen, dass die Frau überlebte, sagte Richter Hornstein zu Beginn der Urteilsbegründung. Und dass die Öffentlichkeit sich wohl frage, warum eine so brutale Tat mit weniger als fünf Jahren Haft geahndet werde. Doch das Gericht habe sich an die gesetzlichen Vorgaben gehalten.
Trotz der Grausamkeit der Tat musste das Landgericht den Strafrahmen für einen minderschweren Fall anwenden. Ausschlaggebend waren die stark eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in der Tatnacht und der Umstand, dass es beim Versuch blieb. Das Gesetz sieht in solchen Fällen Strafen zwischen drei Monaten und siebeneinhalb Jahren vor.
Ein „regelrechter Rausch“
Was am 28. Oktober 2024 zu der Eskalation führte, ließ sich nicht mehr genau rekonstruieren. Hornstein sprach von einem „regelrechten Rausch“, in den der Mann geriet. Der Auslöser: eine weitere „Beziehungsdiskussion“, ihre Drohung, die Beziehung zu beenden, und der Satz, sie lasse sich nicht von ihm kaufen.

Dieser Satz brachte alles ins Wanken. Er packte sie, würgte sie, schlug ihren Kopf auf den Boden. Dann griff er zu einem schweren Blumentopf, traf sie mehrfach am Kopf, nahm einen Keramiktorso und schlug weiter.
Mindestens acht wuchtige Treffer, stellte ein Gutachter später fest. Die Nachbarn hörten den Lärm, brachen die Tür auf und retteten ihr das Leben. Der Mann war zuvor vom Balkon gesprungen – ob aus Panik oder mit der Absicht, sich das Leben zu nehmen, blieb unklar. Für das Strafmaß spielte dies jedoch keine Rolle, betonte Hornstein.
Fest steht: Die Frau wird das Erlebte nie vergessen. Sie bleibt gezeichnet – äußerlich und innerlich.
170.000 Euro als „friedensstiftende Maßnahme“
Bevor die Kammer ihr Urteil verkündete, begann der dritte Verhandlungstag mit einem Täter-Opfer-Ausgleich. Verteidigung und Nebenklage einigten sich auf einen Vergleich: Der wohlhabende Arzt zahlt der Frau 170.000 Euro. Die 52-Jährige akzeptierte dies als „friedensstiftende Maßnahme“. Ihr Anwalt, Sylvester Kraemer, erklärte, es sei ihr schwergefallen, dem Vergleich zuzustimmen. Sie wünsche sich einen Abschluss, das Verfahren belaste sie. Die Folgen des Angriffs reichten tief in ihr Inneres. Kein Geldbetrag könne ihr Leid aufwiegen.
Der 60-jährige Österreicher hatte am ersten Verhandlungstag gestanden, seine große Liebe attackiert zu haben. Auch wenn er sich an die Tat nicht erinnere, bestritt er nicht, versucht zu haben, sie zu töten. In seinen letzten Worten fand er keinen Ausdruck für sein Bedauern. „Ich kann nicht beschreiben, wie sehr mir das leid tut.“
„Mein Herz, du bist umwerfend“
Oberstaatsanwalt Johannes-Georg Roth zeichnete in seinem Plädoyer das Bild einer nur äußerlich harmonischen Beziehung. Der Angeklagte habe sich unermüdlich um die Frau bemüht. Noch zwei Wochen vor der Tat begann er seine Nachrichten an sie mit den Worten: „Mein Herz, du bist umwerfend. “ Für ihn drehte sich alles um sie. Doch seine besitzergreifende Art und seine Verlustängste führten schließlich zu jener Nacht.
Roth betonte, die Steuerungsfähigkeit des Mannes sei erheblich eingeschränkt gewesen. Dennoch habe er keine Rettungsversuche unternommen und sei nicht „strafbefreiend von der Tat zurückgetreten“. Der Staatsanwalt folgte dem Gutachter: Es handelte sich um eine Affekttat, der Arzt befand sich in einem schweren psychischen Ausnahmezustand.
„Auch für Sie habe ich Mitgefühl“
Opfer-Anwalt Kraemer stellte keinen eigenen Antrag, hielt aber ein emotionales Plädoyer. Er sprach von einer menschlichen Tragödie, die sich niemand habe vorstellen können – weder seine Mandantin noch der Angeklagte. Der Arzt nickte, als Kraemer ihn direkt ansprach.
Mit seiner Mandantin leide er, sagte Kraemer, doch auch für den Angeklagten empfinde er Mitgefühl – ohne die Tat entschuldigen zu wollen. Seine Mandantin sei inzwischen in Therapie. Vielleicht solle auch der Angeklagte diesen Weg gehen.
Angewiesen auf Liebe
Auch Verteidigerin Eberz begann ihr Plädoyer mit der Frage nach dem Warum. Ihr Mandant sei emotional abhängig gewesen, habe alles für die Liebe der Frau aufgegeben. Er sei mit ihr nach Überlingen gezogen, habe eine schlechtere Stelle in Zürich angenommen, sei stundenlang gependelt, nur um bei ihr zu sein. Er habe alles getan, um zu gefallen, um geliebt zu werden – und habe sich doch nie genug gefühlt. Eberz forderte eine Strafe von höchstens drei Jahren und zwei Monaten.
Wunsch nach schonender Verteidigung
Ihr Mandant habe sie und ihren Kollegen Christos Psaltiras gebeten, die Verteidigung möglichst schonend zu führen. Diesem Wunsch seien sie nachgekommen, auch wenn seine Familie eine konfrontative Strategie forderte. Der Angeklagte habe seine Zukunft zerstört, werde wohl nie wieder als Arzt arbeiten können. Selbst seine Kinder sähen ihn nun mit anderen Augen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Oberstaatsanwalt Roth verzichtete auf Rechtsmittel, doch Verteidigung und Nebenklage wollen sich noch beraten.