Aus dem, was Günther B. durchgemacht hat, will er keine große Sache mehr machen, denn heute gehe es ihm wieder „richtig, richtig gut.“

Vor fünf Jahren war das anders. Da ging es dem Landwirt sogar richtig, richtig schlecht.

Deswegen will Günther B. auch anonym bleiben, er heißt eigentlich anders, dem SÜDKURIER ist sein echter Name bekannt. Er wurde 1958 geboren, wuchs auf dem Hof der Eltern nahe Friedrichshafen auf. Er absolvierte eine Ausbildung zum Bauern, auf dem elterlichen Hof gab es aber Reibereien. Seine Mutter, sagt er, sei eine sehr dominante Frau gewesen. Mit 21 verließ er den elterlichen Hof. Für die nächsten zehn Jahre arbeitete er als Busfahrer.

Günther B. ist Bauer und hatte mit einem Burnout zu kämpfen. Auch Suizidgedanken plagten ihn. Weil es ihm nun so viel besser geht, ...
Günther B. ist Bauer und hatte mit einem Burnout zu kämpfen. Auch Suizidgedanken plagten ihn. Weil es ihm nun so viel besser geht, möchte er nicht erkannt werden. | Bild: Marina Schölzel

Mit 31 kehrte er zum Familienbetrieb zurück. Inzwischen hatte er geheiratet, baute auf dem Hof für sich und seine Familie ein neues Wohnhaus. Dann hat er den Hof übernommen. Das war vor rund 35 Jahren.

Seine Gedanken kreisten

Bei seiner Hofübernahme sei der Hof heruntergewirtschaftet gewesen, sagt Günther B. Schritt für Schritt habe er ihn modernisiert. Für seine mittlerweile rund 200 Rinder mit 150 Jungtieren wollte er einen Laufstall erreichten. 2010 baute er ihn, dachte, damit hätte er ausgesorgt.

Dann übernahm er aus seiner Verwandtschaft weitere Tiere und viele Hektar Hopfen. So kam 2019 der zweite Stall. Gleichzeitig stand die Hopfenernte an. Verbindlichkeiten aus der ersten Baumaßnahme hatte er auch noch.

Ihm wurde alles zu viel. Er konnte nicht mehr schlafen, hatte Schweißausbrüche, keinen Appetit mehr, verlor viel Gewicht. Seine Gedanken kreisten: Schafft er das alles? Die Ernte, die Baumaßnahme, die finanziellen Investitionen? Auch an Suizid dachte er, sagt er – bis hin zu der Vorstellung, wie er sich mit dem Bolzenschussgerät in den Kopf schießt. Irgendwann musste die Polizei kommen. Und Günther B. ging in die Psychiatrie.

Wie Günther B. geht es vielen Landwirten. Laut einer aktuellen Studie aus Schweden kämpft etwa jeder fünfte Landwirt mit Depressionen. Eine aktuelle Studie der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gibt an, dass in Irland etwa einer von vier Landwirten ein Burnout bekommt und dass in Frankreich alle zwei Tage ein Landwirt Suizid begeht.

In Deutschland sind Landwirte 4,5 Mal häufiger von Burnout betroffen als andere Arbeitnehmer, fand die Salzburger Psychologiestudentin Maria Roth für ihre Masterarbeit zum Thema heraus.

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Keine Distanz zum Berufsalltag

„Landwirte leben dort, wo sie arbeiten. Die Distanz zum Job fehlt hier völlig“, sagt Daniela Mier. Sie ist Professorin für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Konstanz.

Zwischen Depressionen und Burnout gebe es laut ihr einen entscheidenden Unterschied: Während eine Depression eine psychische Störung ist, sei ein Burnout das nicht. Burnout komme aus dem Bereich der Arbeitsüberforderung, entstehe nahezu ausschließlich in einem beruflichen Kontext.

Daniela Mier ist Professorin für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Konstanz.
Daniela Mier ist Professorin für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Konstanz. | Bild: Inka Reiter

Gründe dafür können Überforderung, Rollenkonflikte, mangelnde Wertschätzung und mangelnde Autonomie sein. Damit haben auch Landwirte zu kämpfen, sagt Mier. „Landwirte haben einen hohen Workload. Sie nehmen selten Urlaub, sind abhängig von Hitzewellen, Zöllen, Kriegen, wobei die fehlende Autonomie ins Spiel kommt.“

Dass die Berufsgruppe der Landwirte am stärksten burnoutgefährdet sind, glaubt Mier aber nicht. „Nicht stärker als Pflegekräfte“, sagt sie. Manager von großen Firmen können davon genauso betroffen sein wie Fließband- oder Callcenter-Mitarbeiter, oder Menschen, die ihre Angehörigen pflegen.

Aber: Aus einem Burnout könne sich auch eine Depression entwickeln. Dazu haben rund 60 Prozent der von Burnout Betroffenen zusätzlich eine andere psychische Störung. Bei Suizidgedanken liege in der Regel mehr im Argen als ein Burnout.

Mit Leib und Seele Bauer

Günther B. hat Antidepressiva genommen. Und wieder abgesetzt. Außerdem bekam er ärztliche Hilfe.

Auch hat der Landwirt Verantwortung abgegeben. Minijobber und Saisonkräfte helfen auf dem Hof aus, diesen hat er mittlerweile an seinen Sohn übergeben.

Psychische Erkrankungen werden oft unter den Teppich gekehrt, sagt er – besonders von Landwirten. Bis es zu spät sei. Auch er kennt Fälle, bei denen sich der Landwirt das Leben genommen hat. Das Arbeitspensum, der fehlende Urlaub, die unkalkulierbaren Risiken verkrafte nicht jeder. Auch er hätte nie gedacht, dass es ihn mal so treffen würde.

Trotzdem ist er mit Leib und Seele Bauer. Etwas anders machen würde er rückblickend nicht. „Verpasste Chancen können auch eine Belastung sein“, sagt Günther B. Er ist stolz, einen gut aufgestellten Hof an seinen Sohn übergeben zu haben.

Was er ihm rät? „Früher Feierabend machen und das Arbeitspensum reduzieren“, sagt Günther B. und schmunzelt. In diesem Aspekt falle der Apfel nicht weit vom Stamm.