Frau Schäfer, was fasziniert Sie an Geschichte?
Nuria Schäfer: Mich fasziniert vor allem die Tatsache, dass sich durch Tausende von Jahren Menschheitsgeschichte doch so wenig verändert hat. Die Bedürfnisse der Menschen sind gleichgeblieben, wie beispielsweise die Nahrungsgewinnung, ein Dach über dem Kopf zu haben, in einer Gemeinschaft zu leben oder die Möglichkeit, sich künstlerisch zu verwirklichen. Daher faszinieren mich archäologische Funde, die genau davon erzählen, wie ein Keramiktopf, in dem früher gekocht wurde, oder eine Halskette, mit der sich jemand vor vielen Jahren geschmückt hat.
Welchen Weg haben Sie für den Einstieg in die Museumspädagogik gewählt?
Nuria Schäfer: Nach meinem Abitur in München habe ich Archäologische Wissenschaften und Kognitionswissenschaften an den Universitäten Freiburg, Basel und Dublin studiert. Den Weg in die Museumsarbeit fand ich über ein Volontariat am Archäologischen Landesmuseum. Von dort aus führte mich mein beruflicher Weg nach Singen.
Und sind dort Museumspädagogin des Archäologischen Hegau-Museums. Was sind Ihre Hauptaufgaben?
Nuria Schäfer: Die Museumspädagogik ist eine meiner Hauptaufgaben, daneben bin ich auch für die archäologische Sammlung zuständig. Als Museumspädagogin kümmere ich mich neben den Führungen um die museumspädagogische Konzeptarbeit, für neue Führungsangebote und Workshops oder auch für spannende Mitmachstationen. In dem Rahmen entwerfe ich auch die Ausstellungstexte, erstelle digitale Vermittlungsangebote und plane und organisiere unser Jahresprogramm.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Nuria Schäfer: Tatsächlich sitze ich die meiste Zeit am Schreibtisch. Für die Museumspädagogik erarbeite, aktualisiere und setze ich Konzepte anhand neuer Fachliteratur um. Neben den Führungen erprobe ich zusammen mit meinen Kolleginnen auch neue Workshop-Ideen und wie sich diese umsetzen lassen. Zurzeit beschäftigen wir uns mit Birkenrinde, die seit der Steinzeit verwendet wird, und probieren verschiedene Bearbeitungsmethoden aus. Diese Erprobung im Team ist enorm wichtig, damit unterschiedliche Erfahrungswerte in das Konzept einfließen. Das Endergebnis soll schließlich inklusiv und für jeden erfahrbar sein.
Es geht also vorwiegend darum, Wissensvermittlung möglichst nahbar zu machen?
Nuria Schäfer: Absolut! Bei einer frontalen Präsentation verlieren viele schnell das Interesse. Alles, was erlebbar ist macht mehr Spaß und bleibt im Gedächtnis.
Mit welchem Anspruch arbeiten Sie?
Nuria Schäfer: Das Wichtigste ist, die Zielgruppe immer im Blick zu haben. Es gibt nicht „das eine“ Konzept, denn jede Zielgruppe hat individuelle Bedürfnisse, auf die bei der Wissensvermittlung eingegangen werden muss. Gerade bei Kindern ist das Begreifen mit allen Sinnen extrem wichtig. Erwachsene möchten dagegen lieber mit neuen Erkenntnissen und Methoden überrascht werden. Auch hier ist es jedoch wichtig, auf die individuellen Bedürfnisse jeder Gruppe einzugehen. Im Prinzip muss man sehr flexibel bleiben, denn keine Führung gleicht der anderen.
Besteht nicht ein Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und verständlicher Vermittlung?
Nuria Schäfer: Ja, in der Tat. Ich begreife es jedoch vielmehr als ein internes Spannungsfeld der Museen. Als Archäologin und Wissenschaftlerin ist es mir sehr wichtig, unseren Besucherinnen und Besuchern den aktuellen Stand der Forschung zu vermitteln. Wir Museen agieren als Schaufenster der Wissenschaft – und in dieser Rolle tragen wir die Verantwortung, neue wissenschaftliche Erkenntnisse transparent und verständlich zu vermitteln. Besagtes Spannungsfeld kann entstehen, wenn in der Vermittlung auf traditionelle Erzählmuster zurückgegriffen wird – etwa im Fall des Sesshaft-Werdens des Menschen oder der sogenannten Völkerwanderung. Beide Prozesse wurden lange Zeit stark vereinfacht dargestellt, häufig als abrupte Ereignisse. Heute wissen wir jedoch, dass es sich um komplexe Entwicklungen handelte, die sich über Jahrtausende, beziehungsweise über Jahrhunderte vollzogen. Für die Umsetzung in Museen müssen daher meiner Meinung nach zwei Kriterien erfüllt sein: Erstens müssen wir Museen uns an die eigene Nase fassen und den Mut aufbringen, diese alten Erzählmuster aufzubrechen. Zweitens müssen die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um neue Forschungsergebnisse kontinuierlich in bestehende Ausstellungen und Vermittlungsformate integrieren zu können.

Sicherlich ist es sinnvoll, das Interesse für Geschichte schon im Kindesalter zu wecken, oder?
Nuria Schäfer: Auf jeden Fall! Gerade im Kindesalter werden wichtige Synapsen für das spätere Leben gebildet. Je früher wir Kinder für Geschichte begeistern können, desto besser. Aus der Geschichte können wir nicht nur für die Gegenwart lernen, sie verbindet auch Menschen über Landesgrenzen und Kontinente hinweg. Um Kinder für Geschichte zu begeistern, muss man vor allem seine eigene Begeisterung für Geschichte mitbringen. Ohne diese wird eine nachhaltige Vermittlung nicht möglich sein. Zudem müssen Kinder sich selbst einbringen können, beispielsweise dadurch, dass sie selbst etwas ausprobieren dürfen.
Daher setzen Sie stark auf Mitmachprogramme?
Nuria Schäfer: Alle unsere Veranstaltungen sind interaktiv gestaltet. Am interaktivsten sind unsere Führungen und Aktionstage wie die Ferienprogramme, der Internationale Museumstag und die Museumsnacht. Doch auch bei unseren Vorträgen haben die Gäste die Möglichkeit, sich mit eigenen Fragen und ihrem eigenen Wissen einzubringen. Dadurch werden die Vorträge noch einmal lebendiger.
Gibt es spezielle Programme für Menschen mit Behinderungen?
Nuria Schäfer: Ja, selbstverständlich bieten wir auch inklusive Führungen an. Allerdings finden Führungen für Gruppen mit körperlicher Beeinträchtigung momentan in den Institutionen vor Ort statt, da das Singener Schloss noch nicht barrierefrei zugänglich ist. Unser am meisten wahrgenommenes Angebot sind momentan Führungen für Gruppen mit kognitiver Beeinträchtigung.
Woher bekommen Sie eigentlich Ihre Funde?
Nuria Schäfer: Die Funde in der Ausstellung stammen zum größten Teil aus unserer eigenen archäologischen Sammlung. Diese begann im Jahr 1926 mit unserem Museumsgründer, dem Apotheker Albert Funk. Er rettete diese Funde bereits in einer Zeit, als es noch kein Denkmalschutzgesetz gab, und bewahrte sie so für die Nachwelt. Zusätzlich haben wir einige Leihgaben des Landes Baden-Württemberg, die von aktuellen Ausgrabungen stammen.
Was würden Sie sich für Ihre Arbeit wünschen?
Nuria Schäfer: Ich denke, da spreche ich vielen pädagogischen Kräften aus dem Herzen: Wertschätzung und angemessene Rahmenbedingungen. Denn gerade in Krisenzeiten dürfen Museen nicht vergessen werden. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen Basis.