An Schätzen ist diese Insel wahrlich nicht arm. Grün und gemächlich streckt sie sich aus in den Untersee hinein, im Sommer lädt türkisblaues Wasser zum Baden ein und zahlreiche Restaurants zum Verweilen, gleich drei mittelalterliche Kirchen zeugen von der kulturellen Bedeutung dieses schönen Fleckchens Erde. Seit dem Jahr 2000 steht die Reichenau darum auf der Unesco-Weltkulturerbeliste.

Hier kann man es aushalten und etwas zu sehen gibt es auch – 200.000 Übernachtungen und zahlreiche Tagesgäste sprechen für sich.

724 kam Pirmin auf die Insel – damit ging alles los

In diesem Jahr könnten es noch ein paar mehr Touristen werden als sonst, denn die Insel feiert Jubiläum: 1300 Jahre ist die Gründung her. Damals, im Jahr 724, setzte Wanderbischof Pirmin den Fuß auf die Insel und gründete ein Benediktiner-Kloster.

Wer über den Inseldamm kommt, begegnet Pirmin, oder vielmehr seiner Skulptur. Geschaffen wurde sie von Bildhauerin Gisela Bär.
Wer über den Inseldamm kommt, begegnet Pirmin, oder vielmehr seiner Skulptur. Geschaffen wurde sie von Bildhauerin Gisela Bär. | Bild: Hanser, Oliver

Gefeiert wird das ganze Jahr über. Kulturhistorisch am bedeutsamsten ist die Große Landesausstellung, mit der das Land Baden-Württemberg das Jubiläum ab 20. April würdigt, für die es 2,7 Millionen ausgibt, 100.000 Euro kommen von der Gemeinde Reichenau.

Handschriften gehören zu den wertvollsten der Welt

Dann soll zurückkehren, was einst den Ruhm der Insel begründet hat: Wertvolle Schriften aus dem Skriptorium der benediktinischen Mönche, wahre Prachtstücke ottonischer Buchmalerei, die zu den wertvollsten in der Welt gehören. Allein fünf der Handschriften, die zum Weltdokumentenerbe gehören, sind darunter.

Sie wurden einst auf der Reichenau in mühevoller Handarbeit hergestellt. Verschwunden sind sie von der Insel in der Regel nicht durch dubiose Umstände, sondern ganz regulär. Es handelte sich um Auftragsarbeiten für Herrscherhäuser, die als Geschenke für Könige und Fürsten in alle Welt gingen.

Wie das Jubiläum gefeiert wird

Auf die Insel selbst kehren sie allerdings nicht zurück. Die Originalexponate wandern allesamt nach Konstanz ins Archäologische Landesmuseum. „Die Ausstellungsstücke brauchen museale Umgebung“, erklärt Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuseums beim Pressetermin im Reichenauer Rathaus. Das richtige Klima, damit nichts kaputt geht, die entsprechenden Sicherheitsgarantien – ohne das wären die wertvollen Leihgaben nicht zu haben gewesen.

Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuseums
Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuseums | Bild: Hanser, Oliver

Der Plan, einen geeigneten Ort dafür auf der Insel zu schaffen, sei „nicht verhältnismäßig“, sprich zu teuer gewesen. Sogar das Museum in Konstanz musste dafür extra nachgerüstet werden.

Gold und Silber in altem Glanz

Auch die Insel aber hat etwas herzuzeigen. Nicht nur ist das Museum Reichenau ebenfalls Teil der Landesausstellung, vor allem sind es die Originalschauplätze, die neu erlebt werden können: die mittelalterlichen Kirchenbauten wird ein neues, modernes Führungssystem verbinden – die kostenlose App dazu wird bis April freigeschaltet, der frisch gestaltete Klostergarten wird zu sehen sein – und die erneuerte Münsterschatzkammer. Die wohl das beherbergt, was man sich landläufig unter einem Schatz vorstellt: Gold, Silber und Edelsteine, verarbeitet zu Skulpturen und Behältnissen, viele davon so genannte Reliquiare, also Kästchen, Schreinen, Figuren, die Reliquien enthalten.

Restauratorin Katrin Hubert restauriert gerade ein Vortragekreuz.
Restauratorin Katrin Hubert restauriert gerade ein Vortragekreuz. | Bild: Hanser, Oliver

Die sind schon immer in der alten Sakristei im Münster Maria und Markus untergebracht und im Rahmen von Führungen zu sehen gewesen. Allerdings: So schön wie sie demnächst aussehen, hat sie schon lange keiner mehr zu Gesicht bekommen.

Ein Team aus zwei Restauratorinnen und einem Kunsthistoriker kümmert sich seit Oktober in mühevoller Kleinarbeit um die prunkvollen Gegenstände, die ihren Ursprung zum Teil in der Romanik oder Gotik haben, viele wurden später nachbearbeitet, manche stammen auch aus der Neuzeit.

Mit Wattestäbchen und Seifenwasser

Restauratorin Katrin Hubert arbeitet gerade an einem Vortragekreuz, das in der katholischen Kirche beim feierlichen Einzug des Pfarrers an einer Stange vorangetragen wird. Bis in die 60er Jahre sei dieses noch in Gebrauch gewesen, die Gebrauchsspuren sind deutlich erkennbar. Vor allem wurde das gute Stück nie richtig gereinigt. Das übernehmen nun Katrin Hubert und ihre Kollegen.

Mit Wattestäbchen, Seifenwasser und leichtem Lösungsmittel werden die Schmutzablagerungen entfernt. Was sie bearbeitet hat, glänzt bereits golden und silbern. Zwei Wochen braucht sie für ein solches Kreuz. Danach erstrahlt es nicht etwa „in neuem Glanz“, das ist Katrin Hubert wichtig – sondern vielmehr ist der alte Glanz wieder sichtbar.

Mit Pinsel und Seifenwasser wird die Schmutzschicht abgetragen.
Mit Pinsel und Seifenwasser wird die Schmutzschicht abgetragen. | Bild: Hanser, Oliver

70 Gegenstände sind auf diese Weise zu restaurieren – und dabei auch für die Nachwelt festzuhalten. Die Zeit drängt. „Der 20. April schwebt wie ein Damoklesschwert über uns“, sagt sie und lacht. Die neuen Vitrinen stehen schon bereit, die ganze alte Sakristei wurde bereits renoviert, das Schimmel-Problem bekommt man mit einer Klimaanlage in den Griff, wie Pater Stephan von der Cella St. Benedikt erläutert.

Es geht auch um die Reichenauer

Zur Eröffnung, und nicht nur dann, wird sich politische Prominenz auf der Insel zeigen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kommt gleich zweimal, etliche kirchliche Würdenträger sind ebenfalls geladen.

Jenseits der großen Ausstellung und der offiziellen Anlässe soll das Jubiläum auch ein Ereignis für die Reichenauer Bürgerinnen und Bürger sein, das ist Tourismus-Chef Karl Wehrle und Bürgermeister Wolfgang Zoll wichtig. Die Reichenau war zu ihren Hochzeiten weltweit vernetzt, das Verbrüderungsbuch, in dem 40 000 Wohltäter aufzählt werden (auch das wird zu sehen sein). Die Frage, die sich Wehrle, Zoll und andere stellten, war also: Wie ist es heute um unsere Weltoffenheit bestellt? „Da ging ein Raunen durch die Runde“, erzählt Wehrle.

Wolfgang Zoll, Bürgermeister der Gemeinde Reichenau
Wolfgang Zoll, Bürgermeister der Gemeinde Reichenau | Bild: Hanser, Oliver

Unter dem Motto „Wir knüpfen ein Band“ will man deshalb Beziehungen stärken – zwischen Insel und allen Gemeinden am Untersee, die dazu an einem Wochenende eingeladen werden, aber auch im Kleinen, zwischen Insel und Waldsiedlung, zum Beispiel, zelebriert mit einem gemeinsam Essen auf dem Inseldamm. Wehrle empfindet diese intensivierten Kontakte als „kommunalpolitische Chance“.

„Wir knüpfen ein Band“ ist das Motto des Jubiläumsjahrs. Im Bild von links: Pater Stephan, Bürgermeister Wolfgang Zoll, ...
„Wir knüpfen ein Band“ ist das Motto des Jubiläumsjahrs. Im Bild von links: Pater Stephan, Bürgermeister Wolfgang Zoll, Staatssekretär Arne Braun, Museumsdirektor Eckart Köhne und der Reichenauer Tourismus-Chef Karl Wehrle. | Bild: Hanser, Oliver

Es gibt auch Ängste in der Bevölkerung

Demgegenüber steht eine gewisse Herausforderung: Die Insel ist ohnehin gut besucht. Werden im Jubiläumsjahr die Touristen zur Belastung werden? Bürgermeister Zoll weiß, dass es diese Ängste gibt. Aber er beobachte auch, dass das Jubiläum bei der Bevölkerung verfange. Der größten Sorge, nämlich dass damit die Verkehrsbelastung zu groß werden wird, begegnet die Insel mit einem Shuttle-Service zwischen den Sehenswürdigkeiten. Die Touristen kommen, anders als einst Pirmin, nicht mehr zu Fuß auf die Insel.