Eine Impfung gegen Covid-19 schützt nicht zu 100 Prozent vor einer Infektion – auch nicht vor einer Erkrankung. So viel war aus den Wirksamkeitsstudien der Impfstoffhersteller anzunehmen. Nun ist ein Pflegeheimbewohner aus Villingen-Schwenningen, der vollständig geimpft war, an der Krankheit verstorben. Sind solche Impfdurchbrüche – also Infektionen trotz vollständiger Impfung – Einzelfälle?
Das Landesgesundheitsamt erklärt auf SÜDKURIER-Anfrage, dass von 213.932 erfassten Covid-19-Fällen seit dem 1. Februar bis zum 6. August 1.884 Menschen trotz Impfung eine Infektion mit asymptomatischem oder symptomatischem Verlauf erlitten. Das sind 0,88 Prozent der Fälle, also ein sehr geringer Anteil. Allerdings entsprechen nur 1.101 dieser Fälle Infektionen mit Symptomen, nur diese werden vom Robert-Koch-Institut als Impfdurchbrüche eingestuft. Noch geringer ist der Anteil von infizierten Geimpften, die ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. 223 Fälle hat es seit dem 1. Februar in Baden-Württemberg gegeben.
In 48 der Fälle sind die Patienten gestorben. Sie waren nach Angaben des Landesgesundheitsamts zwischen 57 und 101 Jahre alt. Die Todesopfer gehören also vor allen den als Risikogruppen eingestuften Bevölkerungsgruppen an.
Fast 9000 Fälle bundesweit
Bundesweit wurden seit Februar bis Anfang August 8.715 Impfdurchbrüche beim Robert-Koch-Institut registriert, davon 6.586 nach einer abgeschlossenen Impfserie mit Biontech, 297 mit Moderna, 493 mit Astrazeneca und 934 mit Johnson&Johnson. Bei den Fällen von Impfdurchbrüchen mussten keine unter 18-Jährigen im Krankenhaus behandelt werden, bei den Erwachsenen zwischen 18 und 59 Jahren waren es 114 Fälle, bei den über 60-Jährigen mussten 694 Fälle im Krankenhaus behandelt werden.
Virusvarianten betreffen Altersgruppen unterschiedlich stark
Dabei machte die Alphavariante des Virus 74 Prozent der Impfdurchbrüche bei den über 60-Jährigen aus, bei den 18- bis 59-Jährigen waren 43 Prozent der Fälle auf diese Variante zurückzuführen, bei den unter 18-Jährigen waren 26 Prozent der Impfdurchbrüche auf die erste Virusvariante zurückzuführen.
Dagegen zeigen die Impfdurchbrüche im Zusammenhang mit der Deltavariante ein ganz anderes Bild: Die erst seit wenigen Wochen dominante Virus-Variante betrifft bislang nur 17 Prozent der Impfdurchbrüche bei den über 60-Jährigen, dagegen aber 52 Prozent bei den 18- bis 59-Jährigen und sogar 70 Prozent bei den unter 18-Jährigen.
Sind die Impfstoffe überhaupt wirksam?
Das RKI vergleicht den Anteil vollständig Geimpfter bei den erfassten Covid-19-Fällen mit dem Anteil der geimpften Bevölkerung, um Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Impfstoffe zu ziehen. Bei den 18- bis 59-Jährigen liege die Impfeffektivität demnach bei etwa 88 Prozent, bei den über 60-Jährigen fast gleich hoch mit etwa 87 Prozent. Wegen der noch geringen Impfquote bei unter 18-Jährigen wird für die jüngste Altersgruppe noch kein Wert erfasst.
Das Fazit des Robert-Koch-Instituts: „Die Anzahl der Impfdurchbrüche sowie die geschätzte Wirksamkeit der eingesetzten Impfstoffe bestätigen die hohe Wirksamkeit aus den klinischen Studien.“ Also kein Grund zur Sorge?
Impfdurchbrüche sind normal
Martin Stürmer, Leiter eines Labors und Lehrbeauftragter für Virologie an der Universität Frankfurt, hält die Zahl der Impfdurchbrüche für erwartbar: „Wir mussten aufgrund der Wirksamkeitsdaten aus den Studien damit rechnen, dass es zu Impfdurchbrüchen kommen wird“, erklärt er.
Dass die Deltavariante augenscheinlich stärker jüngere Menschen betreffe, müsse im Kontext der Infektionszahlen betrachtet werden, erklärt er. „Wenn sich aktuell deutlich mehr junge Menschen als ältere anstecken, sehen wir natürlich in dieser Gruppe auch mehr Durchbrüche.“
Es gebe immer Menschen, bei denen die Impfungen nicht anschlagen – sei es nur bei einzelnen Impfstoffen oder generell. Schon deshalb müsse man damit rechnen, dass es schwere Verläufe bis hin zu Todesfällen geben könne, erklärt der Virologe.

So zeigten die Studiendaten, dass schwere Verläufe mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden können, wenn man geimpft ist – aber eben nicht zu 100 Prozent, bei keinem der Impfstoffe.
Dass ältere Menschen dabei häufiger betroffen sind, hat nach Ansicht von Stürmer verschiedene Ursachen: „Die Menschen, die jetzt von Impfdurchbrüchen betroffen sind, sind wahrscheinlich Menschen, deren Impfung schon länger zurückliegt.“ Da Senioren zu den ersten gehörten, die wegen ihres erhöhten Risikos für einen schweren Verlauf geimpft wurden, seien sie nun auch diejenigen, die eher von Impfdurchbrüchen betroffen sind. Hinzu komme, dass das Immunsystem bei älteren Menschen nicht so stark stimuliert werde wie bei jüngeren.
„Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass Impfungen nichts bringen würden“, betont Stürmer. „Im Gegenteil: Wir haben viele Menschenleben gerettet und dafür gesorgt, dass eine Rückkehr zur Normalität wieder diskutiert wird.“
Delta möglicherweise aggressiver
Noch werden die Auswirkungen von Delta untersucht – aber es gibt Hinweise, dass die Variante tatsächlich aggressiver ist als die bisherigen. Feststehe aber, dass Menschen, die nur einfach geimpft sind, ein deutlich höheres Risiko haben, sich mit der neuen Variante zu infizieren. „Deshalb ist die doppelte Impfung so wichtig“, betont Stürmer.
Dennoch können Geimpfte das Virus weitergeben, falls sie sich trotz Impfung infizieren. Erste Studien weisen darauf hin, dass die Viruslast sogar so groß sein kann wie bei Ungeimpften. So lange noch so viele Menschen nicht geimpft seien, müssten Vorsichtsmaßnahmen aufrechterhalten bleiben, fordert Stürmer.
Neben der Maskenpflicht für alle müsste seiner Ansicht nach auch die Testpflicht für alle gelten. Bislang ist das nur bei der Rückkehr aus Virusvariantengebieten der Fall – diese sind aber überschaubar. Bei allen anderen Risikogebieten gibt es diese Pflicht nicht. „Damit machen wir uns blind“, warnt Stürmer. Die Testpflicht sollte seiner Ansicht nach noch so lange aufrechterhalten bleiben, bis ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist.